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Bayern: Wie groß ist das Blackout-Risiko in Schwaben?

Energiekrise

Wie groß ist das Blackout-Risiko in Schwaben?

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    In der Leitstelle der LEW: Josef Wagner, Technischer Geschäftsführer von LEW Verteilnetz (links), und Martin Ehinger, Leiter Zentrale Netzführung von LEW Verteilnetz.
    In der Leitstelle der LEW: Josef Wagner, Technischer Geschäftsführer von LEW Verteilnetz (links), und Martin Ehinger, Leiter Zentrale Netzführung von LEW Verteilnetz. Foto: Thorsten Franzisi, LEW

    Eine Leitstelle zu besuchen, hat immer etwas raumschiffartiges. Große Bildschirme bedecken die Wände. In Rot, Grün, Blau, Lila ist darauf ein Abbild des Leitungsnetzes in unserer Region zu sehen. Das Verteilnetz bringt Strom in die Städte und Ortschaften, Energie für Haushalte, Computer, Maschinen. Leitungen sind die Lebensadern unserer heutigen Zeit. Das Licht ist gedämpft, die Atomsphäre im Raum konzentriert. "Wir sind 24 Stunden besetzt, an sieben Tagen in der Woche", sagt Martin Ehinger, Leiter der zentralen Netzführung, immer ein Auge auf den Bildschirmen. Wenn man wissen will, wie groß das Risiko eines Stromausfalls diesen Winter ist, dann ist man hier richtig. 

    Das Unternehmen LEW Verteilnetz (LVN) – eine Tochter der Lechwerke – ist zuständig für 36.000 Kilometer Stromnetz in unserer Region. Das Gebiet reicht von Monheim im Norden Schwabens bis nach Bad Grönenbach im Südwesten und Schongau im Südosten. An das Netz sind rund 600.000 Kunden angeschlossen, rund eine Million Menschen werden über die Leitungen mit Strom versorgt. Die Energiewende wird immer mehr zu einem prägenden Faktor. Am LVN-Netz hängen heute über 90.000 Solaranlagen, die zeitweise so viel Strom erzeugen wie einst das Kernkraftwerk Gundremmingen. Ist das Netz aber stabil genug, sodass auch in diesem Ausnahme-Winter keine Stromausfälle drohen? Über mögliche Blackouts in Deutschland ist in den vergangenen Wochen mehrmals spekuliert worden

    In Frankreich produzieren die Atomkraftwerke weniger Strom, Deutschland fehlt das russische Gas

    Das Grundproblem, erklärt es Josef Wagner, ist, dass Strom noch nicht in größeren Dimensionen speicherbar ist. "Es muss immer genauso viel erzeugt werden, wie verbraucht wird, um das System stabil zu halten." Wagner ist Technischer Geschäftsführer der LEW Verteilnetz. Gerade in diesem Winter könnte es schwieriger werden, das Gleichgewicht zwischen Erzeugung und Verbrauch zu halten. Zum einen ist nur ein Teil der französischen Kernkraftwerke einsatzbereit. Statt rund 60 Gigawatt Leistung stehen aktuell nur etwas mehr als die Hälfte an Gigawatt zur Verfügung. Zum anderen ist durch den Krieg in der Ukraine die Gasversorgung teuer und kompliziert geworden. "Gaskraftwerke aber sind notwendig zur Stabilisierung des Stromsystems", sagt Wagner. Sie können Nachfragespitzen abdecken und einspringen, falls Wind und Sonne schwächeln. Dazu kommt auch noch, dass sich die Bundesbürger in den letzten Monaten massenhaft mit Heizlüftern eingedeckt haben. 

    Ein anderer wichtiger Aspekt: Die Leitungen der Übertragungsnetzbetreiber, die Stromautobahnen im deutschen Stromnetz, müssen auch zu Spitzenlastzeiten genügend Transportkapazität zur Verfügung stellen können. Insbesondere die Verbindungen aus dem windreichen Norden in die Verbrauchszentren im Süden der Republik sind hier entscheidend. Wie ist angesichts all dessen also die Lage im Winter? 

