Herr Peer, Sie leiten seit gut einem halben Jahr den Augsburger Luftfahrtzulieferer Premium Aerotec. Sie haben Physik studiert. Warum sind Sie in die Luftfahrtindustrie eingestiegen?
Norbert Peer: Schon als kleiner Bub hat mich die Fliegerei fasziniert. Ich wollte Pilot werden, doch ich hatte wegen meiner Kurzsichtigkeit keine Chancen, diesen Beruf zu ergreifen. Dann habe ich mich nach Alternativen umgeschaut und mich für die Luftfahrtindustrie interessiert. Als ich nach einem Studienplatz suchte, befand sich der Wirtschaftszweig in den 90er-Jahren gerade in der Krise. Deshalb habe ich nicht Luft- und Raumfahrttechnik, sondern in Graz Physik studiert. So hätte ich verschiedene technische Berufe ergreifen können. Am Ende bin ich als Physiker doch in der Luftfahrtindustrie gelandet.
Was macht einen Physiker aus?
Peer: Als Physiker lernt man, komplexe Zusammenhänge zu verstehen, Themen zu vereinfachen und Lösungsansätze für schwierige Fragen zu finden. In der Luftfahrtindustrie ist nicht nur die Technik komplex, sondern auch das gesamte System, vom Zusammenspiel der weltweiten Lieferketten, der Sicherstellung höchster Sicherheitsstandards, über lange Entwicklungszyklen bis hin zur zeitgerechten Erfüllung aller Kundenwünsche. Komplexität verringert man, indem man sie in kleinere, verdaubare Häppchen zerlegt. So arbeite ich.
Sie haben lange in der Hubschrauber-Industrie gearbeitet.
Peer: Ich war 23 Jahre bei Airbus Helicopters tätig. Am Anfang war ich für Systemtests verantwortlich, habe also Hubschrauber vor dem Abheben auf Herz und Nieren überprüft, um deren korrekte Funktion sicherzustellen. Zuletzt war ich für die Leitung des Produktbereichs aller Hubschrauber-Programme zuständig. Da habe ich die ganze Komplexität eines Hubschraubers verstehen gelernt. In meiner neuen Funktion als Premium-Aerotec-Chef sind komplexe strategische Fragen mein Tagesgeschäft, aber auch regelmäßig operative Themen, speziell durch die derzeit angespannte Situation der Lieferketten.
Sie mögen es kompliziert.
Peer (lacht): Mein neuer Job bei Premium Aerotec macht mir großen Spaß, obwohl ich immer noch ein wenig Heimweh verspüre, wenn ich an Airbus Helicopters denke. Ich habe mich in der Hubschrauber-Familie gut aufgehoben gefühlt. Im Donauwörther Werk von Airbus Helicopters erlebt man mit, wie aus sehr, sehr vielen Einzelteilen ganze Hubschrauber entstehen. Das ist faszinierend.
Ihre neue Tätigkeit ist ebenfalls kompliziert. Ein Flugzeug besteht aus rund drei Millionen Teilen und an der Produktion sind mehr als 3000 Zulieferer beteiligt, wie Airbus-Chef Guillaume Faury vorgerechnet hat.
Peer: Und nach wie vor ist es eine Herausforderung, bestimmte Teile in ausreichender Menge zu einem bestimmten Zeitpunkt zu bekommen. Jeden Tag müssen die Verantwortlichen in der Produktion mit Druck umgehen: Einerseits benötigen die Airbus-Kunden dringend ihre bestellten Flugzeuge, andererseits wartet man auf benötigte Teile, um zu liefern. Da muss man aus speziellem Holz geschnitzt sein, um mit dieser herausfordernden Situation umgehen zu können.
Airbus steht mächtig unter Druck, schließlich will der Luftfahrt-Riese im Jahr 2027 schon 75 Flugzeuge der erfolgreichen A320-Familie pro Monat bauen. Berichten zufolge liegt die Rate derzeit erst bei rund 60.
Peer: Wir müssen die Rate pro Monat noch weiter steigern, befinden uns also in einem sehr starken Produktionshochlauf. Dazu rüsten wir Hallen um und bauen neue Gebäude. Und wir haben zusätzliche Kräfte eingestellt. Der Fachkräftemarkt ist allerdings weitgehend leer gefegt. Wir haben also auch auf branchenfremde Kandidaten zurückgegriffen. Doch es braucht Zeit, diese neuen Mitarbeitenden für unsere Branche zu trainieren und zu qualifizieren.
Holt Premium Aerotec auch Spezialisten zurück, die in der Corona-Zeit in die Altersteilzeit verabschiedet wurden?
Peer: Das gibt es in Einzelfällen. Doch bei vielen ehemaligen Facharbeitern gelingt das nicht, zumal wenn sie schon drei Jahre in Rente sind.
Die Beschäftigtenzahl in Augsburg ist jedenfalls seit dem Corona-Tief massiv gestiegen.
Peer: Wir haben seit 2023 über 500 zusätzliche Arbeitsplätze allein in Augsburg geschaffen und beschäftigen dort jetzt rund 3500 Mitarbeitende. Seit der Corona-Zeit hat sich unsere Mitarbeiterzahl in Augsburg sogar um mehr als 1000 erhöht.
Baut Premium Aerotec weiter kräftig Mitarbeiter in Augsburg auf?
Peer: Wir konsolidieren jetzt erst einmal, halten also die Zahl der Beschäftigten stabil.
Warum denn? Sie brauchen doch für die ehrgeizigen Pläne noch mehr Mitarbeiter?
Peer: Wir können den Produktionshochlauf mit der aktuellen Mitarbeiterzahl stemmen. Jetzt müssen wir auch die Kosten im Blick behalten, denn der Produktionshochlauf verläuft etwas langsamer als ursprünglich geplant, unter anderem, weil manche Zulieferer ihre Produktion noch nicht entsprechend ausbauen konnten. Wir nutzen die Zeit, um die noch neuen und teilweise fachfremden Mitarbeitenden intensiv zu trainieren und zu qualifizieren, um sie als volle Arbeitskraft dann im Hochlauf einsetzen zu können.
Hat die Luftfahrtindustrie in der Corona-Zeit zu viele Stellen abgebaut?
Peer: In der Corona-Zeit wurden in der damals in der Krise steckenden Luftfahrtindustrie – pauschal ausgedrückt – drei Jahrgänge vorzeitig in den Ruhestand geschickt und drei Jahre wurde nicht eingestellt. Unter diesem damals erzeugten Vakuum leiden jetzt noch viele Unternehmen und am Ende auch Premium Aerotec.
Wäre es für Autozulieferer, denen angesichts der Branchenkrise Aufträge wegbrechen, nicht klug, in die boomende Luftfahrtindustrie einzusteigen?
Peer: Im Prinzip schon. Doch die Stückzahlen und damit die Umsätze in der Luftfahrtindustrie wären für solche Zulieferer geringer, als sie das in der Autobranche gewohnt waren. Und der Einstieg in die Luftfahrtindustrie ist sehr teuer, auch wegen der enormen Sicherheitsanforderungen. Aber es sollte einen Versuch wert sein. Es ist eine beeindruckende Branche.
Trotz aller Lieferketten-Probleme hat Premium Aerotec die Krise überwunden. Die harten Auseinandersetzungen mit der Arbeitnehmerseite über die Zukunft der Werke sind Geschichte. Die Standorte werden massiv um- und ausgebaut.
Peer: Wir verlagern aktuell die Produktion kleinerer Bauteile ins Ausland, etwa in unser Werk nach Rumänien. Dafür holen wir zusätzliche große Bauteile nach Augsburg. In neu gestalteten Hallen werden große Seitenschalen für den Rumpf der A320-Familie gebaut und zu Flugzeugrumpf-Sektionen montiert. Teile des hinteren Rumpfes der A320- und A330-Flugzeuge kommen bereits seit Langem aus Augsburg.
Welche großen Rumpfteile kommen hinzu?
