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Energie: Habecks Pläne: Viel Grünstrom – und ein bisschen Atomkraft?

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Habecks Pläne: Viel Grünstrom – und ein bisschen Atomkraft?

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    Klimaminister Robert Habeck stellt die Weichen, um Deutschland bis 2035 mit reinem Ökostrom zu versorgen. Geht die Rechnung auf?
    Klimaminister Robert Habeck stellt die Weichen, um Deutschland bis 2035 mit reinem Ökostrom zu versorgen. Geht die Rechnung auf? Foto: Oliver Berg, dpa

    Der Einmarsch Russlands in die Ukraine hat Deutschland seine Energieabhängigkeit vor Augen geführt. Ohne Gas, Öl und Kohle aus Russland stünde weniger durch Russland erpressbar und gleichzeitig klimafreundlicher. Wind und Sonne sind „die einzige Energieform, die niemandem gehört, wo auch keiner sagen kann, alles meins und damit erpresse ich euch“, sagt Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne).

    Deshalb hat er ein neues Ziel ausgerufen: Bis 2035 soll der hierzulande erzeugte Strom vollständig aus grünen Quellen stammen. Damit sollen dann Autos fahren und Wohnungen geheizt werden. Derzeit sind rund 45 Prozent des Stroms nachhaltig, wofür 20 Jahre gebraucht wurde. Nach einer Hochlaufphase soll ab 2027 der Zubau von Windrädern im Vergleich zu heute verdreifacht werden. Gleiches gilt für die Photovoltaik. Rasant zulegen wird nach Habecks Vorstellung auch die Zahl der Windparks, die vor den Küsten aufgestellt werden. Damit sich mehr Hausbesitzer Solarmodule auf das Dach schrauben lassen, will der Minister schon in diesem Jahr die Einspeisevergütung für den damit erzeugten Strom erhöhen.

    Forderungen, die drei letzten Kernkraftwerke am Netz zu lassen

    Habeck erfüllt damit seinen ersten Arbeitsauftrag aus dem Koalitionsvertrag. Kurzfristig nützt es Deutschland angesichts des Krieges in der Ukraine und möglicher Engpässe bei der Versorgung mit Brennstoffen natürlich nichts. Im Gegenteil: Die Verringerung der Abhängigkeit von Russlands Exporten wird Jahre dauern. Deshalb muss der Politiker der Grünen eine Debatte führen, die er nicht führen wollte. Forderungen werden laut, die verbliebenen drei Kernkraftwerke länger laufen zu lassen und den Kohleausstieg zu verzögern. Während letzteres für die Grünen eine Kröte ist, rüttelt ersteres an den Grundfesten der Partei. Habeck versucht, Zeit zu gewinnen und hat deshalb eine Prüfung angekündigt. In seinem Umfeld macht man aber deutlich, dass die Grünen alles dafür tun werden, dass die Atomkraftwerke wie geplant bis Ende des Jahres vom Netz gehen.

    Gespalten – Gundremmingen und das Ende der Atomkraft

    Ob es beim Zeitplan des Atomausstiegs bleibt, wird vom Feldzug in der Ukraine abhängen. Stoppt Russland die Lieferungen mit Öl und Gas oder entscheiden sich die Europäer, dem Kreml keine Brennstoffe mehr abzukaufen, wird eine Laufzeitverlängerung wahrscheinlich. Wird die EU weiter mit russischen Rohstoffen versorgt, besteht dafür keine Notwendigkeit.

    Um im nächsten Winter nicht erneut von Präsident Wladimir Putin unter Druck gesetzt werden zu können, plant Habeck den Aufbau einer nationalen Kohle- und Gasreserve. Bislang gibt es diese nur für Erdöl. Per Gesetz sollen die Betreiber von Gasspeichern, darunter Russlands Staatskonzern Gazprom, gezwungen werden, die Speicher vor dem Winter zu füllen. Für die Bevorratung mit Steinkohle hat der Wirtschaftsminister noch keine Eckpunkte ausgearbeitet, sondern nur die Absicht dazu erklärt.

