Ist Deutschland auf dem Weg in eine Streik-Republik? Diesen Eindruck konnte man besonders in der vergangenen Woche gewinnen. Die Lokführergewerkschaft GDL streikte in dieser Tarifrunde zum mittlerweile sechsten Mal gegen die Bahn. Die meisten Züge im Fern- und Regionalverkehr fielen aus. Das Unternehmen konnte nur einen Notfallfahrplan mit 20 Prozent der üblichen Verbindungen anbieten. In derselben Woche war auch der Flugverkehr betroffen. In dem Tarifkonflikt der Gewerkschaft Verdi mit der Lufthansa trat das Bodenpersonal in den Ausstand. Nach Schätzungen des Flughafenverbandes ADV fielen insgesamt 662 Flüge aus, mehr als 100 000 Passagiere waren betroffen. Später legten Flugbegleiterinnen und -begleiter der Lufthansa und der Regionaltochter Cityline in Frankfurt die Arbeit nieder. Inzwischen ist eine politische Debatte entbrannt, ob nicht das Streikrecht reformiert werden muss.
Christian Dürr, FDP: "Regeln für Streiks im Bereich der kritischen Infrastruktur"
Stimmen für Einschnitte im Streikrecht kommen inzwischen auch aus der Regierungspartei FDP. Dort stößt man sich insbesondere an der konfrontativen Haltung von GDL-Chef Claus Weselsky: "Insbesondere die Art und Weise der Streiks von Herrn Weselsky bei der Bahn lassen einen sorgenvoll auf die Zukunft blicken", sagte FDP-Fraktionschef Christian Dürr unserer Redaktion. "Wir sollten in den kommenden Wochen prüfen, ob die Regeln für Streiks im Bereich der kritischen Infrastruktur modernisiert werden müssen", erklärte er. Auch FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai hat sich für eine Reform des Streikrechts starkgemacht. Gerade in der kritischen Infrastruktur sei es zentral, dass die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleibe und eine maßlose "Streikgier" in Zukunft unterbunden werde. Er fordert zum Beispiel verpflichtende Schlichtungen und klare Streikfristen.
Für schärfere Regeln sprechen sich auch Wirtschaftsverbände aus: "Wir brauchen ein klares Arbeitskampfrecht, ganz besonders für die Bahn und vergleichbare Bereiche", sagte der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände, Steffen Kampeter der Rheinischen Post. "Die Streiks in der kritischen Infrastruktur sind nicht nur ärgerlich, sondern auch Wachstumsbremsen." Tatsächlich wird das Streikrecht bisher lediglich aus dem Grundgesetz-Artikel 9, Absatz 3 hergeleitet. Es gibt kein eigenes Gesetz. Gerichte haben das Recht und seine Grenzen allerdings spezifiziert.
GDL und Bahn wollen sich im Laufe der Woche einigen
Bundeskanzler Olaf Scholz erteilt den Rufen nach Beschränkungen des Streikrechts bisher eine Absage. Der Staat habe bewusst manche Bereiche privatisiert, sagte er mit Blick auf Bahn, Post oder Telekom. "Aber damit haben wir auch die Entscheidung getroffen, dass das Streikrecht gewissermaßen dort auch möglich ist."
Für die Reisenden selbst könnte zudem mit Blick auf Ostern Entspannung in Sicht sein: Die Lokomotivführergewerkschaft GDL und die Deutsche Bahn verhandeln wieder. Dies finde "in kleinstem Kreis und hinter verschlossenen Türen" statt, teilte die Gewerkschaft mit. "Die Verhandlungen sind intensiv, aber konstruktiv", hieß es. Zu vielen Themen sei eine Verständigung erreicht worden. "Beide Parteien sind zuversichtlich, in der nächsten Woche ein Ergebnis mitteilen zu können", zeigte sich die Gewerkschaft und die Bahn zuversichtlich. "Die GDL sieht bis dahin von weiteren Streiks ab."
Streikfreie Ostern in Sicht?
Im Tarifkonflikt des Lufthansa-Bodenpersonals soll indes eine Schlichtung eine Lösung bringen. Die Gewerkschaft Verdi hält bei einer Schlichtung eine Einigung bis spätestens Karsamstag für "sehr realistisch". Nur wenn es keine Einigung gebe, seien Streiks an den Flughäfen an Ostern möglich. (mit dpa)