Es ist eine ungewöhnliche Konstellation, die Seit an Seit vor Bayerns größtem Stahlwerk zur Protestkundgebung auftritt. Die IG Metall hat CSU-Ministerpräsident Markus Söder als Redner zum bundesweiten Aktionstag an diesem Donnerstag gegen die hohen Industrie-Strompreise zum Lech-Stahlwerk nach Meitingen im Landkreis Augsburg eingeladen. „Zu hohe Strompreise gefährden in Deutschland nicht nur Industriestandorte und Arbeitsplätze, bezahlbarer Strom ist auch ein unverzichtbarer Baustein für die Transformation zu einer klimaneutralen Produktion“, sagt Bayerns IG-Metall-Chef Chef Johann Horn.
Das Stahlwerk am Lech, das sich als größtes Recyclingunternehmen im Freistaat bezeichnet und hochwertigen Stahl aus Schrott mittels elektrischen Schmelzverfahren herstellt, läuft seit dem Krieg in der Ukraine nur noch in einer Art Sparbetrieb. Produziert wird oft nur dann, wenn günstiger Strom aus erneuerbaren Quellen auf dem Markt ist. Doch die zwei elektrischen Lichtbogenöfen blieben so oft außer Betrieb, dass inzwischen viele der rund 1000 Beschäftigten sich Sorgen um ihre Zukunft machen.
Gewerkschaften fordern staatliches Eingreifen beim Industriestrompreis
Der IG-Metall-Bundesvorsitzende Jörg Hofmann fordert die Politik zum Handeln auf. „Die Bundesregierung muss beim Industriestrompreis lenkend eingreifen, sonst droht die Stahlerzeugung, die Aluminiumindustrie und weitere energieintensive Branchen über kurz oder lang aus Deutschland zu verschwinden. Davon wären hunderttausende Arbeitsplätze direkt und indirekt betroffen.“
Eigentlich wollte die Bundesregierung der Industrie mit Preisdeckeln für Strom und Gas über die Energiekrise helfen. Industriekunden sollten von ihren Lieferanten 70 Prozent ihres Stromverbrauchs zum Garantienettopreis von 13 Cent pro Kilowattstunde erhalten, beim Gas gilt ein Preisdeckel von sieben Cent. Doch was sich so einfach anhört, ist allein bei der Strompreisbremse in über 60 Seiten Gesetz plus zusätzlichen EU-Beihilfebestimmungen mit zahlreichen Auflagen geregelt.
Die Firma Wiegand-Glas aus dem bayerischen Steinbach am Wald ist mit einer Firmentradition von länger als 450 Jahren heute einer der größten Flaschenhersteller Deutschlands, egal ob für Wein, Bier, andere Getränke oder Konservengläser. Firmenchef Nikolaus Wiegand hat sich lange durch die Vorschriften der Energiehilfen durchkämpfen müssen. "Die Gas- und Strompreisbremsenbürokratie ist totaler Wahnsinn", sagt er. "Gesetze, die Unternehmen und auch Menschen in der Energiepreisnotlage helfen sollten, aber mehrere ein hundert Seiten umfassen, die dann wiederum das Wirtschaftsministerium veranlassen, „Überblickspapiere“ zu verfassen, halte ich für nicht zielführend."
Wiegand-Glas habe aus dem Energiekostendämpfungsprogramm eine Unterstützung erhalten und werde auch eine Unterstützung aus dem „Gaspreisbremsengesetz“ erhalten, sagt der Firmenchef. "Dafür sind wir sehr dankbar", betont er. "In Relation zu den Mehrkosten für Energie in 2021 und 2022 ist dies jedoch nur ein Tropfen auf dem heißen Stein". Verantwortlich dafür hält es das enge Korsett, der EU-Beihilferegeln. "Ob dies in allen Ländern der EU gleich interpretiert wird, stelle ich in Abrede", sagt Wiegand.
Besonders ärgert er sich, dass es keine Regelung gibt, für Unternehmen die während der Krise von Gas auf andere Brennstoffe umgestellt haben, um den gesamten Gasverbrauch zu senken. "Das halte ich persönlich für schieren Hohn. Aber das erlebt man ja immer wieder."
BDI-Chef Siegfried Russwurm warnt vor Produktionsverlagerungen
„Gerade große, energieintensive Unternehmen können die Preisbremsen aufgrund der sehr strikten Beihilfekriterien nicht in Anspruch nehmen“, sagt der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Siegfried Russwurm, unserer Redaktion. „Zentrale Teile der deutschen Industrie, insbesondere der Grundstoffindustrie, sind wegen nationaler und europäischer Einschränkungen von der politisch gewollten Dämpfung der hohen Energiepreise de facto ausgeschlossen“, kritisiert der BDI-Chef. „Das hat weitreichende negative Folgen für die Wettbewerbsfähigkeit“, warnt er. „Es drohen eine Produktionsverlagerung an ausländische Standorte und negative Auswirkungen für den Industriestandort Deutschland.“
Russwurm war selbst Co-Vorsitzender einer von der Bundesregierung eingesetzten Expertenkommission zur Gas- und Strompreisbremse. Doch er kritisiert, dass die Koalitionsparteien aus dem Vorschlag der Kommission ein zu bürokratisches und kompliziertes Gesetz mit zu vielen Vorgaben gemacht haben. „Die regulatorischen Hürden führen den politischen Zweck der Preisbremsen ad absurdum“, sagt der BDI-Chef. „So haben sich die Regierung und der Bundestag leider dazu entschieden, von den Empfehlungen der Regierungskommission abzuweichen“, kritisiert er.
Hohe rechtliche Hürden machen Energiepreisbremsen unattraktiv
Unternehmen müssen dem Gesetz zufolge nachweisen, dass ihr Betriebsgewinn bis Jahresende um 30 bis 40 Prozent sinken werde. Auch Aktienunternehmen tun sich schwer, da sie laut dem Gesetz bei über 50 Millionen Euro erhaltenen Hilfen keine Dividenden auszahlen dürften. Hier müsse der Gesetzgeber dringend nachbessern, um die Wettbewerbsfähigkeit am Kapitalmarkt zu sichern, fordert Russwurm. Auch die trotz Krise unverändert strengen EU-Beihilfe-Regeln verhinderten, dass viele Industrieunternehmen die Hilfe in Anspruch nähmen. „Die Bundesregierung sollte sich deshalb noch einmal für eine Überarbeitung des EU-Krisenbeihilferahmens in Brüssel einsetzen“, sagt Russwurm.
Die Börsenpreise am freien Markt sind bei Strom und Gas inzwischen deutlich gefallen. Die Frage ist, ob sich die Preisbremsen für die Industrie noch lohnen? „Viele Unternehmen zahlen trotz sinkender Preise an den Spotmärkten für Gas und Strom mehr“, sagt der BDI-Chef. Viele hätten vertragliche Abnahmeverpflichtungen zu fixierten Preisen. „Die Preisbelastung ist für die Industrie weiterhin hoch“, betont er.
Wie viele Unternehmen die Preisdeckel überhaupt beantragt haben, kann die Bundesregierung derzeit nicht sagen. „Ein Zwischenstand der Antragszahlen bei der Gas- und Wärmepreisbremse ist aktuell noch zu früh und wäre derzeit nicht aussagekräftig“, erklärt eine Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums.