Henning L. wuchtet seinen schwarzen Rucksack hoch und packt ihn sich auf die Schulter. Eine andere Last muss von dem 55-jährigen Techniker abgefallen sein. Er blickt noch mal in die Runde, nach vorn zu Richter Stefan Weickert, nach hinten zu Wolfgang Hatz und Rupert Stadler. Wie die beiden einstigen Audi-Top-Manager steht Henning L. seit rund zweieinhalb Jahren im Audi-Abgas-Verfahren vor Gericht.
Kurz nach Beginn des 162. Prozesstages in München kann der Kronzeuge aufstehen und gehen. Staatsanwaltschaft und Gericht stimmen zu. Henning L., der seine Beteiligung am Abgasbetrug gestanden hat, ist raus. Darauf hat der kahlköpfige Mann, dessen Bart fast die Farbe seines hellgrauen Sakkos aufweist, lange gewartet. Doch sein Geständnis-Fleiß und die früh gezeigte Reue haben dem Spezialisten für Abgas-Nachbehandlung lange nichts genutzt.
Henning L. muss Geld an Naturschutz-Organisationen zahlen
Erst am Dienstag verkündet das Gericht, das Verfahren gegen Henning L. einstellen zu wollen. Er muss nur noch eine Geldauflage von 25.000 Euro zahlen, dann kann der Mann versuchen, ein dunkles Kapitel seines Lebens abzustreifen. In den Genuss der Summe kommen zwei Organisationen, wie sie passender als minimale Wiedergutmachung für die einst maximal zu hohe Auto-Emissionen vertuschende Audi-Welt nicht sein könnten: Henning L. soll je 12.500 Euro an den Bund Naturschutz und an das Umweltinstitut München überweisen. Letztere Einrichtung schreibt auf ihrer Homepage unfreiwillig passend zur Aufklärung des Skandals: „Hartnäckigkeit und Beharrlichkeit zahlen sich aus.“ Weiter heißt es dort: „Wir lassen nicht locker, bis wir unsere Ziele erreicht haben: 100 Prozent Öko-Landbau und eine zu 100 Prozent erneuerbare Energieversorgung.“
Henning L. wird mit den Profiteuren seines Geständnisses sicher einverstanden sein. Er wirkt wie der reuigste Sünder unter den vielen Abgas-Tricksern der alten Volkswagen- und Audi-Schummel-Zeit. Denn der Mann räumte nicht nur ein, mitverantwortlich für die Manipulationen zu sein, er sah den Gerichtssaal während des Prozesses auch als eine Art Beichtstuhl ohne Beichtgeheimnis an. Henning L. wollte seine Seele von all dem Dieselgate-Ballast befreien und „einen Beitrag zur Aufklärung liefern“. Interessant war seine Bemerkung vor Gericht, er sei seinen eigenen Ansprüchen nicht gerecht geworden. In diesem und anderen Momenten wirkte es so, als stehe da ein Mann, dessen einst vorhandenes moralisches Gerüst in der Audi-Zeit auch durch Druck von Vorgesetzten und dank der von ihm als „Angst-Kultur“ wahrgenommenen Atmosphäre im Unternehmen ins Wanken geraten sei.
Ganz ohne „Bescheißen“ ging es nicht bei Audi
Dabei schob Henning L., was seine Büßer-Glaubwürdigkeit aus Sicht des Gerichts erhöht haben mag, nicht, was leicht gewesen wäre, alle Schuld auf die Vorgesetzten. In Erinnerung bleibt seine für die Bewertung des Diesel-Skandals wertvolle Einschätzung: „Faktisch hat uns niemand gezwungen, zu manipulieren.“ Dennoch habe das Unheil seinen Lauf genommen, hieß es doch in der alten Audi- und VW-Welt: „Für jedes Hardwarelaster gibt es ein Softwarepflaster.“ Bekanntlich ließ sich die Software in Diesel-Autos dahin gehend manipulieren, dass der Ausstoß gesundheitsgefährdender Stickoxide bei Tests, also auf der berühmten Rolle, auf wundersame Weise niedriger war als im wahren Auto-Leben auf der Straße. Oder wie damals in der berühmt gewordenen E-Mail aus der Abteilung von Henning L. stand: Ganz ohne Bescheißen werde es nicht gehen. So sollte der Beschiss geschehen.
Da sind es nur noch drei Angeklagte im Audi-Verfahren. Richter Weickert versucht das Trio auf die Spur eines vollumfänglichen Geständnisses zu locken. Dann könnten Stadler, Hatz und Giovanni P., der frühere Audi-Ingenieur, mit Freiheitsstrafen, die zur Bewährung ausgesetzt werden, davonkommen. Es bliebe ihnen also eine Haft erspart. Die Anwälte von Hatz und Stadler lassen sich noch nicht in die Karten blicken, auch wenn der Richter sie dazu mit seinem letzten ausgespielten Trumpf der Haftverschonung gegen Geständnis geschickt animiert hat.
In beiden Fällen könnte mehr Klarheit erst nach Ostern herrschen. Die Anwältinnen und Anwälte der beiden Herren geben am Rande des Prozesses nachfragenden Journalisten sozusagen zu verstehen, die Eier seien noch nicht gelegt, es erübrigten sich also alle Suchaktionen über Ostern. Was Giovanni P. betrifft, sieht die Sache klarer aus. Für ihn trug sein Anwalt Walter Lechner aus seiner Sicht das von Weickert eingeforderte echte Geständnis vor. Darin heißt es: „Herr P. hatte bei seinem Tun in Zusammenhang mit Abschalt-Einrichtungen die Einsicht, dass diese nicht gesetzeskonform sein könnten.“ Ob das dem Richter für eine Bewährungsstrafe reicht und der Angeklagte wie Henning L. damit raus ist, wird sich zeigen.