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Diesel-Skandal: Muss Audi Angst vor einer neuen Klage-Welle haben?

Diesel-Skandal

Muss Audi Angst vor einer neuen Klage-Welle haben?

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    Nach der neuen Diesel-Rechtsprechung droht auch Audi eine Klage-Welle.
    Nach der neuen Diesel-Rechtsprechung droht auch Audi eine Klage-Welle. Foto: Hendrik Schmid, dpa

    Der 26. Juni 2023 könnte zu einem verflixten Tag für Auto-Hersteller werden. Denn der Bundesgerichtshof - kurz BGH - hat die Hürden für die Durchsetzung von Schadenersatz im Diesel-Abgasskandal erheblich gesenkt. Noch rätseln Expertinnen und Experten, wie verbraucherfreundlich das kompliziert formulierte BGH-Urteil wirklich ist. Christian Grotz, Geschäftsführer und Anwalt der auf Diesel-Prozesse spezialisierten Kanzlei Dr. Stoll & Sauer aus Lahr im Schwarzwald, sieht die Entscheidung positiv: "Das Gericht hat eine verbraucherfreundliche Rechtsprechung beschlossen." Die neue BGH-Formel laute: "Unzulässige Abschalteinrichtung = Schadenersatz." Damit genüge es, den Herstellern nachzuweisen, dass sie in ihren Diesel-Autos Abschalteinrichtungen verbaut hätten. Der Hersteller müsse dann wiederum beweisen, dass diese ausnahmsweise zulässig sind. "Das wird ein schwieriges Unterfangen", glaubt Grotz.

    Konkret heißt das nach der Auslegung des Rechtsanwalts: "Wer ein manipuliertes Auto erworben hat, wird entschädigt - unabhängig davon, ob Verbraucher bereits einen Rückruf für die Fahrzeuge erhalten haben oder nicht." Nach der bisherigen Rechtsprechung mussten Autohersteller vorsätzlich und sittenwidrig etwa mit einer entsprechenden Manipulations-Software Abgas-Werte geschönt haben, damit Käufer zu ihrem Recht kamen. Frühere Audi- oder VW-Dieselautos hielten auf dem Teststand den vorgeschriebenen Ausstoß gesundheitsschädlicher Stickoxide auf wundersame Weise ein, während die Werte auf der Straße plötzlich durch die Decke gingen. Möglich machte das eine Abschalteinrichtung. 

    BGH-Urteil zum Dieselskandal: Jetzt reicht auch Fahrlässigkeit

    Nach dem BGH-Urteil reicht es aus, dass Fahrzeugbauer fahrlässig gehandelt haben. Damit folgt der Bundesgerichtshof der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Aus Verbrauchersicht ist das ein Meilenstein, war es doch bisher, wie viele Prozesse zeigen, schwierig nachzuweisen, dass die Auto-Konzerne vorsätzlich und sittenwidrig gehandelt haben. Die Diesel-Kanzleien müssen nun zunächst prüfen, ob es eine Chance gibt, ein vorsätzlich-sittenwidriges Verhalten zu belegen und damit den kompletten Schaden für ihre Klienten ersetzt zu bekommen. Sind die Chancen zu gering, können sie nach der Wende der Rechtsprechung versuchen, über die Fahrlässigkeit-Schiene immerhin fünf bis 15 Prozent des Kaufpreises zu erstreiten. 

    Rechtsanwalt Grotz weist darauf hin, dass Verbraucher nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des BGH nicht nur bei Abschalteinrichtungen, die Prüfstände erkennen und Abgas-Werte manipulieren, Schadenersatz einstreichen können. Auch für Diesel-Fahrer, in deren Autos illegale Thermofenster verbaut sind, lockt Geld. Dabei drosseln die Wagen ab bestimmten Minus- und Plus-Temperaturen die Abgasreinigung. Zum Teil sind solche Mechanismen, wenn es etwa um den Schutz des Motors bei Extrem-Temperaturen geht, zulässig. Zum Teil können sie illegal sein. Auf Juristen kommt viel Arbeit zu. Und den Auto-Herstellern droht eine neue Klagewelle.

