Michael Neumann setzt den Meißel an, Tock-tock-tock frisst sich das Werkzeug in den cremefarbenen Kalkstein. Kleine Steinsplitter fallen ab. Jetzt darf nichts schiefgehen, keine Kante, keine Ecke abbrechen. Was der Stein einmal verloren hat, lässt sich nicht zurückbringen. Entstanden ist auf diese Weise ein Wandbrunnen. Die Kanten sind präzise und scharf als hätte man es nicht mit Stein zu tun, sondern mit Metall. Michael Neumann, 21, arbeitet als Steinmetz im Betrieb seiner Eltern - der Lippert Neumann GmbH - in Kaufbeuren. Bei dem, was er gerade so konzentriert angeht, handelt es sich nicht um seine tägliche Arbeit, um keinen Kundenauftrag, sondern um Training. Michael Neumann nimmt im September als Steinmetz an einer Weltmeisterschaft teil.
Vom 10. bis zum 15. September treffen sich in Lyon in Frankreich die besten Lehrlinge und Junghandwerker bis 21 Jahre aus der ganzen Welt und treten gegeneinander an. Teilnehmer aus über 60 Ländern messen in mehreren Disziplinen ihre Fertigkeiten. Was für Fußballer die Europameisterschaft und für Sportler die Olympischen Spiele sind, stellen für Handwerker die „World-Skills Competitions“ dar, die hohes Renommee in der Branche genießen. Michael Neumann vertritt in diesem Jahr Deutschland im Bereich der Steinmetze.
Bei Lippert Neumann entstanden Brunnen und mehr als 30 Kirchenaltäre
Im Betrieb seiner Familie ist die Steinmetzkunst zuhause. Über 30 Kirchenaltäre, dazu mehrere Brunnen sind in Zusammenarbeit mit Künstlern entstanden. Unter anderem der Tuffaltar in Hohenbrunn bei München, der Brunnen vor der Wieskirche oder der Marienbrunnen am Jakobsweg in Hohenpeißenberg. Das Bassin hat die Form einer Jakobsmuschel, Pilger können sich dort erfrischen. Auch in Lagerlechfeld war Lippert Neumann im Einsatz. „Am Anfang meines Berufslebens habe ich einen Rat bekommen: Es werden genau die Kunden zu Dir kommen, die zu Dir passen. Erst habe ich nicht genau verstanden, was mir das sagen sollte, heute weiß ich es“, sagt Vater Alfred Neumann, 61. Zu ihm in die Werkstatt kamen Bildhauer wie Egon Stöckle, Sebastian Mayrhofer oder Christian Hörl. Die Arbeit mit ihnen habe ihm besondere Freude gemacht.
Den Handwerksbetrieb hatte alten Unterlagen zufolge ursprünglich Urgroßvater Friedrich Lippert 1930 gegründet, der „praktisch mit nichts“ aus Franken nach Kaufbeuren gekommen war. Nahe des Alten Friedhofs entsteht die erste Steinmetzwerkstatt, Stück für Stück wächst das Unternehmen. Großmutter Anneliese legt 1962 als eine der ersten Frauen in Deutschland die Meisterprüfung ab, ihr Mann Alfred Neumann senior steigt ins Unternehmen ein. Seither heißt der Betrieb Lippert-Neumann. In den 70er Jahren bezieht der Betrieb den heutigen Standort im Osten Kaufbeurens. Es war keine sorgenfreie Zeit mitten in der Ölkrise. Doch das Unternehmen trotzt den Umbrüchen. Vater Alfred Neumann jun. studiert zunächst Architektur. „Das Zeichnen der Pläne damals noch von Hand hat mir Spaß gemacht“, erinnert er sich. Bald aber hält der Computer auch in den Architekturbüros Einzug. „Heute bin ich froh, dass ich hier im Betrieb arbeiten konnte“, sagt er. „Man ist als Steinmetz einfach näher an der Praxis dran.“
Bis zu 35 Tonnen schwere Steine sind das Ausgangsmaterial
Praxis – was das bedeutet, verrät ein Gang über den Hof. Dort lagern Findlinge, groß, dass man sie nur mit einer Leiter erklimmen kann. Teilweise sind sie zehn, zwanzig Tonnen schwer, der Rekordhalter wog 35 Tonnen. Wie es im Inneren der Giganten aussieht, ob es Brüche oder besondere Muster gibt, bleibt auch für erfahrene Steinmetze eine Überraschung. Damit sie ihr Geheimnis preisgeben, muss man den Blöcken mit Sägen zu Leibe rücken. Eine Bandsäge bearbeitet die größten Blöcke, in der Halle lassen sich die Blöcke mit einer Kreissäge zerteilen.
