Der Brexit bleibt ein Problem. Hilfe für die bayerische Wirtschaft soll nun ein weiß-blauer Außenposten des Freistaates in der Londoner Innenstadt schaffen. Das „Verbindungsbüro“ hat seit Anfang Februar geöffnet und es liegt nicht so weit entfernt von „Speakers Corner“, Nordost-Ecke Hyde Park.
An „Speakers Corner“ darf sich bekanntlich jeder auf eine Kiste stellen und einen Vortrag zu jedem ihm angemessen anmutenden Thema halten. Nur über die Queen und Mitglieder der königlichen Familie ist zu schweigen. Erlaubt ist aber zum Beispiel über David Cameron zu schimpfen. Ex-Premierminister und Initiator des Brexit-Referendums. Der könnte sich hier – zum Beispiel – von einem schwäbischen Unternehmer, endgenervt von der zunehmenden Zoll-Bürokratie im bayerisch-britischen Handel, ein paar geschliffene Sätze zu den Verheerungen anhören, die der Austritt des Vereinigten Königreiches aus der Europäischen Union hinterlässt.
Seit dem Brexit-Referendum hat sich der Außenhandel abgeschwächt
Die Zahlen dazu: Seit Juni 2016, seit dem Referendum, hat sich der Außenhandel abgeschwächt. Und zwar deutlich. Großbritannien war mal der zweitwichtigste Handelspartner der bayerischen Wirtschaft. Nun liegt das Exportvolumen bei 10,3 Milliarden Euro. Bedeutet nur noch Rang sechs.
Rund 500 Unternehmen aus Bayerisch-Schwaben unterhalten derzeit aktive Wirtschaftsbeziehungen mit Großbritannien und Nordirland. Darunter sind laut IHK vor allem Kfz-Zulieferer, Maschinenbauer, Lebensmittelhändler und Spediteure. Einige exportieren über den Ärmelkanal, andere beziehen Waren von dort, wieder andere haben Niederlassungen auf den Inseln.
Sortimo aus Zusmarshausen ist auch im UK vertreten
Ein Beispiel ist Reinhold Braun, Geschäftsführer von Sortimo aus Zusmarshausen. Sortimo ist Spezialist für Fahrzeugeinrichtungen, Beklebungen und Arbeitsplatzorganisation. Produziert wird zwar ausschließlich im heimischen Werk im Landkreis Augsburg, aber das Unternehmen ist auch international unterwegs. Eines der Tochterunternehmen steht in Warrington, in der Nähe von Manchester.
Der zusätzlich notwendige Papierkram und der damit verbundene Aufwand verteuere am Ende die Sortimo-Produkte auf der Insel um etwa vier Prozent, sagt Braun. Diese vier Prozent, betont der Geschäftsführer, „müssen wir durch Effizienzsteigerung kompensieren“. Dass Fachkräftemangel in UK noch heftiger sei als hier, mache die Sache nicht leichter. Immerhin: „Die gute Nachricht ist, es gibt keine große Unsicherheiten mehr, das war das Problem beim Brexit.“ Mittlerweile seien die Auswirkungen klar und die Unternehmer managen das Geschäft unter den neuen Rahmenbedingungen.
Bayern unterhält weltweit 30 Außenposten
Nur besser geworden sind diese durch den Brexit eben nicht. Es gibt also einiges zu tun, und eine zentrale Rolle soll dabei die bajuwarische Dependance in 7Stratford Place spielen. Das auf Dauer angelegte Büro wird von Anna Schennach, einer Juristin, geleitet, die bisher im bayerischen Wirtschaftsministerium mit Europa-Angelegenheiten befasst war. Die Kernaufgabe: die Vertiefung der Wirtschaftsbeziehungen. Außerdem soll das Büro den Angaben eines Sprechers der Staatskanzlei zufolge „den Austausch bei Wissenschaft und Forschung, Innovation, Bildung und Kultur vorantreiben“. Bayern unterhält übrigens weltweit rund 30 solcher Außenposten, unter anderem in den USA, in China, in Israel und in Afrika.
Der Brexit
Das Referendum
Am 23. Juni 2016 stimmten 52 Prozent der teilnehmenden Briten dafür, die Europäische Union (EU) zu verlassen.
Am 31. Januar 2020 ist der Brexit offiziell in Kraft getreten. Aber...
Die Übergangszeit
...es gab noch eine Übergangszeit. Für den Rest des Jahres 2020 hatten Briten in Deutschland etwa noch einen Aufenthaltsstatus wie EU-Bürger. Sie konnten die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen und gleichzeitig die britische behalten.
Der endgültige Austritt
Seit 31. Dezember 2020 sind die Briten endgültig draußen. Seit diesem Jahr können sich Briten nur in Deutschland einbürgern lassen, wenn sie ihre britische Staatsbürgerschaft aufgeben.
Der Handelspakt
Am 28. April 2021 stimmt das EU-Parlament nach monatelanger Verhandlung mit 660 der 697 abgegebenen Stimmen für ein Handels- und Kooperationsabkommen mit Großbritannien.
Auf beiden Seiten soll es einen Verzicht auf Zölle und mengenmäßige Beschränkungen geben. (mjk)
Was erwartet sich die bayerische Wirtschaft konkret vom Londoner Büro? Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw) sagt: „Wir erwarten, dass das Verbindungsbüro den über Jahrzehnte gewachsenen guten Kontakt zwischen dem Freistaat, der bayerischen Wirtschaft und dem Vereinigten Königreich auch nach dem Brexit bewahrt und ausbaut.“ Denn die Ausfuhren seien in den ersten elf Monaten 2021 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 7,6 Prozent zurückgegangen. Gleichzeitig, erklärt Brossardt, sanken die bayerischen Einfuhren aus dem Vereinigten Königreich um 22,7 Prozent. Von einem störungsfreien Handel könne bisher nicht die Rede sein.
Für vbw-Geschäftsführer Brossardt ist das Büro in London ein "wichtiger Schritt"
Besonders kleine und mittelständische Unternehmen bräuchten Unterstützung bei den neuen britischen Produktvorschriften und technischen Standards. Brossardt sagt: „Wir müssen daher alles tun, um den bürokratischen Aufwand zu minimieren und den Handelsbeziehungen wieder zu neuem Schwung verhelfen. Das Verbindungsbüro ist dafür ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.“
Wenn die Lage nicht besser wird, kann man sich immer noch an Speakers Corner versuchen.