Startseite
Icon Pfeil nach unten
Wirtschaft
Icon Pfeil nach unten

Stromio, Gas.de, Grünwelt & Co.: Verbraucherzentrale hält Lieferstopp von Strom und Gas für rechtswidrig

Stromio, Gas.de, Grünwelt & Co.

Verbraucherzentrale hält Lieferstopp von Strom und Gas für rechtswidrig

    • |
    Lieferstopp durch gas.de, Stromio und andere: Verbraucherschützer argumentieren, dieser Schritt war nicht rechtens.
    Lieferstopp durch gas.de, Stromio und andere: Verbraucherschützer argumentieren, dieser Schritt war nicht rechtens. Foto: Norbert Försterling, dpa

    Die meisten Kundinnen und Kunden dürften selbst überrascht gewesen sein. Mehrere Billig-Energieanbieter haben in den letzten Wochen von einem auf den anderen Tag die Lieferung eingestellt und die Verträge gekündigt. Verbraucherschützer gehen davon aus, dass dieses Vorgehen nichts rechtens ist und raten Betroffenen, sich zu wehren.

    Der Gasanbieter gas.de beispielsweise hatte Anfang Dezember mitgeteilt, "alle Erdgaslieferverträge mit Ablauf des 2.12.2021 zu beenden". Der Stromanbieter Stromio teilte kurz vor Weihnachten auf der Internetseite mit, "alle Stromlieferverträge mit Ablauf des 21.12.2021 zu beenden". Angesichts der Feiertage könne es sein, dass die Kunden das persönliche Schreiben an sie erst verzögert erhalten und längst über die Grundversorgung durch einen lokalen Anbieter beliefert werden, ohne es zu wissen.

    Als Grund für den Lieferstopp geben die Energieanbieter die Preissteigerung an den Großhandelsmärkten für Gas und Strom an. "Zuletzt hat sich der Strompreis für Lieferungen in der kommenden Winterzeit auf den Beschaffungsmärkten in der Spitze um mehr als 400 Prozent erhöht", schreibt beispielsweise Stromio.

    Verbraucherschützer halten Verhalten der Billig-Anbieter für Vertragsbruch

    Verbraucherschützer gehen davon aus, dass der Lieferstopp nicht rechtens ist. "Unternehmen, die allein aufgrund der erhöhten Energiepreise Verträge kündigen und den Betrieb einstellen, handeln aus unserer Sicht rechtswidrig", sagt Thomas Bradler, Leiter des Bereichs Verbraucherrecht bei der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen, unserer Redaktion. "Ein Vertrag ist ein Vertrag, der Kunde hat ein Recht auf Lieferung", kommentiert er.

    Eine außerordentliche Kündigung sei bei Energielieferverträgen zwar möglich, schreibt die Verbraucherzentrale. "Allerdings muss ein wichtiger Grund vorliegen", erläutern die Experten. Ein Beispiel ist, dass der Kunde Rechnungen nicht beglichen hat. "Einen wichtigen Grund, also einen Grund im Verantwortungsbereich der Verbraucher:innen, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigt, können wir in den uns vorliegenden Unterlagen nicht erkennen", betonen die Experten.

    Dass wirtschaftliche Gründe wie schwankende Energiepreise die Kündigungen durch den Lieferanten rechtfertigen, bezweifelt man bei der Verbraucherzentrale. "Einige Energieanbieter haben sogar Preisgarantien gegeben und damit das Risiko schwankender Preise bewusst auf sich genommen", erklärt Bradler. "Die Kündigungen erscheinen uns deshalb nicht gerechtfertigt." Statt Verträge zu kündigen, könnten die Firmen einfach Preiserhöhungen ankündigen. Die Kunden könnten dann frei entscheiden, ob sie die höheren Preise akzeptieren oder den Anbieter wechseln.

