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Nordex, Gamesa & Co.: Weshalb die Windkraft-Branche in der Krise steckt

Nordex, Gamesa & Co.

Weshalb die Windkraft-Branche in der Krise steckt

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    In der Rotorblattfertigung beim Windkraftanlagenbauer Nordex entstehen Rotorblätter mit einer Länge von 58 Metern. Dem Wer droht die Schließung.
    In der Rotorblattfertigung beim Windkraftanlagenbauer Nordex entstehen Rotorblätter mit einer Länge von 58 Metern. Dem Wer droht die Schließung. Foto: Bernd Wüstneck, dpa

    Besonders drastisch ist die Situation derzeit bei Nordex in Rostock. Das Windenergie-Unternehmen stellt dort Flügel für Windkraft-Anlagen her. Ein boomendes Geschäft, möchte man meinen, schließlich will die Bundesregierung massiv die erneuerbaren Energien ausbauen. Doch weit gefehlt: Nordex plant, die Rotorblattproduktion an dem Standort Ende Juni einzustellen.

    Im April hielten es die Beschäftigten nicht länger aus. Eine Gruppe von ihnen versammelte sich vor dem Tor des Unternehmens und machte ihrem Ärger mit lauten Ratschen Luft. „Lange Jahre gab es einen Stolz, bei Nordex zu sein“, sagt Stefan Schad, Geschäftsführer der IG Metall Rostock-Schwerin. „Das ist komplett in Wut und Enttäuschung umgeschlagen.“

    Die Werksschließung in Rostock bedroht 530 Arbeitsplätze fest angestellter Beschäftigter

    Die Werksschließung in Rostock bedroht nach IG-Metall-Angaben die Arbeitsplätze von 530 fest angestellten Beschäftigten, dazu kommen rund 200 Leiharbeiter und rund 200 Werkvertragsbeschäftigte. Geht es gut, könnten vielleicht 60 in die Fertigung von Windkraft-Gondeln überwechseln, berichtet der Arbeitnehmervertreter. Deren Fertigung in Rostock soll erhalten bleiben. Den meisten aber wird nach dem heutigen Stand nichts anderes bleiben, als in eine Transfergesellschaft zu gehen oder die Kündigung zu bekommen.

    Eine Zukunftsbrache, in der plötzlich entlassen wird. Wie konnte es so weit kommen? Bei Nordex selbst macht man vor allem den scharfen weltweiten Wettbewerb verantwortlich. Dazu kommt der Druck, erneuerbaren Strom immer günstiger herzustellen.

    Kosten für Energieerzeugung aus Wind sind stark gesunken

    Die Branche sei weltweit "durch zunehmenden Preis-Wettbewerb geprägt", teilte das Unternehmen zur Begründung der Schließung mit. In Auktionen erhalten heute die Anbieter den Zuschlag zum Bau von Anlagen, die sich mit den niedrigsten Vergütungen für Strom von Wind und Sonne zufriedengeben.

    Mitarbeiter demonstrieren vor dem Nordex-Rotorblattwerk, das Ende Juni geschlossen werden soll, Stefan Schad (rechts) von der IG Metall spricht dabei zu den Arbeitern.
    Mitarbeiter demonstrieren vor dem Nordex-Rotorblattwerk, das Ende Juni geschlossen werden soll, Stefan Schad (rechts) von der IG Metall spricht dabei zu den Arbeitern. Foto: Bernd Wüstneck, dpa

    "Die Stromerzeuger mit den niedrigsten Geboten erhalten im Auktionssystem den Zuschlag und geben diesen Kostendruck an die Hersteller von Turbinen weiter", teilt Nordex mit. "Diese müssen daher ihre Produktionskosten reduzieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben." Die Kosten für Energieerzeugung aus Wind sei so in den letzten fünf Jahren um rund 50 Prozent gesunken.

    IG Metall: Verlagerung ins Ausland ist keine Lösung

    Vor diesem Hintergrund sei die Blattproduktion in Rostock "nicht wettbewerbsfähig", argumentiert das Unternehmen. "Die Windindustrie bewegt sich in einem wettbewerbsintensiven, globalen Markt, der vor allem kostengetrieben ist. Vor diesem Hintergrund müssen wir unsere globalen Produktions- und Beschaffungsprozesse optimieren, um profitabel zu produzieren und die Wettbewerbsfähigkeit der Nordex-Gruppe zu sichern", sagte Nordex-Chef José Luis Blanco. Als deutsches und europäisches Unternehmen bedauere man den schmerzhaften Schritt.

    Problematisch ist aus Sicht von Gewerkschafter Schad, dass es sich um keine sorgfältig geplante Entscheidung gehandelt habe. „Die Schließung der Rotorblattproduktion erinnert mich an eine Ad-hoc-Entscheidung, ich mache mir deshalb Sorgen um Nordex als Gesamtkonzern“, sagt er. Das börsennotierte Unternehmen ist im vergangenen Geschäftsjahr über eine schwarze Null nicht hinausgekommen. Dann steigt meist der Druck der Aktionäre.