    Dem Stresstest zufolge ist die Versorgungssituation in diesem Winter in allen Szenarien angespannt

    Die vier deutschen Übertragungsnetzbetreiber Tennet, Amprion, 50 Hertz und TransnetBW haben die Stabilität der Stromversorgung in Stresstests untersucht. Das Ergebnis klingt zunächst nicht beruhigend. Denn die Analysen kamen zu dem Ergebnis, dass "in allen drei Szenarien die Versorgungssituation im kommenden Winter äußerst angespannt sein wird" und dass "die benötigte Last am europäischen Strommarkt nicht immer vollständig gedeckt werden kann". Die gute Seite allerdings ist, dass die Bundesregierung inzwischen gehandelt hat. Die Laufzeiten der letzten drei deutschen Atomkraftwerke wurden verlängert, abgeschaltete Kohlekraftwerke werden als Reserve reaktiviert. 

    Umspannwerke sind wichtige Einrichtungen im Stromnetz der Lechwerke.
    Umspannwerke sind wichtige Einrichtungen im Stromnetz der Lechwerke. Foto: Pitt Schurian

    Bei LEW Verteilnetz ist Josef Wagner deshalb entspannter, gibt aber auch keine vollständige Entwarnung. "Wir rechnen nicht mit einem großflächigen, unkontrollierten Stromausfall", sagt er. Das Risiko eines Blackouts schätzen die Fachleute also als sehr gering ein. "Im Worstcase könnte es zu einer kontrollierten Lastabschaltung kommen", fügt er aber an. 

    Die Fachleute rechnen im schlimmsten Fall nicht mit einem Blackout, sondern einem "Brownout"

    Ein entscheidender Satz. Er bedeutet, dass bei Engpässen Teile der Region tatsächlich keinen Strom bekommen könnten. Fachleute sprechen bei einer "kontrollierten Lastabschaltung" nicht von einem Blackout, sondern von einem Brownout. 

    Was aber würde bei einem solchen Engpass genau passieren? 

    Ein stabiles Netz, bei dem Stromerzeugung und Stromverbrach im Gleichgewicht sind, erkennen die Fachleute in der Leitstelle daran, dass die Frequenz im Netz 50 Hertz beträgt. Mit einem Klick können sie diese Zahl am Bildschirm ablesen. 

    Sinkt die Frequenz im Netz unter die Marke von 50 Hertz, ist dies ein Signal für die großen Übertragungsnetzbetreiber, schnell aktiv zu werden. Dazu gibt es den Regelenergiemarkt, auf dem kurzfristige Schwankungen ausgeglichen werden. Zudem können die Übertragungsnetzbetreiber versuchen, zusätzliche Strommengen auf dem europäischen Strommarkt zu beschaffen oder weitere Stromerzeuger ans Netz zu bringen. Dafür stehen ihnen zum Beispiel Reservekraftwerke zur Verfügung. Reicht dies nicht und fällt die Frequenz weiter , tritt die nächste Stufe in Kraft. Dann werden zur Entlastung vorübergehend Verbraucher vom Netz genommen. Dies wäre der Brownout. Erst wenn die Frequenz weiter fallen würde – unter 47,5 Hertz –, würden auch die Kraftwerke automatisch vom Netz getrennt. Dann herrscht Blackout. 

    Engpasssituationen sind selten. "Zu automatischen Abschaltungen kam es zum Beispiel im Jahr 2006, als in Norddeutschland eine 380-Kilovolt-Leitung über die Ems zeitweise unterbrochen wurde, um die Durchfahrt eines Kreuzfahrtschiffes zu ermöglichen", erinnert Wagner. Eine Kettenreaktion führte erst zur Überlastung anderer Leitungen und anschließend zu automatischen Abschaltungen. Mehr als zehn Millionen Menschen in Europa waren vorübergehend ohne Strom. 

    So liefe die kontrollierte Lastabschaltung bei den Lechwerken ab

    In der Praxis würde in diesem Winter ein eingespielter Mechanismus in Gang kommen, wenn sich abzeichnet, dass an einem Tag nicht hinreichend Strom produziert werden kann. Die großen Übertragungsnetzbetreiber erstellen jeden Tag eine Prognose auf Basis von Wetterdaten und anderen Informationen, ob die Stromversorgung am nächsten Tag gewährleistet ist. Zeichnen sich Engpässe ab, würden die Übertragungsnetzbetreiber die regionalen Netzbetreiber wie LEW Verteilnetz vorwarnen, dass am kommenden Tag Lastabschaltungen nötig werden könnten. Zum Beispiel 100 Megawatt zwischen 9 und 12 Uhr. "Wir würden versuchen, dann über Radio und Zeitung zu informieren, dass es in der Region am kommenden Tag zu kurzzeitigen Netzunterbrechungen kommen kann", erklärt Wagner. "Industrie und Privatkunden könnten sich damit darauf vorbereiten." 

