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Chefin der Familienunternehmen im Interview: Woran es bei Habeck hapert

Interview

Chefin der Familienunternehmen: Mit Habeck kommen wir nicht aus der Krise

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    Die Präsidentin des Verbandes "Die Familienunternehmer", Marie-Christine Ostermann, fordert Entlastungen für die Unternehmen auf breiter Front.
    Die Präsidentin des Verbandes "Die Familienunternehmer", Marie-Christine Ostermann, fordert Entlastungen für die Unternehmen auf breiter Front. Foto: Anne Gromann Fotografie

    Frau Ostermann, Ihre Urgroßmutter hat das Familienunternehmen Rullko im westfälischen Hamm mitbegründet und den Lebensmittelgroßhändler zusammen mit ihrem Mann geführt. Ist Ihre Urgroßmutter für Sie ein Vorbild?

    Marie-Christine Ostermann: Meine Urgroßmutter hat mich sehr motiviert, in das Familienunternehmen 2006 einzusteigen und es schließlich ab 2017 alleine zu führen. Unsere Firma beliefert Großküchen, etwa in Pflegeheimen, Krankenhäusern oder in der Gastronomie. Von klein auf war es für mich selbstverständlich, dass Frauen Firmen führen. Ich war zwar erst vier Jahre alt, als meine Urgroßmutter starb, sie hatte aber damals schon einen prägenden Einfluss auf mich. 

    Wie kam das? 

    Ostermann: Meine Urgroßmutter war auch im hohen Alter eine sehr charismatische Persönlichkeit. Sie hat das Unternehmen nach dem Krieg wieder aufgebaut, hohe Investitionen getätigt und nach dem Tod des Urgroßvaters alleine geführt. In unserer Firma hängen viele Fotos von ihr. Für mich ist es so selbstverständlich, dass Frauen Chefinnen sind. 

    Wollten Sie immer Chefin werden? 

    Ostermann: Schon mit 16 Jahren habe ich meinem Vater gesagt, dass ich das Unternehmen einmal als seine Nachfolgerin führen will. Keiner in der Familie hat mich unter Druck gesetzt. Ganz im Gegenteil: Die Nachfolge-Diskussion wurde von mir ferngehalten. Meine Eltern sagten immer: Siehe zu, dass du gute Noten schreibst, und ergreife einen Beruf, der dich glücklich macht. Fasziniert von der Familiengeschichte ging ich alleine auf meine Eltern zu, die sich über meine Entscheidung gefreut haben. 

    Doch immer mehr Familienunternehmerinnen und -unternehmer stöhnen unter der Last der Bürokratie, leiden an den Folgen des Facharbeitermangels und an den hohen Energiepreisen. Manche verstehen es sogar, wenn ihre Kinder den Betrieb nicht übernehmen wollen.  

    Ostermann: Damit junge Menschen Lust haben, das Familienunternehmen zu übernehmen, muss die Politik die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft deutlich verbessern. Denn Deutschland leidet unter immensen bürokratischen Auflagen. Die Steuern und auch die Sozialabgaben sind zu hoch, überall fehlen Fachkräfte, und die Infrastruktur ist zum Teil marode. Dieses Land braucht dringend Reformen. 

    Und das schon sehr lange. Der Reformstau hält sicher junge Menschen davon ab, Unternehmer zu werden.  

    Ostermann: Und das freie Unternehmertum genießt auch zu wenig Ansehen in unserem Land, was für potenzielle Unternehmensnachfolger belastend wirkt. Schon in der Schule erfahren junge Menschen viel zu wenig über das Unternehmertum. Dann sehen sie in Krimis, dass Unternehmer oft die Bösen oder gar Mörder sind. Klischee reiht sich an Klischee, und so werden Firmeninhaber vor allem als Männer gezeichnet, die Zigarre rauchen und Porsche fahren. Kein Wunder, dass Deutschland ein Angestelltenland ist und es nur rund 3,5 Millionen Selbstständige gibt. 

    Familienunternehmen gelten als Rückgrat der deutschen Wirtschaft. 

