Startseite
Icon Pfeil nach unten
Wirtschaft
Icon Pfeil nach unten

Energieversorgung: Was passiert, wenn das Gas wegbleibt?

Energieversorgung

Was passiert, wenn das Gas wegbleibt?

    • |
    Noch stimmt der Druck: zentrale Verteilerstation für Erdgas der Stadtwerke Augsburg.
    Noch stimmt der Druck: zentrale Verteilerstation für Erdgas der Stadtwerke Augsburg. Foto: Silvio Wyszengrad

    Seit Tagen greift Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck zu immer deutlicheren Tönen. „Wir müssen uns darauf vorbereiten, dass sich die Lage zuspitzt“, sagte der Grünen-Politiker diese Woche. Die Sorge um die Versorgung Deutschlands mit Erdgas ist groß. „Es geht darum, alles zu tun, um auch im kommenden Winter die grundlegende Versorgung aufrechtzuerhalten und die Energiemärkte so lange es geht am Laufen zu halten – trotz hoher Preise und wachsender Risiken.“ Das klingt alles andere als entspannt.

    Ein großer Teil der Sorgen geht auf die anstehenden Wartungsarbeiten an der Gas-Pipeline Nord Stream 1 in der Ostsee zurück. Die jährliche Revision beginnt am 11. Juli und dauert normalerweise zehn Tage. In dieser Zeit fließt kein Gas durch die Röhre. Das ist nicht ungewöhnlich, die Energieversorger sind darauf eingestellt. Derzeit liegt der Druck im Netz von Erdgas Schwaben bei 100 Prozent. „Auch während der planmäßigen Wartung von

    Bundesnetzagentur-Chef Klaus Müller befürchtet den Totalausfall

    Angesichts des Krieges Russlands gegen die Ukraine befürchten viele, dass die Pipeline nach der Wartung nicht mehr in Betrieb gehen könnte. Obwohl Deutschland seit Kriegsbeginn Gas verstärkt aus anderen Ländern bezieht, kommt noch immer ein großer Teil aus Russland. Habeck befürchtet ein Ausbleiben russischer Gaslieferungen: Es drohe ab dem 11. Juli „eine Blockade von Nord Stream 1“, sagte er. Bundesnetzagentur-Chef Klaus Müller befürchtet einen Totalausfall russischer Gaslieferungen. Ginge die Pipeline nicht wieder ans Netz, ließe sich dies im Sommer sicher abfangen.

    „Das Problem ist, dass es aber schwierig wird, die Gasspeicher bis zum 1. November zu 90 Prozent zu befüllen“, erklärt Nicole Fritz, Sprecherin des nordschwäbischen Gaslieferanten EnBW ODR. Bisher sind sie zu rund 63 Prozent voll. Mit dem Inhalt der Speicher lässt sich die deutsche Gasversorgung im Winter für rund 2,5 Monate sicherstellen. Zu leer dürfen die Speicher aber auch nicht werden. Sinkt der Stand unter 30 Prozent, sei es bislang offen, ob der Druck im Gasnetz noch ausreicht, um ganz Deutschland zu versorgen. „Wir würden in eine Gas-Mangellage hineinkommen“, erklärt Fritz. Bereits heute hat der Bund die zweite Stufe des Notfallplans Gas ausgerufen, die Alarmstufe. Fehlt noch mehr Gas, würde Habeck wohl die dritte und letzte Stufe ausrufen, die Notfallstufe.

    Die Kosten dürften noch einmal deutlich steigen

    In der Notfallstufe würde die Bundesnetzagentur die Kontrolle über die Gasverteilung übernehmen. Das rare Gut würde zugewiesen werden. Bestimmte Kunden würden Gas erhalten, andere nicht. Besonders geschützte Kundengruppen würden auf jeden Fall versorgt werden, erklären die Stadtwerke Augsburg „Dazu gehören etwa Haushalte, kleinere und mittlere Gewerbe sowie soziale Einrichtungen, Krankenhäuser oder Kraftwerke zur Erzeugung von Strom oder Fernwärme.“ Die Menge an Gas aus anderen Ländern wie Norwegen oder Holland reiche aus, um aktuell alle geschützten Kundengruppen versorgen zu können. „Dies gilt also selbst im Falle eines vollständigen Lieferstopps durch Russland“, so die Stadtwerke. Nicht geschützte Kunden, vor allem große Unternehmen, seien bereits seit Jahresanfang informiert, damit sie sich vorbereiten können, sagt Stadtwerke-Sprecher Jürgen Fergg. Aber selbst für den, der geschützt ist, dürften die Preise zum Problem werden. „Die Kosten steigen enorm und werden im Fall einer Notfalllage nochmals deutlich steigen“, warnt Fergg.

