Ab Herbst kommen auf Millionen von Gaskunden wegen einer staatlichen Umlage zusätzliche Preiserhöhungen zu - der Druck auf die Bundesregierung für weitere Entlastungen wächst. Sozialverbände warnen, viele Menschen könnten die höheren Lasten nicht mehr tragen. Die Grünen-Co-Vorsitzende Ricarda Lang sagte am Sonntag im ZDF-Sommerinterview: "Wenn wir jetzt eine Gasumlage machen, dann müssen gleichzeitig weitere Entlastungen kommen - also noch in diesem Jahr, in diesem Herbst, müssen wir Entlastungen auf den Weg bringen."
Zur Finanzierung sprach sich Lang für die Einführung einer Übergewinnsteuer für Unternehmen mit krisenbedingt hohen Gewinnen aus, wie auch die SPD-Vorsitzende Saskia Esken. Die FDP lehnt eine solche Steuer ab. Sie schlug vor, Hartz-IV-Empfänger zu belohnen, wenn sie Energie einsparen.
Wegen der Gas-Umlage, die ab Oktober kommen soll, werden Firmen und Privathaushalte um voraussichtlich mehrere hundert Euro pro Jahr zusätzlich belastet. Die Umlage soll Gasversorgern wie Uniper zugute kommen, die zu hohen Preisen Ersatz für ausbleibende Gasmengen aus Russland kaufen müssen. Dazu kommt, dass marktgetriebene drastische Preissteigerungen ohnehin schrittweise die Kunden erreichen.
Die Bundesregierung hatte bei der Verkündung der Umlage weitere Entlastungen angekündigt. Zu Beginn kommenden Jahres soll es eine Wohngeldreform geben, der Kreis der Berechtigten soll ausgeweitet werden. Ebenfalls zum 1. Januar 2023 soll ein Bürgergeld kommen, welches das bisherige Hartz IV-System ablösen soll. In der Koalition sind aber die genauen Konditionen noch umstritten. Die Regierung will außerdem Kündigungsschutzregeln überprüfen, so dass überforderten Mietern der Mietvertrag oder Energiekunden der Liefervertrag nicht gekündigt werde.
Schnelles Handeln nötig
Die Frage aber ist, ob die angekündigten Entlastungen zu spät kommen. Die Chefin des Verbraucherzentrale Bundesverbands, Ramona Pop, sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, es sei ein Entlastungspaket für einkommensschwache Haushalte notwendig, bis die Gasumlage komme: "Am wichtigsten ist schnelles Handeln: Wenn die Gasumlage kommt, muss das Hilfspaket stehen."
Die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Verena Bentele, warnte: "Mehrkosten in Höhe von mehreren Hundert Euro für Gas stürzen ärmere Privathaushalte in den Ruin. Viele Menschen mit kleinen Einkommen oder ärmere Rentnerinnen und Rentner wissen schon jetzt nicht, wovon sie ihre Einkäufe bezahlen sollen." Deshalb müsse das Wohngeld dringend eine Heizkostenpauschale enthalten.
Die Grünen-Co-Vorsitzende Lang sagte, entlastet werden müssten gerade Hartz IV-Empfänger, aber auch Menschen, die knapp darüber seien, ein geringes Einkommen haben, aber nichts ansparen konnten und und einen großen Teil ihres Geldes für Lebensmittel, für Wohnen und Heizen ausgeben. Es gehe um sozialen Zusammenhalt. ""Wir dürfen die Menschen mit diesen steigenden Kosten nicht alleine lassen. Und wir werden die Menschen auch nicht alleine lassen."
Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) sagte der Deutschen Presse-Agentur in Erfurt: "Die soziale Arithmetik hat die Ampel-Regierung derzeit kaum im Blick. Grund ist vor allem die Blockade der FDP."
FDP-Fraktionschef Christian Dürr stellte weitere Entlastungen in Aussicht. "Wenn die Energiekosten hochgehen, müssen wir gegensteuern. Wir dürfen die Verbraucherinnen und Verbraucher nicht sehenden Auges in die Preisfalle tappen lassen", sagte er der dpa.
Denkbar wäre, Empfänger von Arbeitslosengeld II zu belohnen, wenn sie Energie einsparen, so Dürr. "Wer weniger Gas verbraucht als in den vergangenen Jahren, könnte einen Teil der eingesparten Heizkosten als Zuschuss ausgezahlt bekommen." Er unterstützt damit einen Vorschlag des stellvertretenden FDP-Fraktionsvorsitzenden Lukas Köhler.
Lindner stellt Steuersenkung in Aussicht
Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner hatte für das kommende Jahr eine Steuersenkung für Geringverdiener und die "arbeitende Mitte" in Aussicht gestellt. Er hatte sich zudem offen gezeigt für eine deutliche Erhöhung der Pendlerpauschale ab dem kommenden Jahr.
Teile der Koalitionspartner SPD und Grüne fordern eine Übergewinnsteuer. Die SPD-Vorsitzende Esken sagte der "Neuen Osnabrücker Zeitung", es sei "nicht hinzunehmen, dass Energiekonzerne Krisengewinne einfahren in einer Zeit, in der der Staat Gasversorger mit einer solidarischen Preisumlage stabilisiert oder gar mit Steuergeldern". Das werde zu Recht als große Ungerechtigkeit empfunden.
SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe: "Um den sozialen Frieden in Deutschland zu sichern, müssen wir zielgenau unterstützen und entlasten. Diese Unterstützung gibt es nicht zum Nulltarif, wir alle müssen unseren Teil beitragen. Das gleiche gilt umso mehr für Stromkonzerne, die derzeit satte Über-Gewinne machen." Verschiedene europäische Länder hätten Lösungen entwickelt, um die Lasten gerechter zu verteilen. "In Deutschland brauchen wir ähnliche Instrumente."
Profitieren nur die Krisengewinner?
Auch Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte sich offen für eine Übergewinnsteuer gezeigt. Der Paritätische Gesamtverband zeigte sich verärgert über die Gasumlage. "Es kann nicht angehen, dass Krisengewinner nunmehr auch noch von jedem Einkaufsrisiko freigestellt werden", sagte der Hauptgeschäftsführer des Wohlfahrtsverbands, Ulrich Schneider, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Er wies auf hohe Gewinne beim Gasversorger Wintershall Dea sowie beim Energiekonzern RWE hin. Schneider plädierte für eine "Übergewinnsteuer für Unternehmen, die mit Krieg und Krisen außergewöhnlich hohe Erträge erwirtschaftet haben und weiter erwirtschaften".
Wissenschaftliche Berater Lindners dagegen raten "dringend" von einer Übergewinnsteuer ab. Sie würde zu "willkürlichen Belastungen und Verzerrungen" führen, heißt es in einer Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirats beim Finanzministerium, welche der dpa am Sonntag vorlag: "Insbesondere für die Innovationskraft einer Ökonomie kann eine Übergewinnsteuer fatal sein."
(Von Andreas Hoenig, dpa)