"Ich denke, das ist das Beste, was Twitter passieren konnte." So feiert Marktexperte Thomas Hayes im Interview mit Yahoo Finance den Deal, der die Finanzwelt derzeit in Atem hält: Elon Musk kauft Twitter.
54,20 Dollar pro Aktie zahlt der nach Schätzungen reichste Mensch der Welt. Das macht insgesamt rund 44 Milliarden Dollar, die sich der Unternehmer etwa zur Hälfe von verschiedenen Banken zusammengeliehen hat. Der Rest kommt aus seinen Unternehmensbeteiligungen. Wenn die Aktionäre zustimmen, dann ist der Deal in trockenen Tüchern. Mit einigen großen Anteilseignern hat Musk bereits telefoniert - und Überzeugungsarbeit geleistet. Es sollte wohl nichts mehr schiefgehen. Aber was hat Musk überhaupt davon?
Twitter ist eine der wichtigsten und größten Social-Media-Plattformen der Welt
Zunächst einmal muss man anmerken, dass sich Musk auf einem für ihn neuen Territorium bewegt. Dem Südafrikaner, der auch die kanadische und US-amerikanische Staatsbürgerschaft besitzt, gehört mit Tesla der führende Produzent von Elektroautos, ihm gehört ein Weltraum- und Tunnelbohrunternehmen. Nun gehört ihm also bald auch eine der größten und wichtigsten Social-Media-Plattformen der Welt. Musk ist auf Twitter längst ein Star, aber bislang war er das als Nutzer.
Die riesige Bedeutung des Kurznachrichtendienstes wurde nicht zuletzt durch Musk selbst und durch die Kommunikation des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump klar, der mittlerweile von Twitter ausgeschlossen wurde. Trump beeinflusste damals die Weltpolitik. Wenn Musk einen Tweet absetzt, dann schnellt die Aktie von Tesla gerne mal in die Höhe - oder umgekehrt. Auch der Kryptowährung Dodge hat Musk praktisch mit einem Tweet zum Höhenflug verholfen.
Für Musk dürfte Twitter also durchaus eine besondere Bedeutung haben - wie auch für viele Politikerinnen, Politiker und Geschäftsleute. Was getwittert wird, das beherrscht gerne einmal die Schlagzeilen. Allerdings hinkt der Kurznachrichtendienst anderen Social-Media-Kanälen deutlich hinterher, wenn es um Nutzerzahlen geht. Mit 211 Millionen Nutzern kann Twitter nicht im Ansatz mit Facebook (rund 3 Milliarden), TikTok (1,3 Milliarden) und Instagram (1,2 Milliarden) mithalten. Das spiegelt sich in den Geschäftszahlen wieder. In der 16 Jahre andauernden Unternehmensgeschichte schaffte es Twitter nur selten in die Gewinnzone. Will Musk also einen Scheinriesen aufrichten und zu größerem Erfolg verhelfen?
Was will Musk mit Twitter? Meinungsfreiheit als wichtiger Faktor
"Twitter ist ein verlassenes Gebäude mit Graffiti an den Wänden in einer schlechten Nachbarschaft geworden. Elon wird das Graffiti abwaschen und das Gebäude größer machen. Ich denke, dass Influencer, die eher stiller geworden sind auf Twitter, wieder aktiver werden, denn wenn jemand sie überzeugen kann - dann ist es Elon Musk", glaubt Marktexperte Hayes. Eine Aufgabe, die für Musk zweifellos attraktiv sein sollte - und die sicherlich ein Grund ist, warum der 50-Jährige sich für den Schritt entschieden hat.
Ein anderer Faktor ist für Musk laut eigener Aussage aber viel bedeutender: die Meinungsfreiheit. Er glaube, dass Twitter das Potenzial habe, DIE Plattform für Meinungsfreiheit auf der Welt zu sein. "Wir brauchen eine inklusive Arena für freie Rede", erklärte er Mitte April: "Die Menschen müssen die Gewissheit haben, dass sie dort frei ihre Meinung äußern können, innerhalb der Regeln des Gesetzes. Ich denke, Twitter sollte seinen Algorithmus offenlegen. Und wenn etwas geändert wird, an einem Tweet beispielsweise, sollte es sichtbar sein, dass dort etwas gemacht wurde."
