Herr Brossardt, sind Sie altersmilde geworden und treten bald in die IG Metall ein? Schließlich haben sie als bayerischer Metall-Arbeitgeberchef der IG-Metall-Vorsitzenden Christiane Benner Respekt bekundet und ausgerufen: „Ich find‘ die cool.“
Bertram Brossardt: Ja, ich finde Frau Benner cool, auch weil sie im Umgang einen anderen Stil als ihre männlichen Vorgänger pflegt. Ich habe mich mit ihr länger unterhalten. Es war sehr angenehm, mit Frau Benner unterschiedliche Meinungen auszutauschen. Ich finde es gut, dass sie die Strukturen in der IG Metall anpassen will. Davor habe ich Respekt. Übrigens: Ich komme auch sehr gut mit Bayerns IG-Metall-Chef Horst Ott aus, der ja aus Augsburg stammt. Menschlich passt das zwischen uns.
Passt es auch beruflich?
Brossardt: Herr Ott versteht sein Geschäft. Das führt natürlich dazu, dass wir oft unterschiedlicher Meinung sind. Menschlich können wir aber extrem gut miteinander, was vielleicht auch daran liegt, dass wir beide einst Ministranten waren. Wie er bin ich stark katholisch geprägt.
Bislang haben Sie Herrn Ott in der Tarifrunde der Metall- und Elektroindustrie nicht katholisch gemacht, also auf den aus Ihrer Sicht rechten Weg geführt. Der bayerische IG-Metall-Chef findet das Angebot der Arbeitgeber von 3,6 Prozent mehr Lohn bei einer sehr langen Laufzeit von 27 Monaten uncool.
Brossardt: Was die Laufzeit betrifft: Die Unternehmen brauchen Planungssicherheit, insbesondere weil wir eine Strukturkrise haben, die nicht kurzfristig vorbeigeht. Die IG Metall will ja nur für zwölf Monate abschließen, was für uns nicht akzeptabel ist.
Können Sie der IG Metall bei der Laufzeit entgegenkommen?
Brossardt: Dazu gibt es unsererseits nahezu keine Möglichkeiten. Und unser Lohn-Angebot ist gut: Seit 2005 und damit seitdem ich Hauptgeschäftsführer der bayerischen Metall-Arbeitgeber-Verbände bin, haben wir der Gewerkschaft nicht ein derart hohes Lohn-Angebot zur zweiten Tarifrunde vor Ablauf der Friedenspflicht gemacht.
Warum haben sich die Metall-Arbeitgeber so früh aus der Deckung gewagt?
Brossardt: Wir wollten die Gegenseite nicht provozieren und haben die Hand in Richtung IG Metall weit ausgestreckt, um möglichst in der Friedenszeit bis 28. Oktober eine Einigung zu erzielen. Ich habe ernsthaft geglaubt, dass das klappt. Leider haben sich meine Hoffnungen zerschlagen. Und das, obwohl wir der IG Metall auch noch in Aussicht gestellt haben, dass die Ausbildungsvergütungen überproportional erhöht werden, auch wenn natürlich die Forderung der Gewerkschaft nach 170 Euro mehr Lohn pro Monat für Auszubildende zu weit geht. Wir sind also auf die IG Metall ungewöhnlich früh und mit einem ungewöhnlich hohen Angebot zugegangen.
Das reicht der IG Metall nicht.
Brossardt: Was ich nicht nachvollziehen kann. Aus Verantwortung für unser Land und unsere Industrie müssen wir die Tarifrunde zügig mit einem Abschluss mit Augenmaß beenden. Wir dürfen nicht die internationale Wettbewerbsfähigkeit Bayerns und Deutschlands gefährden.
Doch Herr Ott hat für Bayern Warnstreiks nach Ende der Friedenspflicht angekündigt. Fühlen Sie sich provoziert? Oder bleiben Sie cool?
Brossardt: Ich bin zunächst einmal enttäuscht. Diese Warnstreik-Ankündigung ist angesichts unseres hohen Angebots unnötig. Die Verantwortlichen der IG Metall schüren überzogene Erwartungen bei ihren Mitgliedern.
Was fordern Sie jetzt von der IG-Metall-Chefin?
