Mit über 16.300 Punkten hatte der Dax am Freitag ein Rekordhoch erreicht. "Auf den ersten Blick erscheint das natürlich verwunderlich", meint Robert Halver, Kapitalmarktexperte der Baader Bank. "Die Inflation ist störrisch wie ein Esel, der chinesische Drache spuckt weniger Feuer und die USA liebäugeln mit der Staatspleite." Trotzdem gibt es aus seiner Sicht solide Gründe, dass sich der Dax seit seinem tiefen Einbruch nach Ausbruch des Ukraine-Krieges 2022 so schnell erholt hat.
Grund 1: Erste Anzeichen auf eine Entspannung der Inflation bereiten Dax Rekordhoch
Im Oktober 2022 hatte die Inflation in Deutschland noch satte 10,4 Prozent erreicht. Inzwischen zeichnet sich Entspannung ab. "Viele Alltagsprodukte wie Nudeln oder Rapsöl sind nicht mehr so teuer", sagt Halver. Es sind erste Indizien, dass sich die Inflation weiter abschwächen könnte und die Notenbanken nicht mehr so stark wie bisher mit steigenden Zinsen reagieren müssten. "Es könnte zu einer baldigen Zinspause kommen", meint er. Das würde dem Wachstum helfen und Anlagen in Aktien attraktiver machen.
Grund 2: Die Konjunktur erholt sich
Die Konjunkturerwartungen in Deutschland sind zwar nicht berauschend. Dieses Jahr rechnet die Bundesregierung mit einem Plus von 0,4 Prozent. Wichtiger aber für die Börsen ist die Zukunft. Und da sieht es heller aus. "Ja, die Konjunktur läuft schlecht, aber sie wird immer besser", sagt Halver. Die Rohstoffverfügbarkeit steigt, die Lieferketten entspannen sich. "An den Krieg in der Ukraine hat sich der Markt gewöhnt", sagt Halver. "Damit lebt man", so bitter das klingt. Ein Dax über 16.000 Punkten sei eine "klare Wette darauf, dass eine Rezession ausfallen wird", sagte unlängst auch Analyst Daniel Saurenz von Feingold Research.
Grund 3 für das Rekordhoch beim Dax: Unternehmen stehen gut da
Wer in Aktien investiert, investiert in Unternehmen. Und Unternehmen wie Siemens oder BASF stünden "gut im Futter", meint Halver. Die Standortpolitik in Deutschland mag zwar ideologisch geprägt sein und den Standort belasten. "Hier ist mehr Kumbaya my Lord im Spiel als Marktwirtschaft à la Ludwig Erhard", sagt Halver. Allerdings verdienen deutsche Konzerne einen großen Teil ihrer Gewinne längst im Ausland. Aus ihrer Expertise und Hightech-Ideen ergeben sich neue Geschäftschancen für die Zukunft. Dies gilt auch für US-Konzerne. Auch Ulrich Stephan, Chefanlagestratege für Privat- und Firmenkunden der Deutschen Bank, antwortet im Gespräch mit unserer Redaktion auf die Frage, warum der Dax gerade Rekordhöhen erreicht: "Weil die Gewinnentwicklung der DAX-Konzerne in der gerade zu Ende gegangenen Berichtssaison sehr gut war." Perspektivisch fügt er an, dass die deutschen Konzerne sicherlich auch von einem wieder höheren Wachstum in der Volksrepublik China profitieren werden, wenn auch nicht mehr in dem Maße, wie noch vor einigen Jahren.
Grund 4: Zinspapiere nicht attraktiver
Die Zinsen für Festgeld oder die Renditen deutscher Staatsanleihen sind zwar gestiegen, wirklich attraktiv sei die Investition aber aus Sicht Halvers nicht immer. "Die Frage ist, was bleibt unter dem Strich übrig?", gibt er zu bedenken. Nach Abzug der Inflation bleibt häufig ein Kaufkraftverlust. In anderen Ländern gibt es vielleicht höhere Zinsen, häufig ist dort aber auch die Staatsverschuldung und damit das Risiko noch höher.
Grund 5: Hoffnung auf Ende des Schuldenstreits in den USA
Der Streit zwischen Republikanern und Demokraten in den USA um die Anhebung der staatlichen Schuldengrenze hat zuletzt die Börsen in Atem gehalten. Die Hoffnung auf eine Lösung hatte am Freitag den Dax beflügelt, die fortdauernde Hängepartie am Wochenende dämpfte die Börsen am Montag wieder. Halver wettet am Ende auf eine Lösung: "Die USA werden eine Staatspleite nicht riskieren, sonst hätten die Verrückten in der Anstalt die Herrschaft übernommen", sagt er.
Wie geht es weiter mit den Börsenkursen? Die Börse bietet weiter Chancen
Die Rekordwerte bildeten eine regelrechte Rallye an der Börse ab, die sich ein Stück weit auch selbst befeuert. "Viele hatten die Rallye verpasst und laufen nun dem Markt hinterher", sagt Halver. Fazit: Eine Korrektur an der Börse ist immer möglich. Solange China aber nicht Taiwan angreift, rechnet Halver dieses Jahr nicht mit einem massiven Börsen-Einbruch. Trotz eben erreichter Dax-Rekorde, trotz Risiken sei deshalb eine regelmäßige, kontinuierliche Anlage in solide Standardwerte nach wie vor eine sehr sinnvolle Strategie.
Deutsche-Bank-Chefanlage-Stratege Stephan sieht dagegen noch Risiken an mehreren Ecken. Die meisten Volkswirte erwarten eine sich abkühlende Konjunktur infolge der starken Zinserhöhungen. Darüber hinaus, erklärt er, gibt es in den USA neben den Diskussionen um die Schuldenobergrenze noch die Themen Gewerbeimmobilien und Regionalbanken, die bereits zu weiteren Verschärfungen der Finanzierungskonditionen geführt haben.
Auch Deutsche-Bank-Experte Stephan benennt die geopolitischen Themen: "Zuallererst der Ukraine-Krieg, aber auch die Spannungen zwischen den USA und China. Beides wurde auch beim G7-Gipfel in Hiroshima deutlich."