Dass Vertreter der Bundesregierung Optimismus ausstrahlen müssen, ist Teil ihrer Stellenbeschreibung. Keinem ist damit gedient, wenn das Land von Miesepetern regiert wird. Zuversicht allein reicht aber nicht, um unserer zuletzt chronisch wachstumsschwachen Volkswirtschaft Konjunktur-Impulse zu geben. Insbesondere Kanzler Olaf Scholz neigt dazu, sich den Zustand des Landes schönzureden und hanseatisch-spitz Wirtschafts-Leute als klagende Kaufleute abzutun.
Symptomatisch für die Sicht von Politikern auf die Verfassung der Ökonomie ist der Verweis darauf, die Arbeitslosigkeit bleibe historisch niedrig und die Inflation sinke wieder. So könnte der Eindruck entstehen, es sei alles nicht so schlimm. Haben diese Optimisten recht? Dass die Zahl der Erwerbslosen noch niedrig ausfällt, ist kein Grund zur Entwarnung. Die Stabilität des Arbeitsmarktes geht vorwiegend auf die Tatsache zurück, dass in vielen Branchen Arbeitskräftemangel herrscht. Unternehmer greifen zu, wenn sie qualifizierte Bewerber finden. Die Überalterung der Gesellschaft macht sich hier bemerkbar. Doch trotz dieses Effekts schleicht sich die Wirtschaftskrise auch am Arbeitsmarkt ein. So müssen nach einer Umfrage rund 20 Prozent der schwäbischen Metall- und Elektrofirmen Stellen streichen. Jürgen Weiß, Vorsitzender des Vorstandes der bayerischen Metall- und Elektro-Arbeitgeberverbände, zeigt die andere Seite der Wirtschaftsmedaille auf: „Konjunkturschwäche und Standortprobleme gefährden mittlerweile die Zukunft unserer Industrie.“ Die Beschäftigten zahlten die Zeche für die schlechte Industrie-Politik der letzten Jahre.
Die Industrie war der Garant unseres Wohlstands und damit stabiler Sozial-Systeme
Diese Analyse kommt der Wirklichkeit näher als der Zweckoptimismus der Bundesregierung. Zur Wahrheit gehört auch: Dass gerade die Industrie als einstiger Wachstumstreiber in eine Krise gerutscht ist und unsere Wirtschaft in diesem Jahr nur minimal wachsen wird, ist auch das Resultat einer länger zurückliegenden verfehlten Politik. Die letzten vier Jahre der Kanzlerschaft Angela Merkels waren verlorene Jahre. Grundlegende Reformen für mehr Wachstum blieben bis heute aus. Seit den Agenda-Zeiten Gerhard Schröders ist kein Ruck mehr durch das Land gegangen. Es ruckelt nur leicht, wie zuletzt mit der halbherzigen Mini-Wachstums-Initiative der Bundesregierung. Derartige Reförmchen bringen nicht die Zuversicht zurück, auch wenn das Konsum-Klima zuletzt etwas besser geworden ist, wie aus dem GfK-Index hervorgeht. Dazu hat wohl die gestiegene Kauf-Laune während der Fußball-Europameisterschaft beigetragen. Solche Einmal-Effekte verpuffen. Was bleibt und die Wachstums-Aussichten trübt, sind negative Standort-Faktoren im Übermaß: Vor allem die überbordende Bürokratie belastet Unternehmen über Gebühr. Sie ist Ausdruck des Misstrauens des Staates gegenüber Firmen-Inhabern. Weil auch die Energiepreise im weltweiten Vergleich zu hoch sind, verlagern selbst lange standorttreue Konzerne wie Miele weiter Produktion ins Ausland. Die Deindustrialisierung hat eingesetzt, was eine alarmierende Entwicklung ist.
Die Industrie war der Garant unseres Wohlstands und damit stabiler Sozial-Systeme. Wenn Produktions-Unternehmen auswandern, ist das langfristig gefährlich für die Demokratie. Denn dadurch bekommen Parteien am extrem rechten und linken Rand Zulauf. Es ist deprimierend, dass die Verantwortlichen in Berlin den Ernst der Lage nicht erkennen oder einfach nicht erkennen wollen.
Auf günstige Energiepreise wird man in Deutschland wohl noch viele Jahre warten müssen. Trotzdem sollten die Unternehmer nicht immer als Erstes nach staatlicher Hilfe rufen. Insofern stimme ich da Olaf Scholz schon zu. Die Forderung nach Bürokratieabbau ist jedoch berechtigt. Gut wäre, wenn die Unternehmer diese aber auch bei ihren eigenen Vorschlägen mit im Blick haben: Wie sollte z. B. eine Rente mit 70 bei Bürojobs ohne zusätzliches Personal in der Rentenversicherung verwirklicht werden? Natürlich müsste sich vorher eine Expertenkommission mit der Grundsatzfrage befassen, wie man den Bürojob definiert. – vgl. Abgrenzungsprobleme bei den Gefahrtarifstellen der Berufsgenossenschaften. Rechtsfragen könnten auch sein: Ist die Unterscheidung bei der Versicherungsleistung nach Art der Tätigkeit mit dem Äquivalenzprinzip vereinbar? Wie ist ein Versicherter zu behandeln, der wegen abnehmender körperlicher Belastbarkeit erst in seinen letzten Versicherungsjahren einen Bürojob bekam?
Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.
Registrieren sie sichSie haben ein Konto? Hier anmelden