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Energie: Gas-Experte: "Wir könnten noch ganz andere Preise sehen"

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Gas-Experte: "Wir könnten noch ganz andere Preise sehen"

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    Das Gas wird wohl länger teuer bleiben.
    Das Gas wird wohl länger teuer bleiben. Foto: Jens Büttner, dpa

    Herr Kusterer, Gas hat sich in den vergangenen Monaten sprunghaft verteuert. Erste Energieversorger sind pleite, und in der Politik wird über Gegenmaßnahmen beraten. Was steht den Endverbrauchern im Winter bevor?

    Helmut Kusterer: Was wir derzeit im Markt erleben, ist wirklich eine Sondersituation. Das hohe Preisniveau und die Preissprünge auf diesem Niveau sind für die Gas-Einkäufer und -Händler nicht kompensierbar. Die Verbraucher werden sich in diesem und im kommenden Winter auf saftige Preiserhöhungen einstellen müssen.

    Steht Deutschland nur vor massiven Preiserhöhungen oder könnte Gas auch knapp werden und ausgehen? Immerhin streitet sich die Welt ja gerade um diesen Rohstoff…

    Kusterer: So schnell geht das Gas nicht aus. Am Ende wird es aber eine Frage des Preises sein, den man bereit ist, dafür zu zahlen.

    Aber die Knappheit ist doch schon da?

    Kusterer: Das stimmt. Im Moment kommen viele Faktoren zusammen. Allgemein gesprochen war das Investitionsklima im Öl- und Gasmarkt in den vergangenen Jahren nicht gut. Die Preise für fossile Energieträger waren niedrig, was die Erschließung neuer Vorkommen gehemmt hat. Die Börsenkurse von Konzernen wie Exxon oder Shell liegen unter dem Niveau vor fünf Jahren. Dazu kommt, dass aufgrund der Klimadebatte immer weniger Investitionen in den Sektor fließen, weil Banken und Fonds ihre Gelder umlenken.

    Insgesamt wurde das Gas-Angebot knapper, etwa weil Shale-Gas-Produzenten in den USA reihenweise aufgeben mussten. In Europa spüren wir die Lage wie im Brennglas. Mit den Niederlanden hat einer der größten Gasproduzenten des Kontinents die Gasförderung fast gänzlich eingestellt. Und auch die deutsche Eigenförderung, die früher einmal rund 10 Prozent unseres Bedarfs deckte, ist massiv zurückgegangen. Bei internationalen Verwerfungen kann Europa heute schwerer mit eigenen Mengen gegenhalten als früher, und das merkt man gerade im Preis.

    Deutschlands wichtigstem Gaslieferanten Russland wird vorgehalten, die Lage zu verschärfen und weniger als möglich zu liefern, um Druck für eine zügige Genehmigung der North-Stream-2-Pipeline aufzubauen. Stimmt das?

    Kusterer: Aus einer politischen Logik heraus scheint diese Argumentation bestechend zu sein. Marktwirtschaftlich gesehen, ist es nicht so eindeutig. Als Beleg für die These, dass Russland der böse Bube ist, wird zurzeit der Füllstand der von Gazprom in Europa betrieben Gasspeicher genannt. Er ist tatsächlich für die Jahreszeit sehr gering. Dahinter könnte aber schlicht auch eine Fehleinschätzung des Marktes stecken, der durch die Corona-Krise 2020 und die danach schnell wieder anziehende Nachfrage durcheinandergewirbelt wurde.

    Molchstation, Rohrsysteme und Absperrvorrichtungen in der Gasanlandestation von Nord Stream 2.
    Molchstation, Rohrsysteme und Absperrvorrichtungen in der Gasanlandestation von Nord Stream 2. Foto: Jens Büttner, dpa

    Generell kostet es Gasunternehmen viel Geld, Gas in Speicher zu drücken, das später nicht abgerufen wird. Genau das ist aber im Krisenjahr 2020 passiert. Ende 2019 waren die Speicher voll, aber 2020 zerfiel die Nachfrage und die Preise waren im Keller und deswegen scheint es naheliegend, dass sich Gazprom in diesem Jahr zurückgehalten und weniger eingespeist hat, auch um seine Kosten zu optimieren. Die vertraglich zugesicherten Mengen wurden geliefert, aber eben nicht mehr.

    Was auch immer die Motive waren, der Schlamassel ist nun da, oder?

    Kusterer: Es wird auf den Winter ankommen. Wenn er deutlich kälter wird als der langjährige Durchschnitt, wird die Unruhe im deutschen Gasmarkt schnell zunehmen. Wir könnten dann noch ganz andere Preise sehen. Dann wird es hektisch.

    Die Gasversorgung war schon immer ein neuralgischer Punkt für Deutschland. 2012 mussten sogar Kraftwerke und Industriebetriebe vom Netz genommen werden, um die Versorgung der Bürger aufrechtzuerhalten. Hat Deutschland nichts gelernt?