Zwei Meter im Durchmesser zählt das größte Sägeblatt. Mit Diamantsplittern besetzt und Wasser besprüht gleitet es durch den harten Stein scheinbar wie durch Butter. Die Steine stammen häufig von Steinbrüchen oder Baustellen aus der Umgebung. „Wenn wir im Allgäu schöne Steine finden, nehmen wir sie auf Lager“, sagt Alfred Neumann.
Steine aus dem Allgäu gewinnen an Beliebtheit
Für regionale Steine hat er immer eine besondere Zuneigung verspürt - Tuff, grauen Sandstein, Nagelfluh, Rotmarmor. Stück für Stück werden die Blöcke in der Werkstatt kleiner, bis die gewünschte Form entsteht.
Ein viertel Jahr Arbeit steckt nicht selten in einem besonderen Stück wie einem Altar. „Manchmal kommen die Künstler und andere Kunden während des Entstehungsprozesses bei uns vorbei, um zu sehen, wie ihr Produkt gemacht wird. Das freut uns besonders“, sagt Tochter Angelika Neumann, die sich im Betrieb inzwischen in der Geschäftsführung einbringt. „Die Kunden bringen Ideen mit. Wenn sie bei uns sind, kann man die Werkstücke dem Kundenwunsch noch anpassen“, sagt sie. Lippert-Neumann fertigt Grabsteine, aber auch Platten zum Beispiel für Küchen oder führt Restaurierungsarbeiten durch.
Das breite Produktspektrum hat sich als Stärke erwiesen. „Wir spüren konjunkturelle Einbrüche nicht ganz so stark“, sagt Alfred Neumann. Drei beschäftigte Steinmetze hat der Handwerksbetrieb, dazu eine Auszubildende und eine Bürokraft. Dazu kommt die Familie. Drei der vier Kinder von Alfred Neumann und seiner Frau arbeiten im Betrieb mit. Neben seiner Tochter Angelika, 29, und dem Weltmeisterschaftsteilnehmer Michael, 21, ist auch sein Sohn Andreas, 25, als Steinmetz im Betrieb aktiv.
In einem Familienbetrieb mit Tradition zu arbeiten, fördert Verantwortung, aber auch den Ehrgeiz: Mit seinem Gesellenstück – zwei ineinander verschlungene Ringe, die aus einem Steinblock gemeißelt wurden – ist Michael Neumann Kammersieger in Schwaben geworden. Danach siegte er auf Landesebene und erreichte beim Bundesentscheid des Handwerk-Wettbewerbs „Die gute Form“ den ersten Platz. Im März setzte er sich in einem Auswahlwettbewerb für die Weltmeisterschaft in Frankreich gegen drei Konkurrenten durch. Seit dem Frühjahr bereitet er sich jetzt regelmäßig für den internationalen Wettbewerb vor. Dabei steht ihm Steinmetz-Trainer Mathias Zorn zur Seite. Trainiert wird im überbetrieblichen Lehrlingszentrum in Holleben, aber auch in Kaufbeuren. Er trainierte auch mit einem Kontrahenten in Schmerikon in der Schweiz. Am Wettbewerb nimmt man weniger wegen des Preises teil, sondern auch, um seine Fertigkeiten zu verbessern und internationale Kontakte zu knüpfen.
Wie aber muss man sich einen Steinmetz-Wettkampf vorstellen? In Lyon wird Michael Neumann am ersten Wettkampftag eine Zeichnung für ein Werkstück bekommen. Er muss diese mit dem Computer erfassen (CAD), Schablonen aus Blech fertigen und dann aus einem eckigen Steinblock das Objekt meißeln. Vier Tage ist für alles zusammen Zeit, eine Jury vergibt am Ende Noten. Zehntausende Besucher und Zuschauer werden auf dem Expo-Gelände erwartet, auf dem die World-Skills Competitions stattfinden.
„Ich wollte nach dem Abitur eine Pause mit dem Lernen einlegen und etwas Handwerkliches machen“, sagt Michael Neumann. Jetzt führt ihn diese Entscheidung bis zu einer Weltmeisterschaft.
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