    Ostermann: Genau. 60 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten arbeiten in Familienunternehmen. Und zudem bilden die Familienunternehmen 80 Prozent aller Azubis aus. Diese Rolle der Betriebe muss in der öffentlichen Wahrnehmung, also auch in Schulbüchern, sichtbarer werden. Und wir Unternehmer und Unternehmerinnen dürfen auch nicht politisch abstinent sein. Wir müssen uns wieder stärker in die Politik einmischen. 

    Doch Unternehmer sind schnell frustriert, weil in der Politik die Mühlen viel langsamer als in ihren Betrieben mahlen.  

    Ostermann: Wir sollten uns dadurch nicht entmutigen lassen und uns auch über kleine politische Fortschritte freuen, statt zu glauben, wir könnten gleich die ganze Welt umkrempeln. Ich habe mich vor diesem Ehrenamt auch schon politisch engagiert und war von 2014 bis 2015 Landesschatzmeisterin der FDP in Nordrhein-Westfalen. Meine Parteimitgliedschaft ruht, seit ich Verbandspräsidentin bin. 

    Dafür fällt Ihre Kritik an der Politik der Ampelregierung umso lebendiger aus. Sie sehen weit und breit keinen Lichtstreif am Horizont. Die Lage der Familienunternehmen sei derzeit so schlecht wie während der Corona-Lockdowns. Ist die Lage wirklich so ernst?

    Ostermann: Die Lage ist wirklich sehr ernst, das zeigen unsere regelmäßigen Umfragen unter Familienunternehmern. Demnach geht mehr als ein Drittel davon aus, dass sich die wirtschaftliche Lage für sie verschlechtert. Nur noch 25 Prozent der international tätigen Familienunternehmen ist bereit, in Deutschland zu investieren, weil die Standortbedingungen zu schlecht sind. Die Deindustrialisierung hat bereits begonnen. Viele Unternehmer fühlen sich von der Politik nicht mehr verstanden. Und was besonders alarmierend ist: Ein Viertel der Unternehmen will Arbeitsplätze abbauen. 

    Warum hat sich die Stimmung vieler Unternehmer derart verdüstert? 

    Ostermann: Weil es seit rund 20 Jahren, eben seit der Agenda von Gerhard Schröder, in Deutschland keine größeren Reformen für mehr Wettbewerbsfähigkeit gegeben hat. Stattdessen aber wurden in der Zeit reichlich Gesetze beschlossen, die enorme bürokratische Auflagen brachten und den Standort Deutschland zu teuer gemacht haben. Unternehmern wird zudem immer mehr Misstrauen entgegengebracht. Keine einzige Reform hat uns dagegen Mut gemacht und so für einen Wachstumsschub gesorgt. 

    Warum haben die Unternehmer nicht rebelliert? 

    Ostermann: Weil es durch die Nullzinspolitik der Europäischen Zentralbank, günstige Energie und einen schwachen Euro für längere Zeit insgesamt trotzdem gut lief, vor allem für unsere Exportindustrie. Das war ein goldenes Jahrzehnt für die deutsche Wirtschaft insgesamt. Doch das Land wurde nicht für die Zukunft vorbereitet, was sich rächte, als zunächst die Pandemie und dann der russische Angriffskrieg auf die Ukraine der deutschen Wirtschaft massiv zusetzen

    Welche Folgen hat der deutsche Reformstau? 

    Ostermann: Weil die Wirtschaft kaum wächst, fehlt uns Geld, um den Zustand der Bundeswehr deutlich zu verbessern, die Ukraine weiter massiv zu unterstützen, die Wohnungsnot in Deutschland zu lindern, die Flüchtlinge entsprechend zu integrieren und unser Land klimagerecht umzubauen. Um all das zu finanzieren, bräuchte die Wirtschaft einen Entlastungsschub, damit wir das Wachstum wieder ankurbeln können und die Staatseinnahmen steigen. 

    Was steht auf Ihrem Wunschzettel an die Politik? 