    Kusterer: Ich würde nicht allzu schwarzmalen. Die deutsche Gas-Infrastruktur ist nicht zuletzt als Folge der damaligen Winterkrise intakt. Wir haben das Niveau an großen, saisonalen Gasspeichern erhalten können, obwohl deren Betrieb wirtschaftlich gesehen in Normaljahren nicht sonderlich lukrativ ist. Mit Nord Stream 1 und 2 wurden die Einspeisungen weiter diversifiziert, und wir haben jetzt direkten Zugang zum russischen Pipelinesystem. Mit neuen Leitungen wie der Opal- oder Eugal-Pipeline kann Gas zudem von Ostdeutschland besser in den Süden der Republik gebracht werden. In Europa stehen zudem viele unausgelastete Terminals für die Einspeisung von verflüssigtem Erdgas (LNG) zur Verfügung. Insgesamt sind wir strukturell besser auf Krisen vorbereitet als vor einem Jahrzehnt. Die derzeit extrem hohen Preise und die enormen Preisschwankungen machen mir aber dennoch Sorge.

    Warum genau?

    Kusterer: Wenn die Preise noch weiter steigen, könnte ein Szenario eintreten, das wir in ähnlicher Weise im Bankenmarkt in der Finanzkrise von 2007/08 gesehen haben. Damals haben sich die Banken untereinander kein Geld mehr geliehen, weil sie einander nicht mehr vertraut haben. Die sogenannten Kreditlinien waren ausgeschöpft. Das hat zu einer fatalen Kreditklemme und Pleiten geführt. Im Strom- und Gasgeschäft ist es vergleichbar. Die Unternehmen räumen sich untereinander Kreditlinien ein. Wenn die Energie- , also auch die Gaspreise weiter steigen, reichen die Kreditlimits nicht mehr aus, die bestellten Mengen zu decken. Wenn wir in einen Zustand geraten, wo der eine Händler dem anderen nicht mehr traut, weil er ihn nicht mehr für liquide hält, haben wir eine sehr brenzlige Situation. Was dann passiert, will ich mir gar nicht ausmalen.

    Was?

    Kusterer: Der Handel könnte zum Erliegen kommen. Der Markt wäre außer Kraft gesetzt. Dieses Szenario halte ich für deutlich gefährlicher als Diskussionen um Speicherfüllstände von Gazprom, denn es betrifft den Strom- und den Gasmarkt.

    Was kann der Verbraucher tun, um die derzeitige Gaspreisexplosion abzumildern?

    Kusterer: Sparen, nicht alle Zimmer heizen und schon gar nicht auf 24 Grad Celsius. Außerdem haben erstaunlich viele Haushalte noch nie den Versorger gewechselt und beziehen ihr Gas immer noch über teure Grundversorgungstarife ihres lokalen Energieanbieters. Sie sollten sich auch Gedanken über bessere Dämmung, neue Fenster oder eine effizientere Heizung machen. Die nächste Energiepreiskrise kommt ziemlich sicher wieder.

    Wer sein Dach dämmt, spart Heizkosten. Bauexperten raten dazu, bei der Sanierung des Eigenheims gleich mehrere Maßnahmen zu kombinieren. So lasse sich auf lange Sicht Geld sparen.
    Wer sein Dach dämmt, spart Heizkosten. Bauexperten raten dazu, bei der Sanierung des Eigenheims gleich mehrere Maßnahmen zu kombinieren. So lasse sich auf lange Sicht Geld sparen. Foto: Kai Remmers, dpa

    Und die Lehren für die Politik?

    Kusterer: Gute Frage. Der Staat, die Politik könnte zum Beispiel Energiesteuern oder die Doppelbesteuerung durch Mehrwertsteuer auf Energiesteuern reduzieren. Bei allem Enthusiasmus für erneuerbare Energien rate ich dazu, Gas als Energieträger nicht zu vergessen. Es wird auf absehbare Zeit eine Schlüsselrolle im weltweiten und deutschen Energiemix spielen, zumal Kernkraft und Kohle vor dem Aus stehen. Was die Bezugsquellen angeht, erscheint mir der Mix aus Pipelinegas aus Ländern wie Russland oder Norwegen, basierend auf längerfristigen Verträgen sowie dem Gaseinkauf auf Spotmärkten sinnvoll. Ohne LNG-Lieferungen per Tanker wird es aber auch nicht gehen. Genau wie der Bauer auf dem Wochenmarkt sollten wir auch im Energiegeschäft nicht alle Eier in einen Korb legen.

    Helmut Kusterer ist seit fast 40 Jahren im Energiegeschäft tätig und gilt als einer der profundesten Kenner des süddeutschen Energiemarkts. Er wurde 1953 im schwäbischen Schömberg geboren und studierte an der TU Karlsruhe – heute KIT – Maschinenbau und Energietechnik. 2001 heuerte er bei der EnBW an und bekleidete über eineinhalb Jahrzehnte bei Konzerntöchtern mehrere Führungspositionen, zuletzt bei der Gashandelstochter GVS als Vertriebschef und Chef-Marktanalyst. Heute ist er Leiter und Gründer der Beratungsgesellschaft Platform & Commodity Consult.

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