    Das scheint Fahrzeug-Anbieter wie Audi nervös zu machen, zeigt jedenfalls ein unserer Redaktion vorliegendes Schreiben des Unternehmens an Käufer älterer Diesel-Autos. Dort heißt es unter der Überschrift "Kundeninformation für Diesel-Fahrzeuge EU6c und älter": Nach industrieweitem Standard verfügten Diesel-Fahrzeuge über eine Funktion, bei der außerhalb eines bestimmten Temperaturbereichs die Abgasrückführungsrate schrittweise reduziert beziehungsweise angepasst wird. Audi spricht die berühmten Thermo-Fenster an und weist die Kundschaft darauf hin, dass solch ein System in den zum Verkauf stehenden Autos steckt. So warnt das Unternehmen interessiente Käufer davor, es sei nicht auszuschließen, dass "künftig Gerichte oder Behörden die konkrete Ausgestaltung einzelner Thermo-Fenster als nicht zulässig bewerten könnten". 

    Entschädigung bei betroffenen Autos: Wie sich Audi bei Diesel-Autos absichert

    Audi will, wie es in dem Schreiben weiter heißt, auch nicht mit Sicherheit ausschließen, dass die betroffenen Autos vom Hersteller oder den Behörden zurückgerufen werden. "Dies könnte bis hin zu einem gegen Fahrzeughalter gerichteten Entzug der Fahrzeugzulassung oder einer Nutzungsuntersagung reichen", steht weiter in der Kunden-Information. Der Text liest sich wie eine einzige Warnung an Käufer solch älterer Diesel-Autos: "Mögliche Auswirkungen auf den Wiederverkaufswert der Fahrzeuge können in einem solchen Fall nicht ausgeschlossen werden." Am Ende schreibt Audi ein wenig versöhnlich: "Wir hoffen, dass Ihnen diese Hinweise helfen werden, die Entscheidung zugunsten unserer Produkte zu treffen." Und: "Wir danken für Ihr Verständnis." 

    Letztlich können der Händler und die Käuferin oder der Käufer den Aufklärungsbogen unterschreiben. Der Erwerber soll unter anderem bestätigen, "dass er mit der Durchführung einer etwaigen technischen Maßnahme" am Fahrzeug einverstanden ist und er "ein Angebot zum Erwerb des oben genannten Fahrzeugs in Kenntnis dieser Informationen" abgibt. Mit dem Schreiben konfrontiert, sagt der Jurist Grotz: "Audi will sich absichern. Mögliche Käufer solcher Diesel-Fahrzeuge sollten sich genau überlegen, ob sie die Kunden-Information unterschreiben, weil das ihr Recht auf einen möglichen Schadenersatz gefährden könnte." 

    Audi will offen mit Kunden kommunizieren

    Audi selbst bestätigt auf Anfrage unserer Redaktion die Existenz dieser "Kundeninformation". Ein Sprecher sagte: "Die Audi AG legt großen Wert auf eine transparente Kommunikation." So informierten die Audi-Händler ihre Kunden vor der Kaufentscheidung umfassend und stellten ihnen relevante Informationen zur Verfügung. Dabei verweist der Sprecher darauf, dass "die Audi-Thermofenster dem Kraftfahrt-Bundesamt bekannt sind und von ihm genehmigt wurden". So seien der Volkswagen-Konzern und damit auch die Marke Audi davon überzeugt, dass die in den Diesel-Fahrzeugen verbauten Thermofenster den Vorgaben des Gesetzgebers entsprechen. Ungeachtet dessen habe sich das Unternehmen anlässlich der Entwicklung in der jüngeren Rechtsprechung zu Thermofenstern entschieden, potenzielle Käufer proaktiv, transparent und schriftlich zu informieren. 

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