    Wie Betroffene Schadenersatz geltend machen können

    Betroffenen rät die Verbraucherzentrale, sich gegen den Lieferstopp zu wehren und Schadenersatz geltend zu machen, vor allem, wenn der Vertrag noch mehrere Monate gelaufen wäre. "Der Anbieter hat sich für einen bestimmten Zeitraum zu der Belieferung mit Energie vertraglich verpflichtet", argumentiert die Verbraucherzentrale. Halte er die Verpflichtung nicht ein, indem er die Belieferung einstellt und auch nicht wirksam kündigt, liege eine Vertragspflichtverletzung vor. "Entsteht durch die Vertragspflichtverletzung ein Schaden, dann besteht ein Anspruch auf Ausgleich des Schadens."

    Betroffene Kunden, berichtet Bradler, könnten in einem ersten Schritt ihren alten Anbieter auffordern, sie wieder mit Strom und Gas zu beliefern. Es besteht die Chance, dass Anbieter versuchen, sich gütlich mit den Kunden zu einigen. Zudem könne man dem Anbieter schreiben, dass man die Kündigung für nicht rechtens hält und sich Schadenersatzansprüche vorbehält. In einem zweiten Schritt müsse man dann später seine Schadenersatzansprüche geltend machen.

    Gekündigte Kunden stehen nämlich nicht ohne Strom und Gas da. Sie werden stattdessen vom lokalen Grundversorger beliefert. Die Kosten können aber erheblich über dem bisherigen Tarif des alten Anbieters liegen. "Hat man zum Beispiel beim Grundversorger oder einem neuen Anbieter mehrerer Monate deutlich höhere Preise gezahlt, kann man die Mehrkosten bei dem alten Anbieter geltend machen", rät Verbraucherschützer Thomas Bradler. Bisher ist dies eine rechtliche Einschätzung der Verbraucherzentrale. Ob Gerichte den Sachverhalt später genauso sehen, ist offen.

    Unmut über Billiganbieter in der Energie-Branche wächst

    In der Energiewirtschaft aber wächst bereits jetzt der Unmut über Billiganbieter, die in guten Zeiten Kunden abwerben, in schlechten Zeiten aber die Lieferung einstellen und sich aus der Affäre stehlen. "Ein wesentliches Problem besteht darin, dass unseriöse Billiganbieter ihre Kunden nicht mehr beliefern, die dann in der Ersatzversorgung landen", kritisierte Kerstin Andreae, Chefin des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft. "Unseriösen Geschäftsmodellen muss Einhalt geboten werden", forderte sie. "Es ist falsch verstandener Verbraucherschutz, immer nur das billigste Angebot zu preisen." Denn für ihre neuen Kunden müssten die regionalen Energieanbieter nun "zu den aktuell extrem hohen Preisen zusätzlich Energie zukaufen", berichtet Andreae.

    In unserer Region sind frühere Kunden von gas.de beispielsweise durch die Grundversorgung von Erdgas Schwaben oder die der Stadtwerke Augsburg aufgefangen worden. Beide Unternehmen haben wie auch andere im Bundesgebiet inzwischen einen zweiten höheren Grundversorgungstarif eingeführt: „Für alle Neukunden, die von anderen Energieversorgern aus ihren Verträgen gekündigt werden oder wegen Insolvenzen nicht mehr versorgt werden, müssen wir zusätzliche Mengen Strom und Gas am Markt sehr teuer zukaufen", erklärte Geschäftsführer Alfred Müllner von den Stadtwerken Augsburg. "Deshalb müssen wir dafür auch in einem eigenen Grundversorgungstarif marktgerechte Preise verlangen“, sagte er.

    Die Stadtwerke möchten damit ihre Bestandskunden schützen. Im Sinne des Verbraucherschutzes sei es "nur fair, wenn Bestandskunden nicht für das Verhalten der Discountunternehmen aufkommen müssen", betont Energie-Expertin Andreae. Sie fordert von der Politik, sicherzustellen, dass Energieanbieter ihren Lieferverpflichtungen auch nachkommen.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden