Die Rauchwolken der brennenden Regenwälder waren so gewaltig, dass man sie auf Satellitenbildern über Indonesien erkennen konnte. Wie die US-Weltraumbehörde Nasa errechnete, gelangten durch die Brandrodung im Sommer 2015 binnen dreier Monate 600 Millionen Tonnen Treibhausgase in die Atmosphäre. Das ist mehr, als die Bevölkerung und Wirtschaft in Deutschland in einem Jahr an klimaschädlichem CO2 ausstößt. Im benachbarten Thailand herrschte Smogalarm. Indonesien zählt heute beim Treibhausgasausstoß zu den zehn größten Verursacher-nationen. Zugleich ist das Inselreich der weltweit größte Produzent von Palmöl, das auf den abgefackelten Regenwaldflächen angebaut wird.
In jedem Standarddiesel war lange Zeit Palmöl
Dank der ZDF-Fernsehsendungen des Lebensmitteltechnikers Sebastian Lege wissen viele Deutsche, dass Palmfett mit ein bisschen Magermilchpulver der beliebteste Billigersatz der Lebensmittelindustrie für teure Sahne ist und inzwischen in fast jedem zweiten Supermarktprodukt steckt. Die wenigsten wissen jedoch, dass in den vergangenen Jahren mehr als die Hälfte des nach Europa importierten Palmöls nicht in Nahrungsmittel floss, sondern in Diesel an den Tankstellen. Und zwar auf Wunsch der EU-Politik, ausgerechnet aus Klimaschutzgründen.
Die Europäische Union hatte 2009 in ihrer Richtlinie für erneuerbare Energien eine Beimischungspflicht von sogenanntem Biosprit in Benzin und Diesel vorgeschrieben. Beim Benzin stehen die Abkürzungen E5 und E10 für den Beimischungsgrad von fünf oder zehn Prozent aus Pflanzen gewonnenen Alkoholen. Beim normalen Standarddiesel an der Tankstelle liegt der Anteil pflanzlicher Kraftstoffe in der Regel bei sieben Prozent.
Zu etwas mehr als einem Drittel besteht der beigemischte „Biodiesel“ in Deutschland laut der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung aus Abfällen und Reststoffen gewonnen Pflanzenölen, etwa altem Frittierfett, gefolgt von Rapsöl. Ein Viertel stammte jedoch im Jahr 2020 aus Palmöl. Von sämtlichen Palmölimporten in die EU wurden 58 Prozent für die Biodieselproduktion genutzt.
Palmöl: gewaltiger Selbstbetrug beim Klimaschutz
Es ist nicht nur aus Sicht von Umweltschutzverbänden ein gewaltiger Selbstbetrug beim Klimaschutz, CO2 mithilfe von aus abgefackelten Regenwäldern gewonnenem Palmöl einsparen zu wollen. Auch die Politik hat reagiert: Nach Angaben des EU-Parlaments gehen zehn Prozent der internationalen Regenwaldrodungen zwischen 1990 und 2020 auf Palmölimporte in die EU zurück. Nun müssen Unternehmen ab kommendem Jahr eine Sorgfaltserklärung abgeben, dass für ihr Produkt nach dem 31. Dezember 2020 kein Wald gerodet oder geschädigt wurde. Die Bundesregierung hat ab 2023 die Verwendung von Palmöl als Kraftstoffzusatz eingeschränkt, indem Mineralölgesellschaften den Rohstoff nicht mehr als CO2-sparenden Biokraftstoff anrechnen dürfen. Doch offenbar wird der offizielle Palmölbann massiv umgangen. In der Branche ist seit Jahresbeginn von einem Milliardenbetrug und einem gigantischen Etikettenschwindel die Rede. Auch die Bundesregierung hat die Staatsanwaltschaft eingeschaltet.
Claus Sauter ist Chef der Verbio SE, die mit knapp zwei Milliarden Euro Umsatz einer der größten Biokraftstoff-hersteller Europas ist. Der 57-jährige Unternehmer, der ursprünglich aus dem Landkreis Neu-Ulm stammt, prangert seit Monaten wie viele in seiner Branche gewaltige Missstände an. „Wir erleben einen neuen Dieselskandal, doch diesmal wird nicht die Hardware manipuliert, sondern der Kraftstoff“, warnt er. Statt Palmöl käme nun in gigantischen Mengen angeblich aus Abfällen und Reststoffen produzierter Biodiesel aus China auf den Markt. Und das zu Preisen, mit denen das teure Sammeln und Aufbereiten von Altfetten und Abfällen niemals wirtschaftlich wäre. „Die Chinesen bieten ihre Ware zum halben Preis an, obwohl allein die Frachtkosten immens sind“, sagt Sauter.
„Man hat Proben analysiert und eindeutig festgestellt, dass die Basis Palmöl ist“, erklärt der Verbio-Chef. „Und man kann im Internet die Schiffsbewegungen nachverfolgen, wie die Tanker mit Palmölbiodiesel aus Indonesien zum Umschlagplatz auf der chinesischen Insel Hainan fahren und von dort die Fracht weiter nach Europa verschifft wird“, erklärt Sauter. Der entscheidende Punkt sei, dass die Schiffsladungen in China Zertifikate als gebrauchtes Altpflanzenöl erhalten und dadurch als sogenannter fortschrittlicher Biokraftstoff deklariert werden, erklärt der Experte. „Deshalb ist das Hauptziel dieses Fake-Biodiesels Deutschland.“
Tatsächlich fördert die Bundesregierung unter dem Begriff fortschrittlicher Biokraftstoff Benzin- und Dieselersatz, der aus Abfällen, Reststoffen wie Ernteabfällen hergestellt wird und damit nicht Lebensmitteln Konkurrenz macht. So sind die Mineralölgesellschaften gesetzlich verpflichtet, die sogenannte Treibhausgasquote, abgekürzt THG-Quote, im Verkehr zu senken. Von derzeit sechs Prozent weniger CO2-Ausstoß als bei reinem Benzin und Diesel soll die THG-Quote bis zum Jahr 2030 schrittweise auf 22 Prozent angehoben werden.
Für die Mineralölkonzerne bedeutet dies Milliardenkosten, da Biosprit viel teurer ist. Deshalb werden THG-Quoten wie Aktien gehandelt: So kann beispielsweise jeder private E-Autobesitzer seine THG-Quote über Zwischenhändler für eine Prämie zwischen 300 und 400 Euro an Mineralölkonzerne verkaufen, die sich dann den eingesparten CO2-Ausstoß des Elektrofahrzeugs in ihrer eigenen gesetzlichen Ökobilanz als Einsparung verbuchen. Und um beim Biosprit die sogenannten fortschrittlichen Biokraftstoffe zu fördern, werden sie im Vergleich zu herkömmlichen Stoffen wie Rapsöl bei der THG-Quote doppelt angerechnet.
Verbio-Chef Claus Sauter: Deutschland Hauptziel von Fake-Biodiesel
„Das macht den Fake-Biokraftstoff für den Markt besonders interessant und verführt zum Betrug“, sagt Verbio-Chef Sauter. „Man etikettiert frisches Palmöl vom Baum zu Reststoffen aus der Palmölproduktion um und hängt ein Zertifikat als fortschrittlicher Biokraftstoff dran“, erklärt Sauter. Eigentlich sollten die internationalen Zertifikate der von der EU lizenzierten und in Deutschland ansässigen Firma ICSS die Kontrolle und den Schutz vor Betrug sicherstellen. Doch das Kölner Unternehmen musste nach Bekanntwerden der Betrugsvorwürfe einräumen, dass es wegen Unregelmäßigkeiten mit sieben chinesischen Zertifizierungspartnern die Zusammenarbeit eingestellt hat.
„Das Problem ist, dass China keine staatlichen Kontrolleure aus dem Ausland ins Land lässt, die vor Ort die Herkunft der Rohstoffe oder Produktionsanlagen prüfen könnten“, sagt Sauter. „Ohne solche Kontrollmöglichkeiten sollte man überhaupt keinen fortschrittlichen Biokraftstoff aus dem Ausland importieren dürfen“, fordert er. „Das ist übelstes Greenwashing, und das wissen auch die Mineralölgesellschaften. Doch der Skandal geht munter weiter. Wenn ein Zertifizierer in China aufhören muss, kommt einfach ein neuer.“
Die Opposition fordert von der Bundesregierung, stärker gegen den Betrug vorzugehen. „Biodiesel aus Ölpalmen hat nichts in den Tanks europäischer Autofahrer zu suchen“, sagt die CSU-Klimapolitikerin Anja Weisgerber. „Die Einhaltung und Kontrolle der Vorschriften geht alle etwas an: die EU-Kommission, die Bundesregierung, aber auch die Mineralölunternehmen, Zertifizierer und Auditoren“, betont sie. „Bundesumweltministerin Lemke muss nun gemeinsam mit allen Akteuren die Initiative ergreifen und geltendes Recht durchsetzen“, fordert die CSU-Politikerin. „In jedem Fall dürfen sich Unternehmen, die nachweislich gepanschten Biodiesel auf den Markt gebracht haben, die vermeintliche CO2-Einsparung nicht mehr auf die THG-Quote anrechnen lassen“, fordert sie.
Verbio-Chef Sauter fordert strengere Kontrollen
„Für die Kontrolle der Zertifizierungssysteme für Nachhaltigkeitsnachweise ist die EU-Kommission zuständig“, sagt ein Sprecher des Bundesumweltministeriums. Dort würden auch die Vorwürfe gegen chinesische Exporteure geprüft und die Frage, ob CO2-Einsparungen aberkannt werden müssten. „Die Untersuchungen laufen noch“, sagte der Sprecher. „Nur mit einem belastbaren Ergebnis können die eventuell nötigen Maßnahmen bezüglich dieser Fragen entwickelt werden.“ Die Bundesregierung führe auf EU-Ebene zudem Gespräche, ob man bei Zertifizierungssystem Konsequenzen ziehen müsse.
Verbio-Chef Sauter dringt auf echte Kontrollen: „Wenn wir heute den Biodieselbetrug nicht stoppen, dann verkauft man uns morgen auch grünen Wasserstoff, der in Wahrheit aus russischem Erdgas produziert wird“, warnt er.