    Die Fertigung der Rotorblätter soll nun nach Indien und Brasilien verlagert werden. Dort ist sie kostengünstiger. Aus Sicht der IG Metall keine überzeugende Lösung: „Die Qualität und die Umweltstandards sind in diesen Ländern andere“, sagt Schad. Bei der Produktion eines tonnenschweren Rotorblatts entsteht Abfall als Verschnitt. In Deutschland weiß man, dass dieser sicher entsorgt wird. Ob dies in anderen Ländern genauso der Fall ist, dahinter müsse man zumindest ein Fragezeichen machen. Gleichzeitig sei Rostock über Jahre ein Leitwerk für Nordex gewesen. „Jetzt gibt man die Kernkompetenz fort, das ist ein Problem“, kritisiert Schad. Dabei seien die Produktionskapazitäten wichtig, wenn die Bundesregierung ihre aktuellen Ausbauziele erreichen will.

    Auch Siemens-Energy-Tochter Gamesa hat Probleme mit Windkraft-Anlagen

    Das Nordex-Werk ist längst nicht der einzige Problemfall. Seit längerer Zeit ein Sorgenkind ist die Siemens-Energy-Tochter Gamesa. Das Unternehmen mit Sitz in Spanien hat zuletzt mehrere Gewinnwarnungen ausgesprochen und Probleme in seinem Geschäft mit Windkraft-Anlagen an Land. Siemens Energy möchte

    Der Bundesverband Windenergie macht vor allem politische Fehler der früheren Bundesregierung für die schwierige Lage verantwortlich: "Die Branche ist in den letzten vier Jahren durch ein schlimmes Tal gegangen, bei der Windenergie hat es einen dramatischen Einbruch gegeben", sagt Geschäftsführer Wolfram Axthelm im Gespräch mit unserer Redaktion. Nach einer Zeit des stetig steigenden Zubaus bei der Windenergie an Land, wo in der Spitze im Jahr 2017 mehr als fünf Gigawatt Leistung installiert wurden, kam es infolge politischer Fehlentscheidungen zu einem deutlichen Rückgang, berichtet sein Verband. 2019 war dann mit nur knapp über einem

    Unter der alten schwarz-roten Bundesregierung unter Kanzlerin Angela Merkel habe es zwar Runde Tische gegeben, passiert sei aber wenig. "Die politisch verantworteten Schleifspuren wirken nach", sagt Axthelm. Fehlende Planungs- und Investitionssicherheit, ausbleibende Aufträge und unklare Zukunftsperspektiven haben unter anderem dazu geführt, dass entlang der gesamten Wertschöpfungskette in den vergangenen Jahren laut Schätzungen des Verbandes rund 40.000 Arbeitsplätze verloren gingen. Abstandsregeln wie 10H in Bayern haben die Situation nicht leichter gemacht.

    Der Optimismus kehrt langsam in die Windkraft-Branche zurück

    Die Windkraft-Branche baut jetzt darauf, dass sich die Situation mit den Ausbau-Zielen für grüne Energien ändert, die die Ampel-Regierung aus SPD, Grünen und FDP vorgelegt hat. Habeck plant eine Vollversorgung mit erneuerbarem Strom bereits. Unter den Windkraft-Bauern gebe es wieder "viel Optimismus", sagt Axthelm. "Wir haben den Eindruck, dass es die Ampel ernst meint." Die Gesetzesentwürfe zeigten den Weg zu einem deutlich höheren Zubau auf.

    Das Problem bisher: Bis ein Gesetz zu konkreten Aufträgen für die Industrie führt, dauert es einige Zeit. Bisher häufig Jahre. "Ziele sind gut und richtig, wir können aber die Produktion nur dann hochfahren, wenn unsere Unternehmen konkrete Projekte in den Büchern haben", sagt Axthelm. "Unsere Branche wartet auf ein glaubwürdiges Signal", fügt er an. Das sei dann der Fall, wenn die von Habeck im "Osterpaket" und insbesondere im "Sommerpaket" angekündigten Regeln für die beschleunigte Energiewende auch Gesetz werden. Darin geht es zum Beispiel um schnellere Genehmigungsverfahren, Flächen und Lösungen für die Konflikte mit dem Naturschutz.

    „Das Osterpaket ist der Beschleuniger für den Ausbau der erneuerbaren Energien", sagte Habeck bei der Vorstellung seiner Pläne. Dazu werde man die Geschwindigkeit des Ausbaus verdreifachen.

    Der Ausbau der Windkraft stockte in den letzten Jahren, ganze Werke mussten schließen.
    Der Ausbau der Windkraft stockte in den letzten Jahren, ganze Werke mussten schließen. Foto: Marcus Merk (Symbolbild)

    Ob die Wende für die Beschäftigten in Rostock noch rechtzeitig kommt? Zumindest ist das Ministerium offenbar in Gesprächen mit Nordex. "Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz hat die Entscheidung des Unternehmens, die Rotorblattfertigung in Rostock zu schließen, mit großem Bedauern zur Kenntnis genommen", teilte eine Sprecherin unserer Redaktion mit. "Wir stehen mit Nordex im engen und regelmäßigen Austausch."

    Aktualisierung: Inzwischen ist klar, dass die Hoffnungen der Mitarbeiter, dass Nordex die Rotorblatt-Fertigung in Rostock weiterführen könnten, geplatzt sind. Das Management und der Betriebsrat haben eine Einigung erzielt. Damit erhalten die betroffenen Beschäftigten neben einer Abfindung und einer Einmalzahlung die Möglichkeit des Eintritts in eine Transfergesellschaft.

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