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Autoindustrie: Wie Volkswagen ein Software-Unternehmen werden will

Autoindustrie

Wie Volkswagen ein Software-Unternehmen werden will

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    VW baut bis 2025 massiv seine Software-Kompetenzen aus. In einer eigenen Einheit soll künftig über 10.000 Experten arbeiten.
    VW baut bis 2025 massiv seine Software-Kompetenzen aus. In einer eigenen Einheit soll künftig über 10.000 Experten arbeiten. Foto: Julian Stratenschulte, dpa

    Volkswagen hat zuletzt nicht ausschließlich gute Schlagzeilen gehabt. Der Vorstandsvorsitzende Herbert Diess war erheblich unter Druck geraten, musste Macht im Konzern und die Führung der Kernmarke VW an den bisherigen Co-Geschäftsführer Ralf Brandstätter abgeben. Die Gemengelage ist kompliziert.

    Einer der Auslöser für die Verwerfungen waren zum Beispiel die Anlaufschwierigkeiten beim Prestige-Projekt ID.3, das erste rein als Elektrowagen konzipierte Auto der Wolfsburger. Die wollen damit in eine "neue, dynamische Ära in der Welt der Elektromobilität". Das kann man damit vielleicht auch. Allerdings gab es zuletzt wenig dynamische Probleme mit der Software des Autos.

    Automobilbauer Volkswagen will mehr wie US-Gigant Tesla werden

    VW will da besser werden. Man könnte auch sagen: Der Konzern will mehr wie Tesla werden. Und damit das zügig gelingt, geht ab Juli die Car.Software-Organisation an den Start. Volkswagen ist mitten im größten Wandel der Unternehmensgeschichte. Ein sehr zentrales Element ist der Aufbau dieser Einheit, die bis Ende des Jahres 5000 IT-Experten zählen soll.

    Sieben Milliarden Euro will der Autobauer in die Hand nehmen, um eine "leistungsstarke, digitale Plattform für alle Konzernmarken und Märkte" zu entwickeln. VW soll sich zum "softwaregetriebenen Automobilkonzern weiterentwickeln". Die konkreten Ziele beschrieb Christian Senger, VW-Digital-Vorstand, bei einem Auftritt in Ingolstadt kürzlich so: "Bis 2025 wollen wir den Eigenanteil an der Software unserer Autos auf 60 Prozent steigern." Bisher läge der bei unter zehn Prozent.

    Es gibt andere Möglichkeiten. Software kaufen oder Entwicklungspartnerschaften eingehen. Daimler zum Beispiel wird in seinen Mercedes-Autos künftig auf die Unterstützung des US-Konzerns Nvidia setzen, wie das Unternehmen diese Woche mitteilte. Mit der Technologie der Amerikaner sollen Fahrassistenz-Systeme, teilweise das automatisierte Fahren und das komplett eigenständige Navigieren auf Parkplätzen laufen.

    "VW.OS": Volkswagen setzt weiter auf Entwicklung eigener Software

    Das ist nicht der Weg, auf dem VW künftig Gas geben will. Senger sagte: "Für uns kommt das nicht in Frage. Wir können und wir wollen unsere Software-Plattform selbst entwickeln". Volkswagen wolle die "Hoheit über die komplette Fahrzeugarchitektur behalten" – das schließe die Elektronik ein. Der Autoriese setzt dabei auf Masseneffekte. 2019 hat man fast elf Millionen Autos verkauft. Tesla schaffte es im gleichen Zeitraum, 367.500 Autos auszuliefern, überholte VW im Januar dieses Jahres allerdings erstmals beim Börsenwert. Was wohl auch mit der Elon-Musk-Software zu tun hat.

    VW-Vorstand Senger ist jedenfalls vom Volumen-Argument überzeugt. Er sagte in Ingolstadt: "Software entfaltet ihr Potenzial mit der steigenden Zahl der Fahrzeuge. Das gilt für Kostenvorteile, aber auch für das Lernen aus Daten. Diesen Skalierungsvorteil haben wir auf unserer Seite."