    Tritt am kommenden Tag der erwartete Mangel wirklich ein, käme ein automatischer Ablauf in Gang: In der Leitstelle läutet das Telefon. Die Übertragungsnetzbetreiber würden die zuvor angekündigte Lastreduzierung abrufen. Das Team hätte dann insgesamt 12 Minuten Zeit, Teile des Netzes abzuschalten. Gleichzeitig würde es nach spätestens 6 Minuten andere, nachgelagerte Netzbetreiber – zum Beispiel Stadtwerke – informieren, die ebenfalls einen Beitrag leisten müssten. Diese hätten dann ihrerseits 12 Minuten Zeit, Verbraucher vom Netz zu nehmen. In Summe wäre damit nach 18 Minuten die vom Übertragungsnetzbetreiber angeordnete Last abgeschaltet. Das Vorgehen ist vom Verband der Elektrotechnik genau festgelegt. 

    Zwei Stunden kein Strom in Teilen der Region

    Um das Netz zu entlasten, würden die Stromversorger dann für maximal 2 Stunden einzelne Netzabschnitte, also zum Beispiel Stadtteile, Ortschaften oder Ortsteile vom Netz nehmen. In zusammenhängenden Gebieten hätten die Kunden dann vorübergehend keinen Strom mehr. Welche Teile der Region betroffen wären, wird alleine nach netztechnischen Kriterien bestimmt. Eine besondere Rücksicht auf bestimmte Betriebe oder Einrichtungen könnte nicht genommen werden. "Die Abschaltung muss diskriminierungsfrei geschehen", erklärt LEW-Geschäftsführer Wagner. "Anders als bei Gas gibt es bei der Stromversorgung keine geschützten Kunden." Haushalte, Gewerbe und Industrie wären also gleichermaßen betroffen. Betriebe der kritischen Infrastruktur wie Krankenhäuser haben in der Regel mit einer eigenen Notstromversorgung selbst für solche Fälle vorgesorgt. "Nach spätestens zwei Stunden wird der Strom dann wieder angeschaltet", erklärt Wagner. "Hält die Mangellage noch an, werden nun andere Gebiete abermals für je maximal 2 Stunden vom Netz genommen." 

    Droht diesen Winter ein Blackout? Einen unkontrollierten Stromausfall schließen Fachleute derzeit aus, nicht aber kontrollierte Abschaltungen.
    Droht diesen Winter ein Blackout? Einen unkontrollierten Stromausfall schließen Fachleute derzeit aus, nicht aber kontrollierte Abschaltungen. Foto: Michael Hochgemuth

    Dass eine kontrollierte Netzabschaltung in diesem Winter der schlimmste Fall wäre, nimmt man auch am Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe an. "Ein großflächiger Stromausfall in Deutschland ist äußerst unwahrscheinlich", teilte das Amt kürzlich mit. Die deutsche Energieversorgung verfüge über zahlreiche Sicherungsmechanismen. "Ebenso wird die Wahrscheinlichkeit als gering angesehen, dass es regional und zeitlich begrenzt zu erzwungenen Abschaltungen kommt, um die Gesamtversorgung weiter sicherzustellen." 

    Schwierig ist die Lage meist Anfang Dezember und Anfang Februar

    Am stärksten dürfte das Netz aller Erfahrung der LEW nach Anfang Dezember beansprucht werden, wenn die Industrie noch produziert, die Weihnachtsbeleuchtung angeknipst wird und die Tage trübe sind. Auch Anfang Februar sei häufig ein angespannter Zeitpunkt. 

    In der Leitstelle der Lechwerke ist man also vorbereitet. Gleichzeitig kann jede und jeder ein kleines Stück zur sicheren Stromversorgung beitragen. Durch Energiesparen. "Jede nicht verbrauchte Kilowattstunde ist derzeit eine gute Kilowattstunde", sagt Wagner. 

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