Deutsche Chemie-Gründer erhalten zu wenig Kapital
Exklusiv Jungen Unternehmen mangelt es an Geld, um schnell zu wachsen. Dabei könnten die Firmen die Energiewende beschleunigen und Umweltschutz stärken.
Das junge Regensburger Unternehmen Esy Labs erforscht seit vier Jahren, wie die Elektrolyse besser gemacht werden kann. Das Verfahren ist derzeit in aller Munde, weil damit Wasserstoff erzeugt werden kann, der Erdgas ersetzen soll. Aber mittels Elektrolyse lassen sich auch andere Substanzen gewinnen, zum Beispiel Ausgangsstoffe für die Herstellung von Arzneimitteln. Esy Labs arbeitet daran, dass bei der Elektrolyse auf schädliche Hilfschemikalien verzichtet werden kann, erzählt Gründer Tobias Gärtner. Die Verfahren sollen dann andere Unternehmen gegen Lizenzgebühren nutzen. So will Gärtner Geld verdienen.
Deutschland war einmal die Apotheke der Welt und hat immer noch eine starke chemische und pharmazeutische Industrie. Doch bei der finanziellen Unterstützung des Gründernachwuchses in diesem wichtigen Wirtschaftszweig sieht es mau aus. Gärtner und seine Mitgründer haben in den vergangenen vier Jahren nach eigenen Angaben 800.000 Euro Anschubfinanzierung bekommen. Davon kamen 200.000 Euro von einem Kraftwerksbetreiber und 600.000 Euro vom staatlichen Hightech-Gründerfonds. Die Summe ist kein Vergleich zu den Millionenbeträgen, die Online-Banken, Bringdienste und Softwareschmieden erhalten. „Chemische Prozesse lassen sich halt im Pitch nicht so leicht darstellen wie andere Geschäftsmodelle“, sagt Gärtner. Pitches sind Runden mit Investoren, in denen Gründer ihre Idee vorstellen, um Risikokapital einzuwerben.
Schlechte Chancen für Chemie-Start-ups in Deutschland
Dass die Regensburger die Regel und nicht die Ausnahme sind, zeigt eine Studie des Mannheimer Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) im Auftrag des Chemieverbandes VCI. Sie liegt unserer Redaktion exklusiv vor. Demnach fehlen rund zwei Drittel der 350 deutschen Chemie-Start-ups Finanzierungsmittel. Besonders zurückhaltend sind die Wagniskapitalgeber. Gemessen an den gesamten Risiko-Investitionen in Start-ups in Deutschland gehen lediglich 0,2 Prozent an Neugründungen in der Chemiebranche. „Chemie-Start-ups haben lange Investitionsphasen von fünf bis zehn Jahren“, sagt ZEW-Forscher Christian Rammer. Erschwerend komme hinzu, dass der Geldbedarf je Start-up größer sei als in anderen Sektoren, weil die Firmen zum Beispiel teure Labortechnik brauchten. Für Investoren ist es wegen dieser Faktoren attraktiver, ihr Geld in Start-ups anderer Branchen zu stecken.
Der Chemieverband beklagt noch ein anderes Hemmnis, das die deutsche Wirtschaft an vielen Stellen bremst. „Vor allem lange dauernde Verfahren und der hohe Verwaltungsaufwand für Anträge und Dokumentationen belasten die Chemie-Start-ups“, sagt Gerd Romanowski, VCI-Geschäftsführer Wissenschaft, Technik und Umwelt. Jedes dritte junge Chemieunternehmen klagt laut Studie über die Bürokratie. Die Sicherheitsanforderungen an Produktionsanlagen und Labore sind hoch.
Habeck will Neugründungen stärken
Wirtschaftsminister Robert Habeck hat erst vergangene Woche beim zehnjährigen Jubiläum des Start-up-Bundesverbands über die Finanzierungsbedingungen für Gründer gesprochen. Er unterstützt mittlerweile die FDP-Idee, dass Pensionskassen einen Teil ihrer Beiträge in junge Firmen stecken dürfen. „Ich musste etwas überlegen, ob ich die Idee gut finde, mittlerweile tue ich es“, sagte der Minister von den Grünen. Nicht gut findet die Idee nach wie vor der Koalitionspartner SPD.
Corona, der Krieg in der Ukraine und die Zinswende sorgen dafür, dass die Risikokapitalgeber vorsichtig geworden sind. Der Goldrausch ist zu Ende. Im zweiten Quartal dieses Jahres flossen hierzulande nur noch 2,9 Milliarden Euro in Start-ups. Im Vorjahreszeitraum waren es 7,8 Milliarden Euro. Tobias Gärtner wünscht sich, dass die Bürokratie bei staatlichen Förderprogrammen zurechtgestutzt wird und dass die eigene Branche ihrem Nachwuchs eine Chance gibt. „Von der Großindustrie müsste mehr kommen“, meint Gärtner.
Auf einen Blick: die Chemie- und Pharmaindustrie in Deutschland
Noch ist Deutschland einer der wichtigsten Chemie- und Pharmastandorte der Welt und der mit Abstand größte in Europa. Die Beschäftigtenzahl ist nach Angaben des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI) in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen und liegt bei etwa 351.000 in der Chemieindustrie. In der deutschen Pharmaindustrie sind mehr als 121.000 Menschen beschäftigt. Die Umsätze stiegen ebenfalls. In 2021 lag der Umsatz im In- und Ausland bei mehr als 227 Milliarden Euro. Ein Plus von 19,2 Prozent. Die Branche gehört damit neben der Autoindustrie und dem Maschinenbau zu den Top 3 in Deutschland.
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