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Digitalwirtschaft: Die Chinesen sind im digitalen Kaufrausch

Digitalwirtschaft

Die Chinesen sind im digitalen Kaufrausch

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    Für viele Chinesen sind Streaming-Angebote mittlerweile ein wichtiger Weg, Waren einzukaufen.
    Für viele Chinesen sind Streaming-Angebote mittlerweile ein wichtiger Weg, Waren einzukaufen. Foto: Ritchie B. Tongo, dpa

    Mit perfekt sitzendem Make-up tritt Chen Jie wie jeden Abend vor ihr Publikum, an diesem Donnerstag schauen ihr immerhin 556.000 Nutzer zu. Chens Bühne ist ein hell ausgeleuchteter Garderobenraum in der aufstrebenden Metropole Hangzhou, zum Filmen benötigt die Livestreamerin nur ein Smartphone und Stativ. „Wir werden für euch zusätzlich in XXL produzieren lassen“, sagt die Chinesin in ihrer mitreißenden Stimme, während sie eine weiße Bluse in die Kamera hält: „Wenn ihr nicht dick aussehen wollt, dann nehmt ihr diese Größe.“ Dann beginnt die quirlige Unternehmerin einen Countdown: „Drei, zwei, eins!“

    In jenem Moment taucht die weiße Bluse auf dem Handy-Display von Ying Yue auf, die von ihrer Pekinger Wohnung aus zuschaut. „Man muss schnell reagieren, manche Produkte sind bereits nach ein paar Sekunden wieder ausverkauft“, sagt die 28-Jährige. Dieses Mal jedoch entscheidet sie sich dagegen: Fürs Büro sei die weiße Bluse für umgerechnet zwölf Euro zwar gut geeignet, doch bei der Konkurrenz würde sie ein ähnliches Hemd günstiger bekommen.

    Streaming-Shopping ist das neue Teleshopping

    Livestreaming-Shopping funktioniert in etwa wie das in den 90er Jahren beliebte Teleshopping, bei dem Fernsehmoderatoren Haushaltsgeräte und Kosmetikprodukte im Ton eines Gebrauchtwagenhändlers angepriesen haben. Die Zuschauer konnten dann zum Hörer greifen, um die Ware zu ordern.

    Beim Livestreaming läuft alles wesentlich authentischer ab, aufgeputschter und mit Do-it-yourself- Charme. Kunden schauen meist auf mobilen Endgeräten zu, Käufe können mit einem Wisch am Handy-Display getätigt werden. Junge Leute mit Hang zum Extrovertierten preisen Produkte an, für sie mit ihrem Namen bürgen. Einer der Besten der Szene ist Li Jiaqi. Der 27-Jährige mit der hohen Stimme hat stets rund vier Millionen Zuschauer in seinem Streaming-Kanal. Bekannt ist der Multimillionär dafür, einmal 15.000 Lippenstifte in nur fünf Minuten verkauft zu haben. Ohne Frage hat das Livestreaming den Online-Handel in China revolutioniert.

    Laut Angaben des Staatsrats nutzen mit Stand März 2020 mittlerweile 560 Millionen Chinesen Livestreaming-Dienste. Ein knappes Drittel davon greift auch im Online-Handel darauf zurück. Im Jahr 2019 wurden über Online-Übertragungen Verkäufe in Höhe von 61 Milliarden Dollar abgewickelt, im Jahr 2020 wird sich der Markt – wie schon die letzten drei Jahre zuvor – mehr als verdoppeln. Verstärkt wurde die Entwicklung durch die Viruskrise: Ende Februar waren rund die Hälfte der 1,4 Milliarden Chinesen von Quarantänemaßnahmen betroffen. Seither ist Livestreaming einer der wirtschaftlichen Lichtblicke.

    Bei Taobao haben sich die Zuschauer im Februar gar verdoppelt. Der Tech-Riese aus Hangzhou ist vergleichbar mit Amazon und mit weitem Abstand Marktführer in China: Über 60.000 Livestreaming-Shows hat die Einkaufsplattform allein 2019 übertragen.

    Die Zentralregierung sieht darin ein Mittel zur Armutsbekämpfung

    Für die Zentralregierung in Peking stellt das Livestreaming-Shopping auch ein massives Vehikel zur Armutsbekämpfung dar: Bauern aus unterentwickelten Regionen können mithilfe von Livestreaming direkt Zugang zu ihrer Kundschaft bekommen. „Während das Land seine Netzwerkverbindungen verbessert, bieten Livestreaming-Dienste neue Möglichkeiten in China, landwirtschaftliche Produkte zu verkaufen“, vermeldete die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua Anfang Mai. Der potenzielle Markt ist gigantisch – und hat noch viel Luft nach oben: China hat laut staatlichen Angaben 904 Millionen Online-Nutzer, die Internet-Nutzungsrate liegt bislang nur bei 64,5 Prozent.

    „Irgendwann, so vor fünf Jahren, haben fast alle meine Online-Freunde angefangen, irgendwelche Produkte zu verkaufen“, erinnert sich Ying Yue in Peking. Wer in jenen Boomjahren einen Kontakt zu Agrarwirten unterhielt, pries auf der App Wechat unter seinen Bekannten Obst oder Honig an. Und Auslandsstudenten versuchten mit exklusiven Modeprodukten zu handeln, die es in China nur überteuert gab. „Viele von denen haben es aber nicht lange durchgehalten“, sagt die Chinesin, schlicht weil sie nicht genügend Kunden erreichen konnten: „Auf der anderen Seite gibt es durch den Online-Handel jedoch mittlerweile viele Neureiche in China“, sagt sie.

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