Mütter sind unbestechlich. Sie kennen kein Pardon, wenn es gilt, Kindern Verfehlungen vorzuhalten. So bekam Josef Ackermann einen Anruf seiner einstigen Erziehungsberechtigten. Sie war schockiert, dass ihr Sprössling als Chef der Deutschen Bank im Mannesmann-Prozess zwei Finger zum Siegeszeichen formte und dazu lächelnd seine weißen Zähne zeigte. Als ob der Manager noch ein Bub war, musste er Kritik einstecken: „Mein lieber Sohn, wie konntest du einen solchen Blödsinn machen.“ Er konnte es.
Josef Ackermann veröffentlicht Biografie
Auch mit 76 Jahren lässt Ackermann die Geste von 2004 nicht los. Er ruft sich den Ausrutscher in seiner jetzt im Verlag Langen Müller erschienenen Autobiografie „Mein Weg“ derart ausführlich in Erinnerung, dass klar wird, hier versichert zwar ein Mann, mit sich im Reinen zu sein, er verspürt aber 20 Jahre danach immer noch einen ordentlichen Rechtfertigungsdruck. Dabei ist längst Gras über die Sache gewachsen. Heute regen sich Menschen über andere Themen auf. Die in den Jahren um die Jahrtausendwende hochkochenden Debatten um die Arroganz von Managern und ihre üppigen Boni haben Staub angesetzt. Ackermann hat dennoch zum Staubtuch gegriffen und reibt damit sein Leben ab.
Dass der an sich freundliche und umgängliche Schweizer zum Feindbild mancher Deutscher wurde, ist das Ergebnis seines Sieges- und vermeintlichen Hochmuts-Zeichens: Es stand sinnbildhaft für eine Spitzenmanager-Kaste. Ackermann wurde unterstellt, sich abgehoben über die Justiz lustig gemacht zu haben. Er stand damals in Düsseldorf vor Gericht, weil ihm und anderen Verantwortlichen vorgeworfen wurde, im Zuge der Mannesmann-Übernahme durch den britischen Angreifer Vodafone Managern des deutschen Konzerns massiv überhöhte Millionen-Prämienzahlungen zugestanden zu haben. Zu allem unbedachten Überfluss hatte Ackermann noch beleidigt zu Protokoll gegeben, Deutschland sei das einzige Land, in dem diejenigen, die Erfolg haben und Werte schaffen, vor Gericht gestellt würden. Wie sein Erklärungsversuch in Buchform zeigt, hält er die Erkenntnis bis heute für nicht falsch.
Ackermann: Es war eine mir völlig fremde Geste
Was hat Ackermann gejuckt, in Anwesenheit von Fotografen wie ein trotziger Bub die Finger zu spreizen? Wer ist schuld an einer der katastrophalsten Gesten der Wirtschaftsgeschichte? Der Manager versucht aufzuklären: Demnach verzögerte sich die Verhandlung. Mit anderen Angeklagten stand er herum. Der einstige Chef der Deutschen Bank erinnert sich: „Meine Verteidiger hatten mir vorher geraten: Sitzen Sie auf keinen Fall herum und lesen etwas, sonst kommen die Fotos als reumütig und schuldig rüber. Stehen Sie einfach locker da und diskutieren.“ Ackermann beherzigte den Rat. Heute schreibt er selbstkritisch: „Ein totaler Fehler.“ Er würde jedem empfehlen: „Hinsetzen, Zeitung lesen. Was immer die Bilder dann aussagen, man macht sicher nichts falsch.“ Der Manager machte es falsch: Die Warterei vor Gericht zog sich hin. Einer der Verteidiger im Saal meinte nach den Erinnerungen Ackermanns: „Jetzt geht es uns wie Michael Jackson.“ Schließlich war der Pop-Star einige Tage zuvor zu spät zu seinem Prozess gekommen. Ackermann hört das Wort „Jackson“ und der Kurzschluss seines Lebens nahm seinen Lauf, indem er das Markenzeichen des King of Pop nachahmte. Nach wie vor rätselt der Manager, weshalb er das getan hat: „Es war eine mir völlig fremde Geste, die nie zu meinem Repertoire gehört hatte, und deshalb dachte ich mir auch gar nichts.“ Letzteres war wahrscheinlich das Problem.
Der Vorfall zeigt, wie eine Dummheit das Leben ändern kann. Ackermann provozierte immer wieder Kritik, ob er den Abbau von Tausenden Stellen oder die Steigerung der Eigenkapitalrendite der Deutschen Bank um extreme 25 Prozent verkündete. Ist er ein verkannter Mensch? Nach der Lektüre des Buches wird klar, dass sich der Schweizer natürlich anders sieht, als er in Deutschland dargestellt wurde. Seine Biografie steckt voller Bekenntnisse, die ein angenehmeres Licht auf ihn werfen sollen. So sei Geld für ihn nie der entscheidende Antrieb gewesen. Und er lässt seine Leserinnen und Leser wissen: „Menschen machen Fehler, ich ebenso.“ Am Ende versucht sich der Manager als Philosoph: „Alles Irdische ist Tand.“
Ackermann wurde vor Deutschland gewarnt
Wenn Ackermann liebevoll über seine finnische Frau und seine Tochter schreibt, ja erzählt, wie er ein ordentlicher Speerwerfer gewesen ist und Stunden für Operngesang genommen hat, kann der Eindruck entstehen, es doch gar nicht mit einem so üblen Menschen zu tun zu haben. Vielleicht ist sein Bild in der Öffentlichkeit überzeichnet. Er tritt auch bis auf die ein oder andere bissige Bemerkung gegenüber Journalisten nicht nach. Aus seinem Buch spricht die Sehnsucht, differenzierter gesehen zu werden. Letztlich drängt sich der Eindruck auf, das Leben des Josef Ackermann hätte eine für ihn vorteilhaftere Wendung genommen, wenn er nicht nach Deutschland gegangen wäre. Der Schweizer wurde jedenfalls vor dem „Schlangennest Deutschland“ gewarnt, erlag aber den Lockrufen der Deutschen Bank. Manchmal ist der Ehrgeiz der größte Fehler.