    Claudia Kemfert, DIW: "Benötigen ein Apollo-Programm für die Energiewende"

    Die Ökostrom-Pläne Habecks stoßen auf Zuspruch. Fachleute halten es für machbar, bis 2035 auf eine reine Ökostromversorgung zu kommen. „Es ist nicht nur machbar, eine Vollversorgung aus erneuerbaren Energien in den kommenden 10 Jahren zu erreichen, sondern dringend geboten“, sagt Energieökonomin Claudia Kemfert von Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung unserer Redaktion. „Wir benötigen ein Apollo-Programm für die Energiewende“, sagt sie. „Das Ausbautempo erneuerbarer Energien muss vervierfacht werden, Genehmigungsverfahren aus Versorgungssicherheitsgründen vereinfacht und verkürzt werden.“

    Durch den Ukraine-Krieg entsteht eine neue Notwendigkeit und Chance für die Energiewende, findet auch Andreas Kuhlmann, Chef der Deutschen Energieagentur dena: „Gestern war es im Grunde eine Unmöglichkeit, heute aber ist es fast schon die Verpflichtung der Bundesregierung, den Umstieg auf eine 100-prozentige Versorgung mit erneuerbarem Strom mit aller Kraft zu versuchen“, sagt er.

    Technisch ließe sich am schnellsten die Solarenergie ausbauen, meint Kuhlmann. „Hier ist eine Aufstockung schon in zwei bis drei Jahren sichtbar“, sagt er. Aber stehen in kurzer Zeit überhaupt genug Solarpaneele bereit?

    Carsten Körnig, Bundesverband Solarwirtschaft: "Am unteren Ende dessen, was notwendig wäre"

    Der Bundesverband Solarwirtschaft sieht wenig Engpässe, hält aber aber Habecks Solar-Ziele für zu lasch: „In ihren Ausbauzielen für die Photovoltaik orientiert sich die Bundesregierung am unteren Ende dessen, was die Solarbranche und die Wissenschaft zur Umsetzung der Klimaziele für notwendig und leistbar erachtet“, kritisiert Hauptgeschäftsführer Carsten Körnig.

    „Die bislang bekanntgewordenen Maßnahmen-Entwürfe im Rahmen der anstehenden EEG-Reform dürften nach unserer Einschätzung nicht ausreichen, um die gewünschte Investitionsdynamik in die Photovoltaik zu entfachen“, sagt Körnig. Dazu bedürfe es mehr Anreize für Investoren, Firmendächer mit Solaranlagen zu versehen. „Zudem muss das bestehende sehr restriktive Standortkorsett für die Errichtung ebenerdig errichteter Solarstromanlagen gelockert werden, um zwei Beispiele zu nennen“, sagte Körnig.

    Ulrich Wagner, Handwerkskammer für Schwaben: Fachkräfte können nicht aus dem Hut gezaubert werden

    Bei der Handwerkskammer für Schwaben hat man dagegen Sorgen, dass Fachkräfte fehlen: „Selbst wenn es gelänge, die finanziellen und gesetzlichen Rahmenbedingungen in kürzester Zeit bereit zu stellen, so sind die auf breiter Front fehlenden Fachkräfte der Knackpunk“, sagte Ulrich Wagner, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer. „Diese können nicht aus dem Hut gezaubert werden. Es braucht dazu Spezialisten, die in den in Frage kommenden Branchen rar sind“, sagt er. Müssten wir also länger bei Kohle und Atom bleiben?

    Einer Laufzeitverlängerung der Atom- oder Kohlekraftwerke erteilt Kemfert eine Absage: „Statt Laufzeitverlängerungen von Atom und Kohle brauchen wir einen Booster für erneuerbare Energien“, sagt sie: „Eine Verlängerung von Atom und Kohle macht uns nach wie vor erpressbar, zudem behindern sie den Umstieg hin zur Vollversorgung mit erneuerbaren Energien. Atom und Kohle sind die Bremsen der Energiewende, die müssen nun endlich weg.“

    Gaskraftwerke halten Experten dagegen trotz des Russland-Konflikts für notwendig: „Gaskraftwerke werden wir am Ende trotz der Beschleunigung der Energiewende brauchen“, sagte dena-Chef Kuhlmann. Gas-Meiler springen schnell ein, wenn Strom von Wind und Sonne fehlt. Er sieht Möglichkeiten ohne russisches Gas auszukommen: „In Europa kommen zwei Drittel des Gases nicht aus Russland“, erklärt der Fachmann. Pläne der EU sehen zudem vor, sie perspektivisch mit Wasserstoff zu befeuern. „Idealerweise haben wir 2035 dann grünen Wasserstoff, um die Kraftwerke zu betreiben“, sagt Kuhlmann.

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