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Debatte: Vorrang für die Industrie bei einem Gasembargo – ja oder nein?

Debatte

Vorrang für die Industrie bei einem Gasembargo – ja oder nein?

Stefan Lange
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    Wer bekommt im Fall des Falles wie viel Gas? Darüber wird gerade heftig gestritten.
    Wer bekommt im Fall des Falles wie viel Gas? Darüber wird gerade heftig gestritten. Foto: Karl-Josef Hildenbrand, dpa

    Pro – "Natürlich sollte die Industrie in gewissem Maß Vorrang bekommen"

    Sowohl Vorstandsvorsitzende als auch Gewerkschaftsbosse loben die Kurzarbeit. Mit sehr viel staatlicher Hilfe wurde so in den harten Lockdown-Phasen der Pandemie verhindert, dass Hunderttausende ihre Jobs verloren. Nun ist Corona nicht vorbei. Ab Herbst werden wir uns mit hoher Wahrscheinlichkeit (Impfpflicht wäre schön gewesen!) wieder in die eigenen vier Wände sperren müssen (ganz liebe Grüße an die FDP!). Das bedeutet: Für die Unternehmen wird es noch schwieriger.

    Detlef Scheele, also der Chef der Bundesagentur für Arbeit und nicht irgendein Konzernboss, hat unlängst vollkommen zu Recht davor gewarnt, dass ein Gas-Embargo zu hoher Arbeitslosigkeit in Deutschland führen würde, mit arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen „nicht aufzufangen“, Kurzarbeit in dem dann nötigen Ausmaß „gar nicht zu administrieren“ sei.

    Heißt: Natürlich sollte die Industrie in gewissem Maß Vorrang im Falle eines Gas-Embargos bekommen. Etwas böse und sehr verkürzt formuliert: lieber ein bisschen frieren als kein Einkommen mehr haben. Arbeitslosigkeit ist schlimmer, als sich in einer kälteren Wohnung zwei Pullover und eine Mütze überzuziehen. Die Zeiten werden leider härter, es muss wohl leider anders priorisiert werden. Und ohne Arbeit – das ist eine Binse – ist sehr vieles nichts. Das Industrieland Deutschland braucht eine funktionierende Industrie. Massenarbeitslosigkeit bedeutet sozialer Sprengstoff, bedeutet Destabilisierung, bedeutet: Putin erreicht ein Kriegsziel. Stefan Küpper

    Contra – "Haushaltskunden werden vorrangig versorgt – diese Regelung ist sinnvoll"

    In Berlin geben sich die Lobbyisten der großen, energieintensiven Konzerne gerade wieder die Klinke in die eine Hand. Mit der anderen zeichnen sie ein Schreckensgemälde, das in den schrecklichsten Farben vor einem Lieferstopp bei russischem Gas warnt. Die Drohinstrumente sind sattsam bekannt: Man werde Standorte schließen und ins Ausland verlagern müssen, vor allem die Keule Arbeitsplatzverlust wird geschwungen. Solche Versuche der Großindustrie, die eigenen Interessen abzusichern, gab es in der Vergangenheit immer wieder. Taten folgten dem indes nicht.

    Sollte Deutschland kein Gas mehr von Russland kaufen, wären die Auswirkungen auf die Industrie sicherlich groß. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass der Markt die Sache regelt. Reiche Staaten wie Deutschland können sich das Gas woanders kaufen. Beim Getreide wird das beispielsweise gerade getan, weil die üblichen Lieferungen aus der Ukraine wegen des Krieges entfallen.

    Der Preis für Gas steigt dadurch. Aber die meisten deutschen Konzerne haben in den letzten Jahren prächtig verdient und sind durchaus in der Lage, höhere Preise zu stemmen. Sie können deutlich leichter mit einem Gas-Lieferstopp fertig werden als viele Privathaushalte, die entweder ohnehin schon arm sind oder deren finanzieller Puffer durch die Folgen der Corona-Pandemie aufgebraucht sind.

    Haushaltskunden unterliegen einem besonderen gesetzlichen Schutz und werden „vorrangig versorgt“, wie es bei der Bundesnetzagentur heißt. Diese Regelung ist eindeutig und sinnvoll. Eine Änderung der Reihenfolge hingegen wäre fatal. Rauchende Schlote, während sich die Menschen in Wärmestuben drängen? Das wäre in der Tat ein Schreckensbild, das im reichen Industrieland Deutschland doch wohl niemand haben will. Stefan Lange

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