Rund 400.000 Neubau-Wohnungen pro Jahr hat sich die Bundesregierung als Ziel vorgenommen. Das Ziel ist im vergangenen Jahr krachend verfehlt worden. Es werden nach aktuellen Schätzungen nur 260.000 bis 280.000 sein, die gebaut worden sind. Noch dramatischer sieht die Lage bei bezahlbaren Wohnungen aus, darauf wies jetzt ein breites Bündnis aus Mieterbund, Baugewerkschaft, Bauwirtschaft und Sozialverbänden hin. Statt der geplanten 100.000 Sozialwohnungen sind wohl nur rund 20.000 entstanden. Das Bündnis warnt deshalb vor einer "neuen und in ihrer Dimension beängstigenden Sozialwohnungsnot", legte aber auch Vorschläge vor. Gefordert wird unter anderem von Bund und Ländern, gemeinsam ein Sondervermögen von 50 Milliarden Euro für den Sozialwohnungsbau vorzulegen.
Die Schuld an der schwierigen Lage trage nicht allein die Bundesregierung, sagte Lukas Siebenkotten, Präsident des Deutschen Mieterbundes bei der Vorstellung einer Studie zur Lage auf dem Wohnungsmarkt. "Für den Ukraine-Krieg kann die Bundesregierung nichts", meinte Siebenkotten. Der Krieg hat die Rahmenbedingungen für den Wohnungsbau verschlechtert, gleichzeitig haben viele Menschen aus dem Kriegsgebiet in Deutschland Schutz gesucht. Die Nachfrage nach Wohnraum ist so zusätzlich gestiegen.
Studie: Zuwanderung lag im Jahr 2022 bei 1,5 Millionen Menschen
Stellt man die Zu- und Abwanderung gegenüber, ergebe sich ein Plus von rund 1,5 Millionen Menschen, die zusätzlich in Deutschland leben. Das haben das Pestel-Institut aus Hannover und das Bauforschungsinstitut ARGE aus Kiel in ihrer Untersuchung "Soziales und bezahlbares Wohnen" berechnet. "Wir haben damit eine absolute Rekord-Zuwanderung – mehr als im bisherigen Rekord-Flüchtlingsjahr 2015", sagte Matthias Günther, Leiter des Pestel-Instituts. Denn wer nach Deutschland flüchte und bleibe, sei auf den sozialen Wohnungsmarkt angewiesen. "Eine kurzfristige Rückwanderung der Flüchtlinge in die Ukraine kann angesichts des laufenden Krieges und der extremen Zerstörungen der zivilen Infrastruktur ausgeschlossen werden", nimmt Günther an. Daneben findet eine fortlaufende Zuwanderung an Arbeitskräften – unter anderem aus Osteuropa – statt. "Wir müssen davon ausgehen, dass relativ viele Menschen in Deutschland leben und wohnen wollen", sagt er. "Die Lage spitzt sich dramatisch zu", erklärt Günther mit Blick auf den Wohnungsmarkt.
Das Institut geht davon aus, dass in Deutschland derzeit mehr als 700.000 Wohnungen fehlen, dies sei das größte Defizit seit über 20 Jahren. Vor allem bezahlbare Wohnungen werden knapp: Mehr als elf Millionen Haushalte hätten nach Angaben des Bündnisses "Soziales Wohnen" in Deutschland derzeit Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein und damit eine Sozialwohnung. Doch während es Ende der 80er Jahre allein in der alten Bundesrepublik noch rund vier Millionen Sozialwohnungen gegeben habe, seien es heute nur noch 1,1 Millionen. Nur für ein Zehntel der Betroffenen gebe es also eine Sozialwohnung. "Es ist ein hohes Maß an Lotterie, wer eine Wohnung bekommt", sagt Günther.
Baukosten sind seit dem Jahr 2000 um das 2,5-fache gestiegen
Dazu kommt, dass Bauen deutlich teurer wird. Bundesweit liegen die Baukosten für eine Wohnung derzeit im Schnitt bei 3980 Euro pro Quadratmeter, hat das Bauforschungsinstitut ARGE in Kiel berechnet. Rechnet man Grundstückskosten von im Schnitt 880 Euro hinzu, komme man auf fast 4900 Euro. "Die Baukosten werden bis zur Mitte dieses Jahres fast zweieinhalb Mal so hoch sein wie noch im Jahr 2000", sagte Professor Dietmar Walberg, Leiter des Bauforschungsinstituts ARGE. "Die Bedingungen für den Wohnungsbau waren seit dem Zweiten Weltkrieg noch nie so schlecht wie heute", fügte er an. Zahlreiche Projekte liegen auf Eis.