Zudem macht sich der gebürtige Südafrikaner für eine Rückkehr von Donald Trump stark. Gegenüber der US-Börsenaufsicht SEC sagte er nun, dass er glaube, "Meinungsfreiheit ist ein sozialer Imperativ für eine funktionierende Demokratie". Dazu passt sein Tweet, den er am 25. April absetzte: "Ich hoffe, dass selbst meine schlimmsten Kritiker auf Twitter bleiben, denn das ist es, was Redefreiheit bedeutet."
Musk polarisiert - und sieht sich auch Kritik ausgesetzt
Musk polarisiert praktisch ständig. Jüngst forderte er Russlands Präsident Wladimir Putin zu einem Zweikampf heraus. Vorher ließ er auf Twitter darüber abstimmen, ob er Tesla-Aktien verkaufen solle. Und auch seine Definition von Meinungsfreiheit ist derzeit nicht zum ersten Mal Thema. Die "Freedom of Speech", wie sie von den Amerikanern genannt wird, ist ihm heilig. Sein Umgang damit ruft aber auch immer wieder Kritiker auf den Plan. So war es, als der schillernde Star der Finanzwelt KZ-Gedenkstätten kritisierte. Auch nachdem Musk wenig Verständnis für die Twitter-Sperre von Donald Trump gezeigt hatte, sah er sich einem Shitstorm ausgesetzt. Einige Kritiker des Geschäftsmannes dürften daher Angst haben, dass durch die Übernahme von Twitter ein libertäres Verständnis von Redefreiheit Einzug in die Social-Media-Welt erhält.
Eine ähnliche Sorge dürfte im Weißen Haus umgehen. Zwar gibt man sich dort recht unbeeindruckt, doch Pressesprecherin Jen Psaki kommentierte den sich anbahnenden Deal dann doch: "Unabhängig davon, wem Twitter gehört - der Präsident ist seit langem besorgt über die Macht großer Social-Media-Plattformen. Er ist der Meinung, dass Tech-Plattformen für die Schäden, die sie verursachen, zur Rechenschaft gezogen werden müssen. Und er ist optimistisch, denn dem stimmen beide politischen Lager zu."
Politisch brisant dürfte die Frage sein, ob Trump wieder bei Twitter zugelassen wird. Das scheint wahrscheinlich zu sein, wenn man Musks Sicht auf die Dinge betrachtet.
Hilft Musk Twitter im Kampf gegen Hass und Hetze?
Klar ist, dass Social-Media-Plattformen wie Twitter seit jeher mit Hass und Hetze kämpfen. "Rechtsextreme Hatespeech ist nach wie vor ein riesen Problem auf Twitter", erklärte ein Sprecher der Amadeu-Antonio-Stiftung dem RND: "Wenn Herr Musk dem etwas entgegensetzen will, muss er die Transparenz und Zugänglichkeit der Meldewege verbessern und insgesamt einfach viel restriktiver gegen alle Formen Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit vorgehen."
Ob Musk dafür der richtige Mann ist, das darf bezweifelt werden. Zuletzt twitterte er sinngemäß, dass ein gutes soziales Netzwerk von rechten und linken Extremisten gleichermaßen gehasst werde. Wenn man die Polizeistatistik Deutschlands betrachtet, dann sind allerdings 62 Prozent aller politischen Hassbotschaften in den Social-Media-Kanälen dem rechtsextremen Spektrum zuzuordnen - und nur sieben Prozent dem linken. Es wird sich zeigen, ob Musk ein derartigen Problembewusstsein teilt und mit seiner Definition von Meinungsfreiheit für einen faireren Umgang auf Twitter sorgen kann.
Klar ist: der schillernde und polarisierende Musk hat eine große Aufgabe zu bewältigen. Dank seiner Präsenz auf Twitter wird man jeden seiner Schritte beobachten können.