Der 15. April brachte das Ende der Kernkraftnutzung in Deutschland. Ab Mitternacht speisten die letzten drei Atomkraftwerke Isar 2 in Bayern, Neckarwestheim und Emsland keinen Strom mehr ins deutsche Stromnetz ein. Wie aber hat das Energiesystem die Abschaltung verkraftet? Zwar ist die Stromversorgung stabil geblieben, die Meinungen gehen aber durchaus auseinander.
"Die Energieversorgung hat den Atomausstieg sehr gut verkraftet", sagt Claudia Kemfert, Energieökonomin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, unserer Redaktion. "Die restlichen drei Atommeiler haben noch knapp 6 Prozent des Stroms produziert. Der Wegfall dieser Stromproduktion ging im Rauschen des europäischen Strommarkts unter." Die wegfallenden Mengen seien gut zu ersetzen gewesen: "Die Stromproduktion aus erneuerbarer Energien ist in Deutschland deutlich gestiegen", sagt Kemfert.
Claudia Kemfert, DIW: Strom wird günstiger, der Anteil der erneuerbaren Energien steigt
Tatsächlich war der Mai - der Monat nach dem Atomausstieg - ein guter Monat für die erneuerbaren Energien. Sie trugen 69 Prozent der Nettostromerzeugung bei, berichtete kürzlich Professor Bruno Burger vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme im monatlichen Energy-Charts Talk.
Strom ist zudem günstiger geworden. "Der Strompreis an der Börse ist in dem Zeitraum des Atomausstiegs gesunken", sagt Kemfert. Im Mai lag der Börsenstrompreis für eine Lieferung am nächsten Tag im Schnitt bei rund 82 Euro pro Megawattstunde, so wenig wie zuletzt im Juli 2021, also lange vor dem Krieg gegen die Ukraine, bestätigt Burger. Zum Vergleich: Im April lag der Preis bei rund 100 Euro pro Megawattstunde, im Herbst 2022 teilweise über 400 Euro. Langsam kommen die Preissenkungen auch bei den Kundinnen und Kunden an.
Im Mai schnellten die Stromimporte aus dem Ausland auf drei Terawattstunden hoch
Erneuerbare Energien stehen aber nicht rund um die Uhr gleichermaßen bereit. Eine Frage ist deshalb, ob Deutschland seit dem Atomausstieg stärker von Stromimporten aus dem Ausland abhängig ist? Im Januar, Februar und März hatte Deutschland noch mehr Strom exportiert als importiert, im April war die Bilanz ausgeglichen. Im Mai - also nach dem Atomausstieg - schnellten die Importe aber nach oben. Deutschland führte rund drei Terawattstunden mehr Strom aus dem Ausland ein, als es exportierte.
Der Eindruck, dass sich Deutschland nicht mehr selbst mit Strom versorgen könne, ist aus Sicht von Burger aber falsch: "Die Kraftwerke haben genug Ressourcen, den Strom zu erzeugen." Grund für den Import im Mai seien die gefallenen Börsenstrompreise. Durch Schmelzwasser und Regenfälle in Österreich, der Schweiz und in Skandinavien sei in Europa sehr viel Wasserkraftstrom produziert worden. Es ist dann billiger, Strom zu importieren, als in Deutschland ein Steinkohlekraftwerk anzuwerfen.
Detlef Fischer, VBEW: Vorzeitiger Atomausstieg "war für Bayern ein Fehler"
Fakt ist aber auch, dass durch den Atomausstieg gerade in Bayern weniger Strom produziert wird als früher. Wurden 2012 noch rund 67 Terawattstunden Strom im Freistaat erzeugt, war es 2022 mit knapp 32 Terawattstunden nicht einmal die Hälfte, warnt der Verband der Bayerischen Energie- und Wasserwirtschaft. "Dieser Wert wird sich für 2023 und 2024 noch weiter reduzieren", sagt Hauptgeschäftsführer Detlef Fischer, schließlich sei die Kernkraft ja seit 15. April komplett weggefallen.
Zum Test für das Energiesystem dürfte damit erst der kommende Winter werden. "In einer längeren Dunkelflaute bleibt Bayern auf lange Sicht in erheblichem Umfang auf Importe angewiesen, um Strommangellagen zu vermeiden", sagt Fischer. Sein Resümee: "Der politisch motivierte vorzeitige Ausstieg aus der friedlichen Kernkraftnutzung war insbesondere für Bayern ein Fehler."