    Ostermann: Die Unternehmenssteuern müssen in Deutschland von knapp 30 auf unter 25 Prozent sinken und damit auf ein international wettbewerbsfähiges Niveau angepasst werden. Auch die Sozialabgaben sind mit fast 42 Prozent viel zu hoch. Wenn wir das laufen lassen, kommen wir irgendwann bei 50 Prozent raus. Dann investiert kein Unternehmer mehr in Arbeitskräfte. 

    Doch die Ampel-Koalition kurbelt doch jetzt die Wirtschaft an.

    Ostermann: Das von der Bundesregierung angepeilte Wachstumschancengesetz ist aber zu einem Mini-Wachstumschancengesetz verkommen. Besser spät als nie passierte es endlich den Bundesrat. Das Gesetz kann nur der Beginn zu einer anderen Wirtschaftspolitik sein, denn das Gesetz allein wird noch keinen Wachstumsimpuls auslösen. Wirtschaftsminister Robert Habeck und Finanzminister Christian Lindner müssen nun unverzüglich an die Arbeit gehen und ihr „Wirtschaftswende“-Paket in Gesetzesform gießen. 

    Das Reförmchen genügt Ihnen also nicht. Warum fehlt der Ampel der Mut für echte Reformen?

    Ostermann: Dass die Ampelregierung nicht in der Lage ist, Signale für einen Aufschwung zu setzen, liegt daran, dass die SPD und vor allem die Grünen einer komplett anderen Weltanschauung als die meisten Verantwortlichen in der Wirtschaft anhängen. Auch unser Bundeswirtschaftsminister ist davon überzeugt, dass man Probleme mit einer sehr engmaschigen staatlichen Regulierung löst. Und er verteilt gerne Subventionen für die Agenda der Grünen. 

    An Herrn Habeck reiben Sie sich immer wieder.

    Ostermann: Die Wirtschaft tickt anders als Herr Habeck. Die Wirtschaft braucht Freiraum, um innovativ zu sein. Die Wirtschaft braucht verlässliche Rahmenbedingungen. Subventionen und Regulierungen, wie sie Herr Habeck liebt, sind nicht verlässlich, sondern willkürlich. Das zeigt sich am Heizungsgesetz: Herr Habeck wollte jedem Bürger vorschreiben, wie man zu heizen hat und wer das einhalten wollte, sollte mit Subventionen belohnt werden. Für diese Politik hatte er sich einen riesigen Schattenhaushalt für Subventionen geschaffen. Das hat das Bundesverfassungsgericht gestoppt. Herr Habeck musste wieder viele Subventionen streichen. So funktioniert eine verlässliche Politik nicht. Besser wäre es, mit dem Steuergeld sorgsamer umzugehen und etwa das Bürgergeld nur an Menschen zu zahlen, die wirklich bedürftig sind. Dann müssten andere Bezieher wieder arbeiten. 

    Ist Habeck der falsche Mann als Wirtschaftsminister? Brauchen wir einen neuen Ludwig Erhard oder Gerhard Schröder, also Typen, die Deutschland voranbringen?

    Ostermann: Mit Habeck als Wirtschaftsminister kommen wir nicht aus der Krise. Wo ist Habeck? Wo hat er etwa seine Stimme gegen die Pläne für eine europäische Lieferkettenrichtlinie, ein bürokratisches Monster, erhoben? Natürlich wollen auch wir Unternehmer Menschenrechts- und Umweltstandards einhalten. Doch muss das mit so viel komplizierter Bürokratie verbunden sein? Robert Habeck mischt sich in diese Debatten als Stimme für die Wirtschaft gar nicht ein. Null Komma null! Und er begehrt nicht einmal auf, wenn Bundesarbeitsminister Hubertus Heil die Kosten für Unternehmen und Beschäftigte immer weiter erhöht, statt die Sozialsysteme zu entlasten. 

    Das ist eine Generalabrechnung mit Habeck. 

    Ostermann: Wir nehmen Herrn Habeck an keiner einzigen für die Wirtschaft wichtigen Stelle wahr. Es ist ja schön, wenn er bei einer Rede an der Columbia University in New York seine Politikergeneration ermutigt, „die Scheiß-Probleme, die wir jetzt haben“ zu lösen, also er sagte das auf Englisch: „Solve the fucking problems.“ Notwendig aber wäre es, Herr Habeck würde die Probleme in unserem Land anpacken, damit hier unsere Wirtschaft wieder wächst. 

    Was muss Habeck jetzt anpacken?

    Ostermann: Ich hoffe, dass Robert Habeck sich einsetzt, wenn demnächst die europäische Lieferkettenrichtlinie auf das deutsche Lieferkettengesetz trifft. In beiden schlecht gemachten Regulierungen sollten Zertifizierungen bezüglich Menschenrechts- und Umweltstandards eines Zulieferers reichen, damit ein deutsches Unternehmen nicht in existenzbedrohende Haftungsklagen hineingezogen werden kann. Mit so einer Lösung müssten Unternehmen hierzulande nicht aufwendig für jedes einzelne Produkt teure Nachweise beibringen. 

    Sie geben Habeck doch noch eine Chance? 

    Ostermann: Ich gebe Herrn Habeck noch eine Chance. Vorgezogene Neuwahlen sind nach unserem Grundgesetz unrealistisch und untätig abzuwarten, können wir uns nicht leisten. Jeder Tag zählt. Denn an jedem Tag werden Investitionsentscheidungen zuungunsten Deutschlands gefällt. Die aktuelle Bundesregierung muss dagegen endlich Maßnahmen ergreifen, sie muss den Stillstand schnellstens beenden, indem sie etwa den Solidaritätszuschlag abschafft. Das geht ohne Bundesländer und wäre schon vor der Sommerpause möglich. Solche Schritte würden der Wirtschaft Hoffnung geben und dazu beitragen, dass rechts- und linksextremistische Kräfte nicht noch mehr Zulauf bekommen. 

    Sie haben schon öfter mit Habeck gesprochen. Er gilt als guter Zuhörer. Wie reagiert er auf ihre Vorstöße? 

    Ostermann: Ich hatte angenehme Gespräche mit ihm. Er ist ein sympathischer und höflicher Mensch. Robert Habeck ist ein überzeugter Klimaminister. Doch es hapert bei ihm am Verständnis für wirtschaftliche und volkswirtschaftliche Zusammenhänge. Deshalb ist es so wichtig, dass wir als Vertreter der Wirtschaft mit ihm im Gespräch bleiben. 

    Wäre es nicht pragmatischer und nervenschonender zu warten, bis Friedrich Merz als Mann der Wirtschaft Kanzler ist. 

    Ostermann: Wir Familienunternehmer können nicht bis zu Bundestagswahl abwarten. Im Sinne des Standortes Deutschland, an dem wir verwurzelt sind, kritisieren wir weiter konstruktiv die Regierung. Wir müssen laut sein. Und das ist kein Jammern, sondern notwendige Kritik. Die Wirtschaft liefert weiter. Jetzt muss auch der Staat liefern. Und Ampelregierungen können auch funktionieren. 

    Wirklich? Wo denn? 

    Ostermann (lacht): Bei uns im westfälischen Hamm gibt es auf kommunaler Ebene eine Ampelregierung. SPD, Grüne und FDP arbeiten dort gut zusammen und haben sich vorgenommen, die familienfreundlichste Stadt Deutschlands zu werden. So schneidet Hamm schon bei der Versorgung mit Kitaplätzen bundesweit sehr gut ab. In Hamm funktioniert die Ampel. Vielleicht sollten sich die Berliner Ampelfrauen und -männer das mal anschauen. 

    Zur Person: Marie-Christine Ostermann, 46, ist seit 2023 Präsidentin des Verbandes "Die Familienunternehmer". Zugleich arbeitet sie als geschäftsführende Gesellschafterin des Lebensmittelgroßhandelsunternehmens Rullko im westfälischen Hamm. Das Familienunternehmen leitet Ostermann in vierter Generation. Die Firma beschäftigt rund 200 Mitarbeiter. 

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