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Energie-Serie: Zusammen unabhängig: In Hagau bleibt die Nahwärme im Dorf

Energie-Serie

Zusammen unabhängig: In Hagau bleibt die Nahwärme im Dorf

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    Zündkerzenwechsel am Herzstück der Biogasanlage: Ludwig Fensterer (links) und Alfred Luderschmid am Blockheizkraftwerk, das aus Biogas Strom erzeugt. Und jede Menge Wärme.
    Zündkerzenwechsel am Herzstück der Biogasanlage: Ludwig Fensterer (links) und Alfred Luderschmid am Blockheizkraftwerk, das aus Biogas Strom erzeugt. Und jede Menge Wärme. Foto: Marco Keitel

    Alfred Luderschmid steht in einem kleinen Raum in der großen Scheune an seiner Biogasanlage und deutet auf eine silbern glänzende Röhre. Mit Biogas befeuert sie einen grün lackierten Motor. Der treibt einen Generator an, der Strom ins Netz speist und damit 1600 Haushalte versorgen kann. Ganz nebenbei entsteht dabei Abwärme, die den meisten der 77 Einwohnerinnen und Einwohnern des Dorfes Hagau im Landkreis Donau-Ries das ermöglicht, was sich seit einigen Monaten viele in Deutschland wünschen: Unabhängigkeit von russischem Gas. Zumindest beim Heizen.

    Hier entsteht die Wärme, mit der fast ganz Hagau heizt: Die Biogasanlage von Alfred Luderschmid. Mit den Kränen wird eine neue Trocknungshalle gebaut.
    Hier entsteht die Wärme, mit der fast ganz Hagau heizt: Die Biogasanlage von Alfred Luderschmid. Mit den Kränen wird eine neue Trocknungshalle gebaut. Foto: Marco Keitel

    Diese Unabhängigkeit hatten die Hagauer schon lange vor dem russischen Krieg in der Ukraine. 2010 gründeten sie ihre Nahwärmegenossenschaft. Solange bei Alfred Luderschmid aus Mais, Gras und Ganzpflanzensilage Strom wird, brauchen sie sich um explodierende Gaspreise nicht zu kümmern. Rund 60 Dorfbewohner sind Teil der Genossenschaft. Von Anfang an dabei war neben Luderschmid auch Ludwig Fensterer. Beide sind im Vorstand, beide sind Ur-Hagauer. Manche im Dorf hätten vor zwölf Jahren noch mit Holz geheizt, erzählt Fensterer. Sie hätten sich Gedanken gemacht, wie sie ihre Häuser in Zukunft warm bekommen wollen.

    So kam das Dorf Hagau im Landkreis Donau-Ries zur Nahwärme

    Schnell kam die Idee zum Nahwärmenetz. Fensterer, der gelernter Betriebswirt ist und ein IT-Unternehmen in München hat, überlegte, ob das Projekt realisierbar ist. Mit einem Kredit der staatlichen Förderbank KfW und den Investitionen der Genossenschaftsmitglieder kamen die Hagauer auf rund 250.000 Euro. "Wir haben uns dazu entschlossen, selber zu bauen", sagt Fensterer.

    Fast das ganze Dorf hat mit angepackt: 2010 haben die Bewohner die Leitungen für ein Nahwärmenetz verlegt.
    Fast das ganze Dorf hat mit angepackt: 2010 haben die Bewohner die Leitungen für ein Nahwärmenetz verlegt. Foto: Nahwärmesystem Hagau eG

    Die Hagauer machten sich an die Arbeit – mit Schaufeln in der Hand oder in den Fahrerhäusern von Baggern hoben sie Gräben im ganzen Dorf aus. "Jeder Haushalt musste mitarbeiten." Die Bewohner, vor deren Grundstück gerade gegraben wurde, stellten Kaffee und Kuchen bereit.

    Was macht es mit dem Zusammenhalt eines Dorfes, wenn man monatelang Seite an Seite arbeitet? "Das hatte einen positiven Effekt, auch wenn das Dorfleben vorher schon nicht schlecht war", sagt Fensterer. Fotos aus der Zeit zeigen Menschen mit Arbeitshandschuhen, die zu siebt eine lange Leitung heben, daneben ein Graben dort, wo vorher der Gehweg war. Die Fotos zeigen auch Menschen, die zusammen auf Bierbänken sitzen mit belegten Brötchen in den Händen und lächelnden Gesichtern.

    Schnell konnte mit der Wärme der Biogasanlage geheizt werden

    Im September 2010 starteten die Arbeiten, vor Weihnachten wurde zum ersten Mal Wärme übertragen. Ein positiver Nebeneffekt: Weil die Gehwege ohnehin schon aufgegraben waren, verlegten die Dorfbewohner gleich Leerrohre, durch die ein Anbieter später Glasfaserkabel für schnelles Internet zu den Häusern brachte.

    Dafür, dass es die Hagauer im Winter warm haben, sorgt seit über einem Jahrzehnt eine Ringleitung, die warmes Wasser von Luderschmids Hof durch das Dorf transportiert und dort von jedem Haushalt, der Teil der Genossenschaft ist, für Heizung und Warmwasser entnommen werden kann. Fensterer wohnt ein paar Häuser entfernt von Luderschmids Hof und zeigt in einen Raum in seinem Keller, wo die Wärme ankommt: Die Übergabestation ist ein kleiner Kasten mit einem Bildschirm und einer Filteranlage, daneben ein Pufferspeicher, ein zwei Meter hoher Zylinder, der warmes Wasser speichert. Das kalte Wasser fließt zurück zu Luderschmids Hof, wo es durch die Abwärme der Biogasanlage wieder erhitzt wird.

