Das deutsche Energiesystem hat den Atomausstieg am 15. April 2023 bisher gut weggesteckt, sagen Expertinnen und Experten. Zur Bewährungsprobe könnte aber erst der kommende Winter werden: "Es besteht in Bayern ein Mangel an jederzeit abrufbarer Kraftwerksleistung, um Engpässe in der Stromerzeugung ausgleichen zu können", warnte unlängst Detlef Fischer, Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Bayerischen Energie- und Wasserwirtschaft. Einen Teil der weggefallenen Erzeugung der Atomkraftwerke könnten zwar inzwischen die Photovoltaik- und Windkraftanlagen übernehmen. Doch häufig legen diese erneuerbaren Energien "wetter- und tageszeitbedingt" eine Pause ein. Bedenken hat auch die Bundesnetzagentur, allerdings aus einem anderen Grund.
Das Problem aus Sicht Fischers ist es, dass Bayern alleine nicht mehr genügend Kraftwerke hat, die einspringen können, wenn Sonne und Wind gerade keine Energie liefern: "Kohle- und Ölkraftwerke sind nur in geringer Zahl vorhanden, der Ausbau der Erdgas- und zukünftig Wasserstoff-Kraftwerke blieb bis jetzt weit hinter dem zurück, was notwendig wäre, um die Kernkraft zu kompensieren", gibt sein Verband zu bedenken. "Das Potenzial von Biomasse und Wasserkraft für die Stromerzeugung ist weitgehend bereits erschlossen, langfristige Stromspeicher stehen praktisch gar nicht zur Verfügung."
Bayern ist immer stärker auf Stromimporte angewiesen
Das könnte gerade im Winter ein Problem sein, denn dann ist auch noch der Strombedarf besonders hoch: "Besonders die geplante große Zahl an Wärmepumpen erfordert das Vorhandensein von Kraftwerkskapazitäten, denn diese brauchen besonders im Winter Strom in beträchtlicher Menge", argumentiert Fischer. "Die auf vielen Häuserdächern montierten Photovoltaikanlagen haben dann, wenn es darauf ankommt, kaum einen Nutzen." Die Folge: "In einer längeren Dunkelflaute bleibt Bayern auf lange Sicht in erheblichem Umfang auf Importe angewiesen, um Strommangellagen zu vermeiden."
Dass Deutschland durch den Atomausstieg der Strom ausgeht, diese Befürchtung weist man bei der Bundesnetzagentur zurück. "Die Stromversorgung im nächsten Winter ist so sicher, wie wir es seit vielen Jahren gewohnt sind", teilte Klaus Müller mit, Präsident der Bundesnetzagentur.
Die Behörde hat kürzlich den Bedarf an Reservekraftwerken festgelegt. Dies sind zum Beispiel ältere Kohlekraftwerke, die im Notfall einspringen könnten, wenn im Netz eine angespannte Situation herrscht oder Engpässe zu befürchten sind. Die nötige Kapazität liegt für den kommenden Winter 2023/24 bei 4616 Megawatt. Das sei weniger als die 8264 Megawatt im Winter 2022/2023 oder die 5670 Megawatt im Winter 2021/22. Dahinter stecke aber "keine Erfolgsmeldung". Vielmehr seien einfach frühere Reservekraftwerke in den Markt zurückgekehrt, sodass sich der Reservebedarf logischerweise verringere.
Bundesnetzagentur: Nicht die Dunkelflaute ist das Problem
Nicht fehlender Strom in Deutschland könntealso für Bayern zum Problem werden, sondern diesen auch in den Süden des Landes zu bringen: "Herausfordernd für die Systemstabilität ist nicht die sogenannte Dunkelflaute, sondern eine Situation mit hohem Verbrauch im Süden und sehr viel erneuerbarer Erzeugung im Norden", erklärte Müller. "Das zeigt erneut, dass ein rascher Netzausbau für die Energiewende wesentlich ist und die Netzsicherheit erhöht", betonte er.
Ein Teil des Netzreservebedarfs – 1334 Megawatt – muss nach Angaben der Bundesnetzagentur über ausländische Kraftwerke gedeckt werden. "Das Verfahren der Übertragungsnetzbetreiber, mit dem Kraftwerke im Ausland unter Vertrag genommen werden, läuft derzeit", sagte ein Sprecher unserer Redaktion.
Dass sich Deutschland damit abhängig von ausländischen Atomkraftwerken macht, wie es häufig unterstellt wird, ist aber offenbar nicht der Fall: Den Atomkraftwerken in Frankreich komme "hier keine Bedeutung zu", so der Sprecher.