    Eine Schätzung hat Vorstand Sebastian Maier von EnBW ODR vorgenommen: „Wenn man 50 Prozent von einer Energiequelle abtrennt, eben die russischen Lieferungen auf dem Markt, dann sind die Konsequenzen umstritten“, sagt er. „Das Worst-Case-Szenario geht davon aus, dass der Gasmarkt komplett in sich zusammenbricht“, sagt er. „Wenn der Markt sich jedoch halten sollte, sind Szenarien mit Preisen zwischen 350 und 500 Euro pro Megawattstunde denkbar. Dann lägen wir im ungünstigsten Fall, bei Faktor 12 bis Faktor 20 oder sogar 25“, erklärt Maier. „Und die Auswirkungen auf die Volkswirtschaft und auf unser aller Alltag wären nicht abzusehen.“ Zum Vergleich: Jahrelang lag der Einkaufspreis bei rund 20 Euro pro Megawattstunde Gas. Was würde das in der Praxis bedeuten? Dem Verband der Wohnungs- und Immobilienunternehmen zufolge wird eine vierköpfige Familie im besten Szenario 1800 Euro mehr für Heizen und Strom zahlen als 2021. Im ungünstigen Fall wären es – wie berichtet – über 5000 Euro zusätzlich.

    Uniper braucht bereits Hilfe des Staates

    Der Druck auf die Gasversorger ist immens. Bereits heute kommt physisch weniger Gas aus Russland an. Der angeschlagene Gasimporteur Uniper, der unter anderem Stadtwerke beliefert, hat nach der Drosselung russischer Lieferungen am Freitag bei der Bundesregierung einen Antrag auf Stabilisierungsmaßnahmen gestellt. Dies könnte dazu führen, dass der Bund sich an Uniper beteiligt. Das Unternehmen muss zu hohen Preisen Gas nachkaufen, kann die gestiegenen Preise aber nicht weitergeben. Der Staat müsste über das Energiewirtschaftsgesetz erst den Weg dafür freimachen.

    Spitzt sich die Lage zu und erlaubt es der Staat den Großhändlern aber, die Preise weiterzugeben, gerieten eben die deutschen Stadtwerke in die Bredouille: „Der Druck auf die Stadtwerke nimmt jeden Tag zu“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, Helmut Dedy. Würden die Stadtwerke nämlich ihrerseits die Preisexplosion an die Haushalte weitergeben, wären viele wohl mit den Kosten überfordert. „Wenn sie sie aber nicht weitergeben, dann könnten viele kommunale Versorger in die Insolvenz rutschen“, hieß es.

    Was hilft? Gas sparen, sparen, sparen

    Fiele Nord Stream 1 dauerhaft aus, müsste Gas noch teurer nachgekauft werden. Um gerüstet zu sein, hat Wirtschaftsminister Robert Habeck in dieser Woche einen neuen Notfallmechanismus vorgestellt – ein Umlagesystem, um die Lasten gleichermaßen auf alle Kunden zu verteilen: „Würde die Bundesregierung den neuen Paragrafen 26 im Energiesicherungsgesetz aktivieren, so bedeutet dies in der Praxis eine zusätzliche staatliche Abgabe, in der die erhöhten Kosten der Ersatzbeschaffung gleichmäßig auf alle Gaskundinnen und -kunden verteilt werden“, erklärt man bei Erdgas Schwaben.

    Ginge Nord Stream 1 nach der Wartung also doch in Betrieb, wäre Deutschland viele Sorgen los. Habeck setzt auch darauf, dass das Land spätestens im Winter Flüssiggas über neue LNG-Terminals an der Küste importieren kann. Dass Gas aber bald billiger wird, ist unwahrscheinlich: „Es kommen noch enorme Preiserhöhungen auf uns zu“, warnt der Minister.

    Was tun als Kunde? Einen Appell teilen Regierung und Energieanbieter: Gas sparen, sparen, sparen. „Jede Kilowattstunde Gas, die wir im Sommer einsparen, trägt dazu bei, dass wir mehr Gas einspeichern und besser durch den Winter kommen können“, sagt EnBW ODR-Vorstand Maier.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden