Beim klimafreundlichen Umbau der Wirtschaft hofft Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck auf Norwegen. Dafür traf der Grünen-Politiker im tief verschneiten Oslo Ministerpräsident Jonas Gahr Støre und verschiedene Ministerkollegen, hielt eine Rede auf einer Wirtschaftskonferenz, traf Unternehmer und unterzeichnete eine Erklärung.
Wasserstoff rein, Kohlendioxid raus - so soll die künftige Zusammenarbeit laufen. Bis 2030 soll die Infrastruktur für einen großangelegten Import von Wasserstoff nach Deutschland entstehen, wohl durch eine große Pipeline. Wasserstoff soll als klimafreundlicher Energieträger eine große Rolle spielen. In Stahlwerken könnte er die Kohle und in Gaskraftwerken das Erdgas ersetzen.
Umgekehrt soll klimaschädliches Kohlendioxid (CO2) aus der Industrie den Weg nach Norwegen finden und dort unterirdisch gespeichert werden. Beides soll nun in einer Machbarkeitsstudie untersucht werden. Ergebnisse werden im Frühjahr erwartet.
Schon heute ist Norwegen Deutschlands wichtigster Energielieferant, allerdings noch für Gas. "Norwegen ist ein wichtiger, gleichgesinnter und sehr verlässlicher Partner für Deutschland", lobt Habeck. Wladimir Putin, Präsident von Deutschlands bis vor kurzem wichtigsten Energielieferanten Russland, wirft er hingegen Krieg gegen das eigene Volk vor und erinnert an "Tod, Folter und Vergewaltigung" in der Ukraine.
Erst blauer Wasserstoff, dannn grüner
Damit es etwas mit dem Wasserstoff aus dem Norden wird, ist bei allem politischen Rückenwind erst einmal die Industrie gefragt. RWE-Chef Markus Krebber und Anders Opedal vom norwegischen Energieversorger Equinor schlossen im Beisein Habecks und Støres eine strategische Energiepartnerschaft - in der Annahme, dass die Wasserstoff-Pipeline ebenso entsteht wie das Netz zum Weitertransport in Deutschland, an dem es noch mangelt.
Wenn das klappt, soll zuerst sogenannter blauer Wasserstoff nach Deutschland strömen, bei dessen Gewinnung noch Erdgas zum Einsatz kommt. Bis 2030 sollen Kapazitäten für zunächst 2 Gigawatt (GW) an Importen geschaffen werden, bis 2038 für bis zu 10 GW. Auf die Dauer soll Deutschland grünen Wasserstoff aus Norwegen bekommen, der mit Hilfe erneuerbarer Energien gewonnen wird. Die dafür nötigen großen Windparks auf dem Meer gibt es noch nicht, und die Zeit dränge, sagte Habeck. "Zu warten, bis alles da ist, dauert zu lange. Wir haben keine Zeit zu verlieren." Deshalb erstmal blauer Wasserstoff.
Habeck sieht Potenzial in unterirdischer CO2-Speicherung
Eine in Deutschland von Umweltschützern deutlich skeptischer beäugte Technologie will Habeck ebenfalls vorantreiben: die unterirdische Speicherung des industriellen Abfallprodukts CO2, wegen des englischen Namens "Carbon Capture and Storage" abgekürzt CCS. Kritiker fürchten ein Entweichen des Gases aus den Speichern und auch, dass die Technologie den Anreiz vermindert, Treibhausgase von vornherein zu vermeiden.
Auf beides gebe es eine Antwort, sagte Habeck. "Nach allen wissenschaftlichen Analysen ist die Technik sicher." In Norwegen gebe es damit jahrzehntelange Erfahrungen. "Und das, was befürchtet wurde, dass das CO2 wieder entweicht, möglicherweise Schaden an anderer Stelle anrichtet, ist nicht eingetreten." Sein Fazit: "Lieber CO2 in die Erde als in die Atmosphäre."
"Wir wissen in Norwegen, wie man das macht", versichert Støre. Es gebe Industrien, bei denen sich der Energieverbrauch trotz neuer Technologien nur schwer senken lasse - in Müllverbrennungsanlagen oder Zementwerken etwa. Die moderne Wirtschaft werde also einen Weg finden müssen, das CO2 herauszulösen und sicher zu lagern. Seit den 90ern in der Nordsee und seit 2008 in der Barentssee habe Norwegen CO2 abgeschieden und es zweieinhalbtausend Meter unter den Meeresboden gedrückt. "Und wir können dokumentieren, dass es sicher gelagert wird." In Deutschland gibt der rechtliche Rahmen das derzeit nach einem Bericht der Bundesregierung nicht her. Allerdings soll das entsprechende Gesetz überarbeitet werden.
Habeck: Uns zerrinnt die Zeit unter den Händen
Habeck und Støre berufen sich auf den Klimaschutz. Zu den Bedenken sagte Habeck, die Situation habe sich verändert, seit die Debatte über CCS in Deutschland vor 15 Jahren begann. Damals habe die Technologie dazu dienen sollen, weiter Kohlekraftwerke betreiben zu können. "Im Grunde war es die Verlängerung der Kohlekraft. Und zu Recht haben Leute damals gesagt: Oh, Leute, nicht mit uns." Heute sei das anders. Die Technik habe sich entwickelt, und es gehe um möglichst schnelle Klimaschutz-Fortschritte. "Jeder weiß, dass uns die Zeit unter den Händen zerrinnt, dass wir zu langsam waren, zu schlecht waren in der Vergangenheit."
In Norwegen soll CO2 ab 2024 in großen Mengen unter dem Meeresboden verschwinden. Unter anderem im Zementwerk Brevik rund 150 Kilometer südlich von Oslo soll CO2 abgespalten, verflüssigt und vor der Küste in 2600 Metern Tiefe gespeichert werden. Habeck will das Werk am Freitag besuchen. Die Entscheidung, das Auffangen und Lagern von CO2 in dem milliardenschweren Projekt Longship staatlich zu fördern, war in Norwegen im Dezember 2020 gefallen. An dem Projekt sind neben dem norwegischen Staat große Ölkonzerne wie Shell und Total beteiligt.
(Von Martina Herzog, dpa)