Der Chef der Lokführergewerkschaft GDL will es noch einmal wissen. Für drei Tage legt Claus Weselsky die Bahn in Deutschland zu großen Teilen lahm. Erst am Freitagabend endet der Streik seiner Lokführer. Weselsky wäre nicht der gefürchtetste Gewerkschaftsvorsitzende des Landes, wenn er lockerließe. „Wenn nichts kommt bis Freitag, machen wir eine Pause und gehen in den nächsten Arbeitskampf", kündigte er am Donnerstag in der ARD an. Die Härte der Auseinandersetzung hat nicht nur mit der Persönlichkeit des 64-Jährigen und seinem bevorstehenden Ruhestand zu tun.
Woher rührt die erbitterte Gegnerschaft zwischen GDL und EVG?
Der Grund für das vergiftete Verhältnis liegt mehr als zwei Jahrzehnte zurück. Im Jahre 2002 löste sich die GDL aus der Tarifgemeinschaft der Bahn, die sie bis dahin mit den EVG-Vorgängern Transnet und GDBA gebildet hatte. Vier Jahre später beschloss die GDL, erstmals einen eigenständigen Tarifvertrag nicht mehr nur für Lokführer, sondern auch für Schaffner und Mitarbeiter der Bord-Gastronomie zu fordern. Seitdem konkurrieren die Gewerkschaften. Das Mittel der Auseinandersetzung sind die Tarifverträge: Wer dem Bahn-Management mehr abtrotzt, kann darauf hoffen, für neue Mitglieder attraktiver zu werden. „Vorn auf der Lokomotive ist man der Chef", sagte der langjährige GDL-Vorsitzende und Weselsky-Vorgänger Manfred Schell einst. Chef und vorne zu sein, ist seitdem der Anspruch der Lokführervertretung, die von der Mitgliederstärke wesentlich kleiner ist als die EVG. Während letzterer 180.000 Eisenbahner angehören, organisieren sich in ersterer nur 40.000.
Was verschärft den Konflikt?
Mehrere Faktoren befeuern die Auseinandersetzung. GDL-Chef Claus Weselsky hat ein großes Sendungsbewusstsein. Sein Ruf als kompromissloser Buhmann der Nation ficht ihn nicht an. Vorgänger Schell verglich den Führungsstil seines Erben mit dem der Diktatoren Mao und Assad. Zudem gilt der derzeitige Kampf mit der Bahn als die letzte Runde Weselskys. Der Sachse steht vor dem Ruhestand, hat also persönlich nichts mehr zu verlieren. Sein Gegenspieler – der EVG-Vorsitzende Martin Burkert – tritt anders als frühere EVG-Entscheider bestimmter auf und setzt seine Forderungen notfalls auch mit Warnstreiks durch, wie im vergangenen Jahr geschehen. Politisch gehören beide Gewerkschaften in verschiedene Lager. Während Weselsky Mitglied der CDU ist, hat Burkert das Parteibuch der Sozialdemokraten. Der Franke saß 15 Jahre für die SPD im Bundestag. Denn Wettbewerb rauer macht zudem ein Gesetz, das seinen Zweck bis heute nicht erfüllt hat.
Warum ist das Tarifeinheitsgesetz wirkungslos?
Bis zum Jahr 2010 galt in Deutschland der Grundsatz der Tarifeinheit: Ein Betrieb, ein Tarifvertrag (für dieselbe Berufsgruppe). Im Jahr 2010 hob das Bundesarbeitsgericht die Tarifeinheit auf. Das Urteil stärkte kleinere Gewerkschaften mit großem Einfluss, wie die GDL, die Pilotenvereinigung Cockpit und die Ärztevertretung Marburger Bund. Aus Furcht vor der Blockade Deutschlands durch mächtige Berufsgruppen setzte sich die damalige Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) für ein Tarifeinheitsgesetz ein, das 2015 in Kraft trat, um dem alten Grundsatz wieder Geltung zu verschaffen. Es gilt der Tarifvertrag der Gewerkschaft, die mehr Beschäftigte repräsentiert. Bei der Bahn ist das Gesetz weitgehend wirkungslos. Die Ursache hierfür liegt in der Struktur des Unternehmens. Denn die Tarifeinheit gilt nicht für den Konzern insgesamt, sondern muss für jeden der 300 Einzelbetriebe einzeln angewendet werden. Laut Deutscher Bahn hat die GDL nur in 16 Betrieben eine Mehrheit. In 71 Betrieben seien die Mehrheitsverhältnisse zwischen GDL und EVG unklar, in den anderen Bereichen ist demnach die EVG vorn. Das Streikrecht ist von der Tarifeinheit nicht eingeschränkt: Das heißt, die GDL kann auch in Betrieben in den Arbeitskampf treten, in denen sie nicht die Mehrheit vertritt. Die Frage allein ist, ob sich einem Aufruf genügend Eisenbahner anschließen und wie hoch die Rücklagen in der Streikkasse sind. Denn wer streikt, erhält kein Geld vom Arbeitgeber.
Warum gab es früher weniger Bahnstreiks?
In der alten Bundesrepublik waren die Eisenbahner Beamte, die nicht streiken durften. In der DDR waren Streiks de facto verboten. Durch die Bahnreform von 1994 wurde der Beamtenstatus abgeschafft. Wer Bahnbeamter war, durfte das bleiben. Immer wieder wird deshalb diskutiert, die Mitarbeiter der Deutschen Bahn wieder zu verbeamten. Doch in der Regierung als Eigentümerin der Bahn wurde der Vorschlag in den vergangenen Jahren nie ernsthaft diskutiert.