Herr Schwab, haben die Steuerberater aufgeatmet, als Bayern die Fristen für die Grundsteuererklärung verlängert hat?
PROF. HARTMUT SCHWAB: Ehrlich gesagt sind viele Steuerberater leidenschaftslos, was diese Art Fristen anbelangt. Wir dürfen nur Aufträge annehmen, wenn wir sie in der vorgegebenen Frist erledigen können. Und es gab auch nicht nur glückliche Gesichter in den Steuerberater-Kanzleien, als Bayern die Frist verlängert hat: Denn wir haben in den letzten Januarwochen einen Berg Überstunden aufgeschüttet, um alle Anträge pünktlich abzuarbeiten. Das hätten wir mit weniger Stress machen können.
Wie kompliziert ist die Grundsteuererklärung? Was sagen Sie als Profi?
SCHWAB: Mich haben privat auch viele gefragt und ich habe gesagt: Ihr könnt das. Die private Grundsteuererklärung für eine Eigentumswohnung, ein Ein- oder Zweifamilienhaus läuft im Internet über das Elster-Programm hervorragend einfach. Da gibt es Erklärvideos und Tipps, man muss nur die Schwellenangst überwinden. Bei den Unternehmen und in der Landwirtschaft wird es etwas komplizierter. Da ist viel bei den Steuerberatern gelandet.
Dennoch ärgern sich die Menschen über den Aufwand, denn der Staat hat eigentlich alle Daten vorliegen …
SCHWAB: Das ist das Grundproblem: Uns fehlt in Deutschland eine Gesamtstrategie für die Digitalisierung und die Vernetzung der Daten. Wir sind bei der Digitalisierung im Steuerbereich, eigentlich nicht schlecht aufgestellt. Schon vor 25 Jahren hat Bayern mit dem Steuererklärungs-Programm Elster begonnen, das inzwischen bundesweiter Standard ist. Wir Steuerberater haben schon in den Sechzigerjahren mit dem genossenschaftlichen Unternehmen Datev Pionierarbeit geleistet, um die Buchführung für unsere Mandanten zu digitalisieren. Doch wir schöpfen das Potenzial der Digitalisierung in Deutschland leider kaum aus.
Was sind die größten Probleme?
SCHWAB: Wir sehen es bei der Grundsteuer: Der Staat hat viele Daten, kann sie aber nicht zusammenführen und vernetzen. Ein anderes Beispiel: Die USA haben ihren Bürgern im Jahr 2020 eine pauschale Corona-Soforthilfe von 600 Dollar unbürokratisch ausbezahlt. Das sollte auch in Deutschland gehen, denn bei uns kennt das Finanzamt die Bankverbindung. Aber andere staatliche Stellen können sie nicht für direkte Hilfen nutzen, unter anderem weil es hier datenschutzrechtliche Bedenken gibt. Immerhin wurde nun eine gesetzliche Grundlage für die staatliche Auszahlung von Hilfsgeldern geschaffen.
Welche Bilanz ziehen Sie nach den jahrelangen Corona-Hilfen?
SCHWAB: Schaut man sich die niedrigen Insolvenzzahlen an, muss man anerkennen, dass die Krisenpakete gewirkt haben. Bundesweit haben Steuerberater und Steuerberaterinnen rund fünf Millionen Anträge bearbeitet, das war eine enorme Leistung. Ich kann mich noch erinnern, ich saß im Auto, als mich plötzlich der damalige Wirtschaftsminister Peter Altmaier anrief. Er fragte, ob wir Steuerberater der Regierung unter die Arme greifen können, damit die Anträge richtig ausgefüllt werden. Er sagte, das werde maximal ein halbes Jahr dauern. Niemand ahnte, dass es über zwei Jahre werden. Ich habe für meine Zusage von Kollegen auch Kritik bekommen, weil wir oft kaum noch zu unserer eigentlichen Arbeit gekommen sind. Aber insgesamt sind 130 Milliarden Euro Hilfen ausbezahlt worden - noch dazu Kurzarbeitergeld, Bürgschaften und Sonderprogramme. Das war eine Riesenarbeit, die aber auch vielen Hilfesuchenden gezeigt hat, dass Steuerberater nun mal nicht nur Steuererklärungen können, sondern sehr umfassend beraten.
Wurden für die Energiehilfen die richtigen Lehren aus der Corona-Krise gezogen?
SCHWAB: Ich kann nicht erkennen, dass die Politik bei den Energiehilfen große Lehren aus der Corona-Krise gezogen hat. Es fehlt leider auch hier ein Gesamtkonzept. Die Energiehilfen ziehen viele komplizierte Steuerfragen nach sich. Und wer meint, dass sich Steuerberater darüber freuen, irrt sich.
Können Sie Beispiele nennen?
SCHWAB: Das fängt mit den im September gezahlten 300 Euro Energiepreispauschale an. Auch hier fehlte der direkte Auszahlungsweg an den Bürger und die Arbeitgeber waren in der Pflicht die Hilfe auszuzahlen. Doch dann gab es eine Gerechtigkeitsdebatte und die Hilfe wurde auf Rentner und Studenten ausgeweitet, die man zunächst wohl vergessen hatte. Verkompliziert wird das Ganze dadurch, dass die Hilfe auch noch zu versteuern ist. Beispielsweise erfolgt die Rentenbesteuerung unterschiedlich nach Jahrgängen. Ein Riesenaufwand für 300 Euro. Das gilt auch für die sogenannte „Soforthilfe Dezember“: Dabei zahlt der Staat den Dezemberabschlag der Gas- oder Wärmerechnung. Hier gilt nun eine Steuerpflicht für die zehn Prozent Spitzenverdiener, die noch unter den Solidaritätszuschlag fallen.
Ist all dieser Aufwand gerechtfertigt?
SCHWAB: Wir streben in Deutschland immer nach größtmöglicher Einzelfallgerechtigkeit. Das hindert uns, pragmatische Lösungen umzusetzen und kostet uns am Ende einen immensen Bürokratieaufwand, der mitunter in keinem Verhältnis zu den Einnahmen steht. Stattdessen entstehen tausende Detailfragen, die Personal binden und Gerichte beschäftigen. Wenn ich mir den sich bereits abzeichnenden Fachkräftemangel bei uns Steuerberatern, aber auch in den Finanzverwaltungen ansehe, frage ich mich ernsthaft, wie lange wir uns das noch leisten können. Deutschland hinkt anderen Ländern, die ihr Steuersystem modernisiert haben, kolossal hinterher.
Was würden Sie hier von der Politik fordern?
SCHWAB: Für eine moderne Besteuerung braucht Deutschland mehr Digitalisierung, Vernetzung, weniger Kleinstaaterei und müsste auch seine Steuersätze im internationalen Vergleich überprüfen. Wir sind oft hintendran. Zum Beispiel haben andere europäische Länder längst die elektronische Rechnung eingeführt. Sie bietet einen einheitlichen maschinenlesbaren Rechnungsstandard, der sofort digital automatisch abgleichbar ist. Damit ließen sich auch Umsatzsteuerbetrug und Karussellgeschäfte viel leichter bekämpfen. Und wir Steuerberater könnten einen Gutteil unserer Arbeit und Buchhaltung durch Automatisierung extrem vereinfachen und unser wertvolles Personal besser einsetzen.
Zur Person
Prof. Hartmut Schwab ist als Steuerberater in die Spuren seines Vaters getreten. Heute ist der 64-jährige Augsburger Partner der Kanzlei SWMP und Präsident der Bundessteuerberaterkammer.