Der Landwirtschaftsminister hat sich darauf einstellen können, dass es rau würde. Als Cem Özdemir an das Mikrofon auf der kleinen Bühne an der Rückseite des Brandenburger Tores tritt, setzt ein Pfeifkonzert wie im Fußballstadion ein. „Ich halte das aus. Ich war mal Handballtorwart. Ich werde dafür bezahlt“, ruft er in die Mauer aus Ablehnung.
Özdemir wird nur einige Minuten sprechen in dieser Mittagsstunde in der Woche vor Weihnachten, er versucht es zumindest. „Hau ab, hau ab, hau ab“, schlägt es ihm immer wieder entgegen. Abgewechselt von der geschrienen Forderung nach Neuwahlen. Der Minister von den Grünen blickt in Tausende Gesichter von Menschen, die ihn für einen Verräter halten. Hinter der zornigen Masse stehen Hunderte Traktoren auf dem breiten Boulevard, der zur Siegessäule führt. Zu Füßen der Göttin Viktoria, die in Berlin Goldelse heißt, haben die Bauern einen Haufen Mist abgeladen.
Bauernprotest in München: Ein 12-Tonner übertönt Minister Özdemir
Özdemir versucht die Leute zu kriegen, in dem er ihnen signalisiert, dass er ihr Verbündeter ist. Dass sie ihn brauchen, wenn sie die Kfz-Steuerbefreiung für Landmaschinen und das Dieselprivileg erhalten wollen. Dass nur er den großen Drei der Regierung – Scholz, Habeck und Lindner – das Geld aus den Rippen leiern kann. „Sie wollen doch mir diese Botschaft mitgeben, damit ich sie am Kabinettstisch sagen kann“, ruft er ihnen zu. Das gewaltige Hupen eines 12-Tonnen-Häckslers übertönt ihn. Ein "Wir" zwischen Landwirtschaftsminister und Landwirten gibt es nicht, vielleicht gab es das nie.
Bauernpräsident Joachim Rukwied versucht während der Rede des Ministers mit mäßigenden Gesten, den offenen Zorn zu besänftigen. Er tritt sogar an das Mikrofon und bittet um eine faire Behandlung. Doch es bringt wenig. „Sein Standing ist Null. Alles, was er unternommen hat, führt zu einer Schwächung der Landwirtschaft“, sagt Jürgen Donhauser. Der Bauer ist aus Amberg in der Oberpfalz in die Mitte der Hauptstadt gekommen. Er und sein Sohn führen gemeinsam einen Hof. Donhauser ist aber nicht nur Bauer, sondern auch Diakon. Vor fünf Jahren erhielt er nach dem Studium der Theologie die Weihe. „Sie wissen gar nicht, wie viele Bauern zu mir kommen, denen ich einfach zuhören muss. Dem Volk laufen die Bauern davon und es merkt es gar nicht“, sagt Donhauser und es klingt bitter.
Özdemir verspricht denen, die ihn am liebsten aus dem Amt jagen würden, den vollen Einsatz für ihre Sache. „Deswegen werde ich mich mit aller Kraft dafür einsetzen, dass das so nicht kommen kann“, kündigt er an. Doch dass die volle Milliarde, die die Höfe bislang bei Diesel und Kfz-Steuer sparen, erhalten werden kann, daran glaubt auch der Minister nicht. Er wolle nicht das Blaue vom Himmel versprechen, gibt er zu.
Demonstrant Geschwendtner: "Das hat das Fass zum Überlaufen gebracht"
Genau das Blaue vom Himmel verlangt aber der Bauernpräsident. "Wir nehmen das nicht hin." Die Pläne der Regierung nennt er "eine Kampfansage" und droht mit einem heißen Januar. "Dann werden wir ab 8. Januar überall präsent sein in einer Art und Weise, wie es das Land noch nicht erlebt hat“.
Anders als ihre französischen Kollegen, neigen die deutschen Bauern nicht zu wilden Demonstrationen, gelten nicht als feurige Kämpfer auf der Straße. Doch seit Bekanntwerden der Sparpläne gärt es in der Bauernschaft, binnen weniger Tage wurde die große Kundgebung in Berlin organisiert. Andreas Geschwendtner hat sich aus Miesbach zwischen Bald Tölz und Rosenheim mit anderen Bäuerinnen und Bauern auf den Weg begeben. Drei Busse haben sie vollgemacht, insgesamt 50 Leute. Zehn Stunden sind sie gefahren. In der Hand hält Geschwendtner eine Kuhglocke, daheim hält er 35 Milchkühe. „Das hat jetzt das Fass zum Überlaufen gebracht. Wenn das so kommt, trifft es die Kleinbetriebe mit voller Härte, die die Politiker doch eigentlich unterstützen wollen“, sagt er.
Die Wucht des Aufschreis hat die Ampelkoalition überrascht. Bei Grünen und der FDP werden Forderungen an die Chefs laut, die geplanten Kürzungen abzumildern. Die mächtige deutsche Autoindustrie protestiert zwar gegen den Wegfall der E-Auto-Prämie, doch das Echo ist schwächer als der Widerhall des Bauernprotests. Wie und wo Özdemir das Geld auftreiben will, ist noch rätselhaft. Am einfachsten wäre es, er würde Mittel aus seinem eigenen Etat streichen. Tut er das nicht, ist er auf das Entgegenkommen anderer Minister angewiesen, die auch alle sparen müssen.
Der Kanzler lässt über seinen Sprecher ausrufen, dass es zwar hier und da kleine Änderungen geben werde, aber sich an der großen Linie nichts mehr ändern werde. Das Vorbild der Bauern könnte andere Gruppen anspornen, ihren Protest auf die Straße zu tragen. Wer Geld haben will, muss jetzt laut sein.