Brossardt: Die IG-Metall-Vorsitzende sollte uns entgegenkommen und von der Forderung nach sieben Prozent mehr Lohn abrücken. Seitdem die Forderung im Juni erhoben wurde, hat sich die wirtschaftliche Lage in Deutschland und Bayern Woche um Woche dramatisch verschlechtert, ja es geht senkrecht im freien Fall den Berg runter. Dabei befindet sich die Metall- und Elektroindustrie schon seit über einem Jahr in der Rezession. Wenn sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht verändern, droht selbst Bayern ein Wohlstandsverlust. Dabei stützt die gute Wirtschafts- und Forschungspolitik von Ministerpräsident Markus Söder nach wie vor den Standort.
Von Söder, nicht auch von Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger?
Brossardt: Von Söder. Er macht einen guten Job.
Macht Aiwanger auch einen guten Job?
Brossardt: Die Bayerische Staatsregierung allein kann die wirtschaftliche Lage nicht drehen. Hier ist vor allem der Bund gefragt: Die Energiekosten für die Industrie müssen sinken. Bürokratie muss abgebaut werden. Und wir brauchen Steuererleichterungen für die Wirtschaft.
Ist die Lage wirklich so ernst? Oder ist die Stimmung der Arbeitgeber schlechter als die Lage?
Brossardt: Nein. Derzeit läuft es in Bayern nur in der Luftfahrt-Industrie wirklich sehr gut. Zu dem Bereich zählt auch die Wehrtechnik. Die Deindustrialisierung ist sonst voll im Gange. Das geschah lange still und leise. Jetzt wird es langsam laut. In der bayerischen Metall- und Elektroindustrie gehen viele Arbeitsplätze verloren. Zu Jahresanfang waren es noch 872.000. Jetzt sind es nur noch 865.000 Beschäftigte.
Setzt sich der Job-Verlust fort?
Brossardt: Ja, denn derzeit finden in Bayern Verhandlungen über den Abbau von insgesamt rund 18.000 Stellen in verschiedenen Betrieben statt. Zur Disposition stehen noch deutlich mehr Arbeitsplätze. Es droht der Verlust von zehntausenden Arbeitsplätzen in Bayern. Die Krise ist voll am Arbeitsmarkt angekommen und könnte sich verschärfen. Ein zu hoher Tarifabschluss würde die ohnehin negative Entwicklung beschleunigen.
Frau Benner argumentiert derweil, sie wolle die Reallöhne erhöhen, durch Lohnerhöhungen die Kaufkraft stärken und dadurch die Konjunktur ankurbeln. Klingt cool, oder?
Brossardt: Vor zwei Jahren mussten die Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie Reallohnverluste hinnehmen, wenn man die Lohnerhöhungen mit der Inflation gegenrechnet. Doch in diesem Jahr verzeichnen die Beschäftigten Reallohngewinne, weil die Erhöhung aus dem letzten Tarifabschluss wirksam ist und sie die Inflations-Ausgleichsprämie von insgesamt 3000 Euro erhalten haben. Die Argumente der IG Metall fallen in sich zusammen, zumal auch die Inflationsrate in Deutschland auf nur noch 1,6 Prozent gefallen ist. Das Kaufkraft-Argument zieht einfach nicht.
Die IG Metall argumentiert aber, die Preise für Produkte hätten ein so hohes Niveau erreicht, dass die Beschäftigten, um die gewohnten Waren zu kaufen, mehr Geld, also Lohnerhöhungen benötigen. So kurbele der Konsum die Konjunktur an.
Brossardt: Diese Argumentation kann ich nicht nachvollziehen, schließlich sind die Menschen angesichts der Wirtschaftskrise verunsichert. Wenn sie Lohnerhöhungen bekommen, sparen sie das Geld. Sie machen nur eine Ausnahme und gönnen sich Urlaube. Doch das Geld fließt überwiegend ins Ausland. Mit Reisen stärken wir die deutsche Wirtschaft nicht.
Bertram Brossardt, 64, ist seit 2005 Hauptgeschäftsführer der Verbände Bayme (Bayerischer Unternehmensverband Metall und Elektro), VBM (Verband der Bayerischen Metall- und Elektro-Industrie) sowie VBW (Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft). 2021 wurde dem bekanntesten Vertreter im Arbeitgeberlager des Freistaates der Bayerische Verdienstorden zuerkannt.
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