Es ist nicht bekannt, was Horst Seehofer von der „Verspargelung“ der Nord- und Ostsee hält, fest steht aber: Es wird dort oben, in den Offshore-Parks im Meer, eine Menge grüner Strom erzeugt. Auch wenn der Ampelregierung ihre politische Energie zuletzt im (bestimmt nicht ausgestandenen) Haushaltsgezerre erneut auszugehen drohte, es gibt klare Erfolgsmeldungen: Im ersten Halbjahr 2024 haben Wind, Sonnenlicht, Biomasse und Wasserkraft so viel Strom für Deutschland geliefert wie noch nie. Bis Ende Juni deckten die „Erneuerbaren“ rund 58 Prozent des Bedarfs. Rekord, wie die Energie- und Wasserwirtschaft jüngst vermeldete. Fotovoltaik-Anlagen trugen besonders zu diesem Ergebnis bei. Das ist der Ertrag eines kontinuierlichen und forcierten Ausbaus. Und es gibt weitere Beispiele: Die Bundesnetzagentur verkündete für die jüngste Ausschreibungsrunde zum Ausbau der Windkraft an Land Top-Zahlen. Oder: Der Bundesverband der Solarwirtschaft zählt immer mehr Balkonkraftwerke – auch hier ein Rekord. Es geht also doch was und das könnte man für einen Moment auch einfach mal so stehen lassen: wo ein Wille, da ein Windrad. Wo großer Wille, da viel mehr Windräder.
So ermutigend die Zahlen einerseits sind, so zwingend bleiben aus bayerischer Sicht die immer gleichen Nachfragen: Wie hoch könnte der Anteil grünen Stroms hier eigentlich sein, wenn in den vergangenen Jahrzehnten nicht gezögert und verhindert worden wäre? Wenn Seehofers damalige Landesregierung hart in den Wind gegangen und gegen alle Widerstände dort geblieben wäre? Es keine (inzwischen abgeänderte) 10-H-Regel gegeben hätte? Keine Polemiken über (noch lange nicht fertiggestellte) „Monstertrassen“?
Lokale Preiszonen sind nicht von bayerischem Interesse
Schon klar, auch die aktuelle Staatsregierung will in Sachen erneuerbare Energien längst viel mehr. Und die Zahlen – wenn auch nicht unbedingt bei der Windkraft – belegen die Mühen. Aber es bleibt trotz aller dringlichen Entbürokratisierungs- und Beschleunigungsmaßnahmen eine ganze Menge zu tun. Denn selbst wenn es mehr Genehmigungen für Windräder gibt, kann der Ausbau langsamer vorankommen als gedacht, wie der Bundesverband Windenergie just mitteilte: Zwar wurden bundesweit 250 neue Anlagen aufgestellt. Das waren aber 19 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum. Ein Grund, kurioserweise: Die Winde bliesen im April so stark, dass sie die Montage behinderten.
Aus den Versäumnissen der Vergangenheit resultiert für Bayern aber noch eine weitere Verpflichtung, die Drehzahl ordentlich zu erhöhen. Führende Energieökonomen forderten zuletzt in einem FAZ-Gastbeitrag, dass der an Absurditäten nicht arme deutsche Strommarkt lokale Preise braucht. Ein Grund: Wenn im Norden sehr viel Windenergie erzeugt wird, müsste nach den Marktgesetzen der Strom dort auch günstiger sein. Ist er aber nicht, weil der Strompreis – politisch gewollt – deutschlandweit einheitlich ist. Die Staatsregierung lehnt solche Preiszonen bislang mit – aus hiesiger Sicht – sehr nachvollziehbaren Gründen ab. Unternehmen brauchen günstige Energie. Je mehr grüner Strom aber in den „verspargelten“ Meeren erzeugt wird, desto beharrlicher und selbstbewusster werden die Nordbundesländer solche Preiszonen fordern.
Andere europäische Staaten haben sie längst, um mit Marktdynamik die Klimaziele schneller zu erreichen. Das sollte Bayern Ansporn genug sein, den Ausbau deutlich zu verstärken.
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