Höherer Bedarf, weniger Neubau – wie kommt man aus dem Dilemma heraus? Nach Ansicht des Bündnisses "Soziales Wohnen" muss die Förderpolitik gestärkt werden. "Mit den bestehenden Fördermitteln läuft es auf keinen Fall", sagte Studienautor Günther. Das Bündnis fordert deshalb – ähnlich wie bei der Bundeswehr – ein Sondervermögen von 50 Milliarden Euro, das Bund und die Länder bereitstellen müssten. Nur dann sei das Ziel von 100.000 Sozialwohnungen pro Jahr bis zum Ende der Legislaturperiode zu erreichen.
Die notwendige staatliche Subvention für den Neubau einer durchschnittlichen Sozialwohnung von 60 Quadratmetern liege bei 126.000 Euro, rechnet Studienautor Günther vor. Um das Ziel von 100.000 neuen Sozialwohnungen pro Jahr zu erreichen, müsse der Staat diese jährlich mit 12,6 Milliarden Euro fördern. Soll der ambitionierte Klimaschutz-Standard eines "Effizienzhauses 40" umgesetzt werden, seien 14,9 Milliarden Euro pro Jahr erforderlich.
Forderung: Zehn Prozent der Sozialwohnungen für Menschen mit Behinderung reservieren
Das Bündnis schlägt zudem eine Reduzierung der Mehrwertsteuer für den Bau von Sozialwohnungen vor. Würde man den Mehrwertsteuersatz von 19 auf 7 Prozent senken, könnte eine durchschnittliche, 60 Quadratmeter große Sozialwohnung über 20.000 Euro günstiger gebaut werden.
Fördergeld allein wird es aber auch nicht richten: Förderanträge müssten auch schneller bearbeitet werden. Ein Vorbild sei Schleswig-Holstein. Zudem sollte der Bauüberhang an genehmigten, aber noch nicht begonnenen oder fertiggestellten Bauprojekten für den Sozialwohnungsbau umgewidmet werden, schlägt das Bündnis vor. Das könne verhindern, dass die Bauindustrie in der Krise Kapazitäten abbaut und Arbeitskräfte die Branche verlassen.
Schließlich müsse an Menschen mit Behinderung gedacht werden, die sich bei der Wohnungssuche extrem schwer tun: "Benachteiligte Menschen müssen endlich wieder eine Chance bekommen, auf dem Wohnungsmarkt Fuß zu fassen", sagte Janina Bessenich, Geschäftsführerin der Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie "Jede zehnte barrierearme Sozialwohnung, die vergeben wird, soll deshalb gezielt Menschen mit Behinderung angeboten werden", fordert sie.
Haus & Grund: Mieten sind in vielen Kreisen sogar "bezahlbarer" geworden
Während Wohnraum knapp ist, sei er aber trotzdem bezahlbar, argumentiert der Eigentümerverband Haus & Grund. Der Verband legte am Donnerstag Zahlen vor, dass das Wohnen in zahlreichen Kreisen in Deutschland zwischen 2015 und 2021 sogar "bezahlbarer" geworden ist. Denn während im Schnitt die Löhne in dem Zeitraum um 14,2 Prozent zulegten, seien Bestandsmieten lediglich um 7,3 Prozent, Neuvertragsmieten um 7,7 Prozent gestiegen.
Jedoch zeigt auch die Haus & Grund-Auswertung Gebiete, in denen die Mieten stärker zulegten als die Löhne und Wohnen damit relativ teurer geworden ist. Bei den Bestandsmieten ist dies in unserer Region in der Stadt Kempten der Fall, bei den Neuvertragsmieten im Kreis Augsburg, Kreis Dillingen, Kreis Günzburg, der Stadt Kaufbeuren, dem Kreis Landsberg, im Ostallgäu, im Unterallgäu und nochmals in Kempten.