Seit dem 14. November sind die deutschen Erdgasspeicher rechnerisch zu 100 Prozent gefüllt, die gesetzlichen Füllstandsziele wurden alle vor der Zeit erreicht. Doch reicht das Gas nun auch sicher über den Winter? Der Verband der Speicherbetreiber, Initiative Energien Speichern (Ines), hat dies in einem Modell berechnet und am Freitag mehrere Szenarien vorgestellt.
Die gute Nachricht vorweg: Wenn der Winter nicht noch extrem kalt wird, ist eine Gasmangellage "sehr unwahrscheinlich", wie der Geschäftsführer des Verbands, Sebastian Blaschke, erklärte.
Ines hat mit einem umfangreichen Gasmarktmodell auf Basis aktueller Verbrauchsdaten zwei Extremszenarien mit unterschiedlichen Temperaturprognosen für den Winter berechnet. Hintergrund ist, dass der größte Teil des Gasverbrauchs im Winter von den Temperaturen abhängt. Wenn es kälter ist, wird mehr Gas für die Produktion von Wärme verbrannt. Unter der Annahme, dass der Winter in Europa "normal" ist, das heißt, ungefähr dem Wetterjahr 2016 entspricht, geht Ines davon aus, dass kein Gasmangel in Deutschland entstehen wird.
Wird der Winter warm, bleibt viel Gas in den Speichern
Der höchste Verbrauch werde demnach im Januar zu beobachten sein, mit im Schnitt 4,5 Terrawattstunden (TWh) pro Tag. Doch auch zu diesem Zeitpunkt kann der Verbrauch demnach zu über 50 Prozent aus dem Import von Gas (2,4 TWh/Tag) gedeckt werden.
Ab April ist demnach bereits wieder mit einer Einspeicherung von Gas zu rechnen. Das ist wichtig, denn in der Folge werden die Speicher auch für den Winter 2023/24 erneut zu 100 Prozent befüllt werden können - voraussichtlich schon zum Ende des Sommers. Doch neben diesem Szenario gibt es noch zwei andere.
Legt man dem Szenario die Wetterdaten aus der EU für das Jahr 2010 zugrunde, ändert sich das Bild dramatisch. Der Winter damals war kalt, im Januar herrschten im Monatsmittel Temperaturen von -4,6 Grad Celsius. Wenn der Winter sich genauso wiederholen würde, nimmt die Ausspeicherung von Gas schon im Dezember massiv zu. Spätestens zum Februar wären die Speicher leer, und Import sowie die ohnehin verschwindend geringe deutsche Produktion würden nicht ausreichen, um den Bedarf zu decken. Die Gasmangellage wäre da. Geschätzt zehn TWh Gas pro Tag würden fehlen - das sind etwa 21 Prozent des deutschen Gasverbrauchs.
Der Gasverbrauch im Sommer ist relativ stabil
Die gute Nachricht aber auch hier: Auch nach einem sehr kalten Winter dürften die Gasspeicher für die Saison 2023/24 gut zu füllen sein. Nur wenn es auch im Herbst 2023 sehr kalt wird, ist das Ziel eines Füllstands von 95 Prozent bis Ende Oktober 2023 in Gefahr. Momentan rechnet der Deutsche Wetterdienst laut Ines-Chef Blaschke eher mit einem milden Winter. Sollte er sogar so warm werden wie im Jahr 2020, das heißt, eine Temperatur von +4,5 Grad Celsius im Monatsmittel des Januar, könnten die Gasspeicher Ende März sogar noch zu 57 Prozent gefüllt sein.
Jede Prognose ist aber nur so gut wie ihre Annahmen. Das bekräftigte auch Blaschke, der erklärte, dass alle Aussagen auf der Annahme beruhten, dass die Versorgung mit dem Flüssiggas LNG wie angekündigt funktioniere. Das gelte vor allem für die Wintermonate. Im Sommer sei der Bedarf an LNG nicht so groß, daher sei es laut Blaschke auch nicht verwunderlich, dass sich zuletzt noch Flüssiggastanker vor den Terminals gestaut hatten. "Das war quasi die Ruhe vor dem Sturm", so Blaschke.
Russland liefert weiter Gas nach Europa
Ende August sind die Gaslieferungen aus Russland nach Deutschland vollständig zum Erliegen gekommen. Deutschland konnte den Wegfall dieser Importe vor allem durch eine Reduktion des Verbrauchs und eine Steigerung der Liefermenge aus Norwegen, den Niederlanden und Belgien wettmachen. Doch Russland liefert weiterhin Gas nach Europa. Über die Ukraine, die Türkei und Litauen fließt Gas vor allem nach Südosteuropa. Sollten diese Lieferungen künftig auch ausbleiben, drohten zunächst einmal Engpässe in Südosteuropa. Für den Fall, dass wegfallende Lieferungen nicht durch LNG ausgeglichen werden könnten, rechne er mit einem Preiseffekt und in der Folge einer Verbrauchsreduktion, sagte Blaschke.