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Corona-Krise: Wie Europa seine Krisenkasse füllen möchte

Corona-Krise

Wie Europa seine Krisenkasse füllen möchte

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    Es wird ein finanzieller Kraftakt für Europa: 750 Milliarden Euro muss die EU-Kommissionen an den Kapitalmärkten aufnehmen.
    Es wird ein finanzieller Kraftakt für Europa: 750 Milliarden Euro muss die EU-Kommissionen an den Kapitalmärkten aufnehmen. Foto: Imago Images

    Europa kleckert nicht – es klotzt. 750 Milliarden Euro will sich die EU-Kommission an den Finanzmärkten leihen, um der Wirtschaft in den 27 Mitgliedsländern der Union wieder auf die Beine zu helfen. Das ist nicht nur politisch ein Kraftakt von historischen Dimensionen, sondern auch finanziell. Wie aber kommt EU-Europa an dieses Geld und wie zahlt es seine Schulden später wieder zurück? Ein Überblick:

    Die Rechtslage: Eigentlich darf die EU sich nicht verschulden, sondern muss mit dem von den Mitgliedstaaten für jeweils sieben Jahre festgelegten Finanzrahmen auskommen. Einzige Ausnahme nach Artikel 122 der Verträge: außergewöhnliche Ereignisse wie Naturkatastrophen. Auf diesen Passus berufen sich jetzt auch die Architekten des Wiederaufbaufonds. Die Kommission will dazu Anleihen mit Laufzeiten von bis zu 30 Jahren an den Kapitalmärkten platzieren. Damit sie das überhaupt kann, müssen die Mitgliedsländer für die ausgegebenen Papiere geradestehen. Im Falle eines Ausfalls würde Deutschland entsprechend seiner Wirtschaftskraft mit 27 Prozent dafür haften, das sind im Extremfall, dem Ausfall aller Anleihen, 202 Milliarden Euro.

    Die Anleihen: Sie funktionieren nicht anders als nationale Anleihen auch, dürften wegen des größeren Ausfallrisikos aber etwas besser verzinst sein als deutsche Staatsanleihen, die gegenwärtig bei einer Laufzeit von 30 Jahren mit einem Strafzins von minus 0,028 Prozent belegt sind. Der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber, der finanzpolitische Sprecher seiner Fraktion, sieht vor allem große Versicherungen und Pensionskassen als potenzielle Käufer, weniger jedoch die Europäische Zentralbank, die seit Jahren im großen Stil Staats- und Unternehmensanleihen aus der Eurozone aufkauft.

    Größtes Problem aus Ferbers Sicht: Die Kommission kann sich die 750 Millionen Euro nicht auf einen Schlag am Kapitalmarkt beschaffen, sondern muss die Finanzierung über mehrere Jahre strecken. Kein Staat der Erde, sagt er, habe bisher eine solche Summe aufgenommen. „Daran muss sich einerseits der Markt erst gewöhnen – und auf der anderen Seite muss die EU auch erst Vertrauen aufbauen.“ Andernfalls würden die großen Ratingagenturen Europas Bonität bald kritischer beurteilen – mit der Folge, dass die EU deutlich höhere Zinsen für neue Anleihen bezahlen müsste. Im Moment ist sie auf den Kapitalmärkten mit einem Volumen von etwas mehr als 50 Milliarden Euro ein eher unbedeutender Schuldner. Zum Vergleich: Deutschland hat Anleihen über 1,3 Billionen Euro ausstehen.

    Plastikabgabe, Digitalsteuer und Klimastrafsteuer als Einnahmequellen

    Die Finanzierung: Die Kosten für den Wiederaufbaufonds muss die EU aus dem laufenden Haushalt bestreiten, wobei die Tilgung vermutlich erst im Jahr 2027 beginnen soll – bis dahin zahlt die EU lediglich die Zinsen an die Käufer ihrer Anleihen. Um die zusätzlichen Kosten stemmen zu können, will die EU schon Anfang kommenden Jahres eine Art Plastikabgabe einführen. Deren Einnahmen aber, warnt Ferber, „bringen uns nicht einmal die Zinskosten“. Und je erfolgreicher die Steuer sei, je schneller sie den Plastikverbrauch drossele – umso geringer seien auch die Einnahmen. Außerdem plant die EU-Kommission noch eine eigene Digitalsteuer und eine Strafsteuer für klimaschädlich hergestellte Importprodukte aus Drittstaaten – hier wie dort jedoch ist die Gefechtslage so kompliziert, dass noch nicht einmal klar ist, ob die beiden Steuern überhaupt kommen – und, falls doch, wann? Sollten die zusätzlichen Einnahmen nicht ausreichen, um den Wiederaufbaufonds solide zu finanzieren, bleiben der EU-Kommission nur zwei Möglichkeiten: Einsparungen im Haushalt der Union – oder höhere Beiträge der Mitgliedstaaten.

    Die Risiken: Die Kritiker der Übereinkunft sehen in ihr den Einstieg in eine europäische Schuldenunion, in der ein Land für die Defizite der anderen Länder haftet. Theoretisch könnte die EU die 750 Milliarden Euro auch überhaupt nicht tilgen, sondern auslaufende Anleihen einfach wie nationale Regierungen auch durch immer neue Anleihen ersetzen – dazu aber müssten erst die gemeinsamen Verträge geändert werden, die eine dauerhafte Verschuldung bisher verbieten. CSU-Experte Ferber fürchtet genau dieses Szenario. Die nächste Krise, unkt er, komme über kurz oder lang sowieso – und dann könnten die Mitgliedstaaten schnell der Versuchung erliegen, aus 750 Milliarden Euro an bestehenden Schulden mal rasch eine Billion zu machen – als müsse die EU nur kurz ihren Dispokredit erhöhen. „Das ist meine größte Sorge,“ sagt Ferber. „Wer einmal an den Naschtopf gegangen ist...“ Ähnlich argumentiert auch Jörg Kramer, der Chefvolkswirt der Commerzbank: „Wenn es in Zukunft zu einer neuen, schweren Rezession kommt oder neue Herausforderungen wie der Klimawandel es erfordern, ist es gut möglich, dass die EU sich erneut in großem Umfang verschuldet. Stand jetzt müssen die Mitgliedsländer ihre Kredite aus dem Fonds bis 2058 zurückzahlen.

    Die Börsianer jubeln: Dax über 13.000 Punkte

    Die Börse: An den Finanzmärkten wurde die Einigung positiv aufgenommen. Der Euro stieg zeitweise auf den höchsten Stand seit vier Monaten. Der deutsche Aktienindex Dax übersprang erstmals seit Februar wieder die 13300 Punkte.

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