    Die Übergabestation im Keller von Ludwig Fensterer. Hier kommt das Wasser aus dem Nahwärmenetz an, mit dem er heizt. Vorne rechts ist der Pufferspeicher.
    Die Übergabestation im Keller von Ludwig Fensterer. Hier kommt das Wasser aus dem Nahwärmenetz an, mit dem er heizt. Vorne rechts ist der Pufferspeicher. Foto: Marco Keitel

    120 Euro Grundpreis zahlen die Mitglieder der Nahwärme Hagau pro Jahr. Die Heizkosten richten sich nach verschiedenen Faktoren, etwa der Preisentwicklung landwirtschaftlicher Produkte. Aktuell bewegen sich die Gesamtkosten pro Haus zwischen 1000 und 2000 Euro, je nach Größe und Wärmedämmung. Bei Heizöl und Erdgas - sprich bei jenen, die keine Nahwärme beziehen - wird es heuer laut Expertenschätzungen für viele teurer.

    Die Preisexplosion in diesem Bereich könnte Genossenschaftsmodelle mit einer Wärmeerzeugung vor Ort attraktiver machen. 847 Energiegenossenschaften gibt es laut dem Deutschen Genossenschafts- und Raiffeisenverband (DGRV) hierzulande. Rund ein Viertel davon beschäftigt sich mit dem Betrieb von Wärmenetzen. Noch beliebter ist die Stromerzeugung durch Photovoltaik oder Wind.

    Die Nahwärme boomt weiter, vor allem in Bayern

    Viele dieser Genossenschaften planen heuer keine neuen Projekte. Eine positive Entwicklung gibt es dagegen bei Nahwärmegenossenschaften. Benjamin Dannemann vom DGRV sagt: "Sie sind ein attraktives Feld, insbesondere in Bayern im ländlichen Raum."

    Im Donau-Ries zeigt sich das besonders deutlich, nicht nur in Hagau. Bei der Fahrt durch die Dörfer tauchen immer wieder runde Hallen mit Kuppeldächern auf, die erkennen lassen: Hier wird Biogas erzeugt. Im Landkreis gibt es mehr als 2000 Hausbesitzer, die mit der Abwärme einer der 100 regionalen Biogasanlagen heizen. 60 regionale Wärmenetze sind hier auf diese Art entstanden. Nicht alle sind in Form einer Genossenschaft organisiert, aber ihre Beliebtheit ist groß. Laut dem Genossenschaftsverband Bayern gab es heuer im Freistaat alleine im ersten Halbjahr sechs Neugründungen im Bereich Nahwärme.

    Biogasanlagen: Fluch oder Segen?

    Dabei gibt es an Biogasanlagen immer wieder Kritik. Etwa die, dass Mais-Monokulturen entstehen, weil es die effizienteste Pflanze für Biogas ist. Die Bundesregierung scheint solche Bedenken angesichts der Gaskrise vorübergehend hintanzustellen, sie hat die jährliche Maximalproduktion der Anlagen ausgesetzt.

    Auch Alfred Luderschmid teilt die Bedenken der Kritiker nicht. Er steht auf seinem Hof und zeigt auf die Stationen seiner Biogasanlage: die Fermenter, den Nachgärer, das Endlager – runde Hallen, in denen Gas erzeugt und gespeichert wird und die Gärreste lagern. Dann wandert Luderschmids Blick in Richtung der umliegenden Felder. "Mais ist die geniale Pflanze schlechthin", sagt er. Er liefere maximale Energie pro Hektar und nehme viele Sonnenstunden mit, weil er von April bis Oktober auf dem Feld stehe.

    "Biogas ist viel umweltschonender, als wir uns das vorstellen können", sagt der 58-Jährige. Er spricht von einem gesunden Kreislauf, bei dem die Gärreste, die übrig bleiben, hochwertiger Dünger seien.

    Außerdem seien die Biogasanlagenbetreiber gute Partner für Stromvermarkter. Denn sie können rund um die Uhr liefern. Das hört man an diesem Vormittag im August auch an Luderschmids Blockheizkraftwerk, der Kombination aus Motor und Generator. Besser gesagt: Man hört nichts. Der Motor steht still. Die Sonne scheint, und so wird zu dieser Zeit etwa auch von Photovoltaikanlagen viel Strom gewonnen. Sie sind von äußeren Einflüssen abhängig, Biogasanlagen nicht.

    Wie sehr wissen die Hagauer ihre Selbstständigkeit beim Heizen in dieser Zeit rasant steigender Gaspreise zu schätzen? Fensterer sagt: "Man schläft natürlich schon ruhiger, wenn man weiß, dass man nicht von irgendwelchen Oligarchen abhängig ist." Sollte also jedes Dorf mit ähnlichen Voraussetzungen wie Hagau das Projekt Nahwärme starten? Grundsätzlich schon, sagt der 67-Jährige, aber es komme immer auf die Bedingungen an. Fast alles in Eigenregie zu machen, wie es die Hagauer getan haben, sei bei größeren Dörfern schwierig. "Ein Patentrezept gibt es nicht." (mit fene)

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