Wer heute über Shanghais berühmter Uferpromenade "The Bund" schlendert, sieht auf der einen Seite Luxusboutiquen, auf der anderen, hinter dem Fluss Huangpu, die Skyline von Shanghais Finanzviertel. Kaum einer dürfte sich die Frage stellen, was am modernen China noch kommunistisch ist. Denn längst hat sich die Welt daran gewöhnt, dass die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt sich nach wie vor zwar als "Volksrepublik" bezeichnet und von einer "kommunistischen" Führung regiert wird. In Wahrheit aber klafft in kaum einem anderen Land die Schere zwischen Arm und Reich so weit auseinander wie in China, selbst in den USA nicht.
Trotzdem jährt sich in diesen Tagen der 30. Jahrestag, an dem der damalige Machthaber und große Reformer Deng Xiaoping die "Sozialistische Marktwirtschaft mit chinesischer Prägung" ausrief. Er wollte die Planwirtschaft beibehalten, sie aber mit "privatwirtschaftlichen Elementen" ergänzen, wie er es formulierte. Staats- und Privatunternehmen sollten sich gegenseitig anspornen. Westliche Ökonomen spotteten damals: Terminologisch sei das ein Widerspruch. Entweder habe ein Land freie Märkte oder Sozialismus. Beides gleichzeitig gehe nicht. Doch China war erstaunlich erfolgreich damit – bis jetzt.
China hat mächtige Staatskonzerne
China hat heute mit Tech-Riesen wie Huawei, Tencent und Baidu oder auch Geely oder BYD eine erfolgreiche Privatwirtschaft, mit großen Staatsunternehmen wie dem Hafenbetreiber Cosco, Baostelle oder auch der China Construction hochprofitable Staatsunternehmen. Sie gehören gar zu den Größten der Welt. Dass China diesen Weg eingeschlagen hat, ging keineswegs auf einen Masterplan eines weisen Ökonomen zurück. Denn der war Deng wahrlich nicht. Warum er überhaupt an dem Begriff Sozialismus festhielt: Er wollte marktwirtschaftliche Reformen, um seinem völlig verarmtem Land nach den desaströsen Jahren der Kulturrevolution unter Mao zu Wohlstand zu verhelfen. Zugleich blieb die Kommunistische Partei seine Machtbasis. Sie abzuschaffen, hätte auch seinen Sturz bedeutet.
Was wirtschaftlich in den darauffolgenden Jahren folgte, war eine florierende, auf den Export ausgerichtete Privatwirtschaft. Mit den Exporteinnahmen konnte die Führung die maroden Staatsunternehmen sanieren und wettbewerbsfähig machen. Und noch einen Vorteil brachte der mächtige Staat als Wirtschaftsakteur: Wann immer es in der Privatwirtschaft kriselte, sprang er mit dem Bau von Autobahnen, Brücken, Flughäfen und Wohnhochhäusern ein – und sorgte für anhaltend hohe Wachstumsraten.
Die Bevölkerung in China schrumpft dramatisch
Doch dieses Modell stößt nun an seine Grenzen. Denn eine entwickelte Wirtschaft lässt sich mit Investitionen in immer mehr Beton kaum noch ankurbeln. Viel gravierenderer ist aber die Demografiekrise. In China wird jede Generation nur noch halb so groß sein wie die vorige. Das heißt nichts anderes, dass Chinas Wirtschaft stagniert, womöglich gar schrumpfen wird. Vor diesem Problem stehen auch andere entwickelte Volkswirtschaften, doch nicht in einem solchen Ausmaß wie China. Und anders als etwa Japan, Deutschland oder Südkorea altert China, bevor das Land einen flächendeckenden Wohlfahrtsstaat aufgebaut hat.
Die "Sozialistische Marktwirtschaft" hat ausgedient. Dass in Peking offiziell weiter an dieser Formel festgehalten wird, liegt daran, dass niemand eine neue Wirtschaftsordnung für das Land entwickelt hat. In den Planungskommissionen herrscht Ratlosigkeit.