Peer: Ab 2027 werden wir in Augsburg auch Seitenschalen aus der Mitte des Rumpfes fertigen. Damit erhöht sich der Anteil von Augsburg am gesamten Rumpf von Flugzeugen der A320-Familie noch weiter. Ganz wichtig für den Standort ist in dem Zusammenhang auch die Produktion des Rear Center Tanks für das neue Standardrumpf-Langstreckenflugzeug von Airbus, den A321XLR.
Was sind das für Tanks?
Peer: Diese Tanks ermöglichen der A321XLR die deutlich gesteigerte Reichweite von bis zu 8700 Kilometern. Im Laufe dieses Jahres werden wir in Augsburg eine eigens dafür errichtete Produktionshalle in Betrieb nehmen. Und unser Werk im norddeutschen Varel bauen wir ebenfalls mit erheblichen Investitionen weiter aus als führenden Standort in der Luftfahrtindustrie für komplexe Zerspanung und 3D-Druck.
Wann wird Augsburg erstmals in seiner Geschichte ein Airbus-Werk, wie das zu Krisen-Zeiten in einem Interessenausgleich mit der Arbeitnehmerseite ins Auge gefasst wurde?
Peer: Unsere Standorte in Augsburg, Varel in Niedersachsen und Brasov in Rumänien werden am 1. Juli 2025 Teil der im Jahr 2022 gegründeten Airbus Aerostructures GmbH. Nach außen wird das sichtbar, indem dann die Premium-Aerotec-Logos durch Airbus-Logos ersetzt werden.
Und wie steht Premium Aerotec wirtschaftlich da? 2023 hatte das Unternehmen noch Verluste geschrieben.
Peer: Wir befinden uns derzeit in einer umfassenden Umbauphase mit dem Ziel, zeitnah wirtschaftlich erfolgreich produzieren zu können. Dazu gehören auch Investitionen im dreistelligen Millionenbereich, die wichtig sind, um die wettbewerbsfähige Zukunft unserer Standorte zu sichern. Dank des Airbus-Rekord-Auftragsbestands von 8658 Flugzeugen sind unsere drei Werke die nächsten zehn Jahre mit Arbeit ausgelastet. Und wir arbeiten daran, dass sie auch darüber hinaus wichtige Zulieferstandorte für Airbus bleiben, mit hoch qualifizierten Mitarbeitenden und zu wettbewerbsfähigen Kosten.
Die Verteidigungs-Industrie boomt in Deutschland. Wie sieht es mit der militärischen Produktion von Premium Aerotec aus? Das Unternehmen baut Rumpfmittelteile für das europäische Kampfflugzeug Eurofighter.
Peer: Unsere Eurofighter-Produktion läuft gut. Erst kurz vor Weihnachten haben Spanien und Italien neue Eurofighter bestellt. Auch die Bundesregierung hat angekündigt, 20 neue Flugzeuge für die Luftwaffe zu bestellen. Bei einigen Exportkampagnen rechnen wir uns ebenfalls gute Chancen aus. Wir müssen also in Augsburg die Produktion nicht unterbrechen, wie das in der Vergangenheit schon einmal passiert ist. Die Auslastung wird vielmehr steigen. Darüber hinaus fertigen wir ja auch weiterhin rund 70 Prozent der Rumpfstruktur des Airbus Militärtransporters A400M. Augsburg bleibt also auch ein militärischer Produktionsstandort.
Zur Person: Norbert Peer, 50, ist Diplomphysiker und war bei Airbus Helicopters zuletzt als Head of Products tätig, verantwortlich für die Leitung des Produktbereichs aller Hubschrauber-Programme der Airbus Division. Er bekleidete zahlreiche weitere Leitungsfunktionen bei Airbus Helicopters und konnte so umfangreiche und vielfältige Erfahrungen in der Luftfahrtindustrie gewinnen. Seit dem 1. Juni 2024 leitet der gebürtige Österreicher den zu Airbus gehörenden Luftfahrtzulieferer Premium Aerotec mit insgesamt rund 6000 Beschäftigten an den drei Standorten Augsburg, Varel sowie Brasov in Rumänien. Peer ist ein Familienmensch und leidenschaftlicher Hobby-Koch.
Die Deindustrialisierung Deutschlands schreitet voran. :))
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