    Das nun zu entwickelnde Betriebssystem, das künftig einheitlich in allen Pkw-Marken des Konzerns eingesetzt werden soll, wird "VW.OS" heißen. Dazu gehört eine "Automotive Cloud", quasi das technische Rückgrat, mit dem die Autos verbunden werden. Diese Cloud, so Senger, sei bereits "technisch startbereit". Ziel ist, dass man mit der neuen "Software-Architektur" Updates und Dienste "over the air" ermöglicht. Sprich: Kunden sollen sich neue Produkte jederzeit herunterladen können, damit die Wagen digital auf dem neuesten Stand bleiben. So läuft es bereits bei Tesla. Senger betont: "Wir müssen uns verändern."

    Eigene VW-Software: Auto-Experte Dudenhöffer bleibt erstmal skeptisch

    Der Auto-Experte Ferdinand Dudenhöffer findet die Idee von Volkswagen, ein eigenes Betriebssystem zu entwickeln, richtig. Allerdings sagt er auch: "Fraglich ist aber, ob das ein Autobauer wirklich selber leisten kann, ob er damit schnell genug vorankommt oder ob man nicht besser bereits bestehende Architekturen nutzt. Fest steht: Derzeit hat VW eine zu hohe Fehlerquote."

    Bei VW habe man zuletzt so viel von Software-Problemen, etwa auch beim neuen VW Golf, gehört, dass der Professor des Duisburger Center Automotive Research zunächst skeptisch bleibt. VW müsse nun zeigen, dass das, was künftig entwickelt werde, stabiler sei als das, was man in den vergangenen Jahren gesehen habe. Tesla habe vorgeführt, wie es geht: Ein Zentralrechner steuert alles. Die Amerikaner dächten das Auto von der Software her. Die altgedienten Konzerne, nicht nur VW, hätten es sehr lange noch umgekehrt gemacht. Dudenhöffer betont: "Die Kompetenz muss ausgebaut werden."

    Das hat VW vor. Bis 2025 sollen über 10.000 Experten für die neue Einheit an der Zukunft tüfteln. Die Einheit wird global aufgestellt. Die Fachkräfte werden nicht nur in Deutschland und Europa arbeiten. Rund ein Drittel werde in China programmieren. Weitere Einheiten sind in Nordamerika, in Israel und Indien stationiert. Senger will dabei "eine Kultur für Macherinnen und Macher. Die klügsten Köpfe werden bei uns Arbeitsmodelle finden, die sich konsequent an den Anforderungen moderner Software-Entwicklung ausrichten".

    VW-Software-Einheit soll "organisatorischen Schwerpunkt" in Ingolstadt haben

    Die Basis der neuen Software-Einheit wird laut VW ihren "organisatorischen Schwerpunkt in Ingolstadt" bei Audi haben. Genaue Standorte nennt der Konzern zwar noch nicht. Prädestiniert wäre aber zum Beispiel das neue "Projekthaus" auf dem gerade entstehenden IN-Campus, dem Prestigeprojekt der Stadt auf der 75 Hektar großen Industriebrache der alten Bayernoil-Raffinerie beim Stadion. Wann das Projekthaus allerdings bezugsfertig ist, steht nach Audi-Angaben noch nicht fest. Fertig ist man noch nicht.

    Das gilt auch für die Software-Einheit von VW. Ein Prestigeprojekt im Werden genau wie der ID.3. Für den gibt es laut Volkswagen europaweit derzeit rund 37.000 Reservierungen. Auf Anfrage räumt der Konzern Startschwierigkeiten ein. Ein Sprecher betont zwar, dass der Wagen "ein voll alltagstaugliches und funktionsfähiges Elektrofahrzeug" sei. Alle sicherheitsrelevanten Software-Bestandteile seien erprobt und funktionierten "einwandfrei".

    Allerdings sei das Startpaket "aufgrund der coronabedingten Einschränkungen in der Entwicklung und bei der Erprobung der Software" geringer ausgefallen. Allerdings müssten nur zwei von 256 angekündigten Funktionen nachträglich zur Verfügung gestellt werden, betont der Konzern. Für das erste Update des ID.3 werden die Kunden, die den Wagen im September bekommen, Anfang des kommenden Jahres zum Händler in die Werkstatt kommen müssen. Danach soll das über die Cloud funktionieren. Bei Tesla ist das längstens schon so.

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