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Autoindustrie: Der neue Volkswagen-Chef Oliver Blume will kein Visionär sein

Autoindustrie

Der neue Volkswagen-Chef Oliver Blume will kein Visionär sein

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    Volkswagen steht finanziell solide dar. Das ist auch dem neuen Chef Oliver Blume zu verdanken.
    Volkswagen steht finanziell solide dar. Das ist auch dem neuen Chef Oliver Blume zu verdanken. Foto: Ole Spata, dpa

    Herbert Diess kann es nicht lassen. Wer seine Beiträge auf dem Karrierenetzwerk LinkedIn im Auge behält, könnte meinen, der 64-Jährige sei immer noch Volkswagen-Chef. Doch seit Ende August vergangenen Jahres ist der Münchner endgültig raus. Ihm wurde das Software-Chaos im Konzern angelastet und zum Verhängnis. Aus Sicht der Anteilseigner aus den Kreisen der Familien Porsche und Piëch produzierte der Manager zwar Visionen am Fließband, es haperte aber notorisch mit der Umsetzung der großen Ideen. Konsequentes Nachhalten scheint nicht die Stärke von Diess zu sein. 

    Der Ex-Volkswagen-Chef befindet sich weiter im Überschwang-Modus: So lässt er via LinkedIn lachend und mit nach oben gerecktem Daumen Interessierte wissen, er habe am Flughafen München seinen alten Kumpel Kai Yu getroffen, „einen der klügsten Köpfe, wenn es ums autonome Fahren geht“. Der Mann ist Gründer und Chef der chinesischen Firma Horizon Robotics. Diess gibt jedenfalls seiner Freude Ausdruck, dass Volkswagen mit Kai Yu zusammenarbeite, denn, so doziert der visionslastige, geschasste deutsche Manager: „Autonomens Fahren bleibt die wichtigste Aufgabe der Automobilindustrie.“

    Diess verdiente 2022 11,6 Millionen Euro bei VW

    Diess hat Zeit für Prophezeiungen und verfügt dafür auch über das notwendige finanzielle Polster. Obwohl er 2022 vom VW-Hof auch auf Druck der von ihm genervten Arbeitnehmerseite gejagt wurde, streicht er für das vergangene Geschäftsjahr nach dem VW-Vergütungsbericht 11,6 Millionen Euro ein, wenn die Aufwendungen für die spätere Altersversorgung mitgerechnet werden. Das hat das Handelsblatt addiert. Die Diess-Welt ist eine Welt des großen Aufschlags, eines nicht versiegen wollenden Selbstbewusstseins. 

    Volkswagen-Chef Oliver Blume legt in Berlin die Geschäftszahlen für 2022 vor.
    Volkswagen-Chef Oliver Blume legt in Berlin die Geschäftszahlen für 2022 vor. Foto: Michael Kappeler, dpa

    Die Welt seines Nachfolgers Oliver Blume, 54, wirkt nüchterner. Er verzichtet auf Kumpel-Bilder. Seine Lieblings-Vokabeln lauten „robust“, „solide“, „durchdacht“ und „Teamspieler“. Als Letzterer sieht sich der einstige Hobby-Fußballer gerne, entsprechend oft bedient er sich Wortschöpfungen rund um diesen Ball-Sport. Als ein Journalist auf der VW-Jahrespressekonferenz am Dienstag auf ein in der FAZerschienenes Porträt verweist, demzufolge Blume kein Visionär wie sein Vorgänger sei, zögert der Angesprochene nur kurz, kontert dann aber: „Ich weiß nicht, wie die Welt in 100 Jahren aussieht.“ Als Stratege habe er zumindest eine Vorstellung davon, wie es für die Branche in den nächsten zehn Jahren weitergehen könne. Er sei kein Visionär.

    Blume erwähnt zwar Diess nicht namentlich, es dürfte aber hinlänglich klar sein: Als Realist setzt er sich von dem Super-Visionär Diess ab. Das scheint ihm ein Anliegen zu sein, führt er doch näher aus, wie so ein strategischer Realist arbeitet, der ehrgeizige Ziele erreichen will: „Ich packe den Rucksack, mache mich mit der Mannschaft auf den Weg. Manchmal liegt dort ein Baumstamm, manchmal ist der Boden etwas weggespült.“ 

    Große Sehnsucht nach einem VW-Pragmatiker

    Die Sehnsucht nach einem geerdeten Pragmatiker ist groß in der VW-Welt, ob im Management oder in Betriebsratskreisen. Denn anders als Diess, der schon mal aus dem Nichts heraus mit dem Abbau zehntausender Arbeitsplätze gedroht hatte, nehme „der Oli“, wie mancher im Volkswagen-Kosmos den Konzern-Chef nennt, alle mit. Die Sympathie der organisierten Arbeitnehmerschaft hat sich seit dem Amtsantritt des Managers im September nicht wesentlich abgekühlt. Wer sich bei der VW-Tochter Audi in Ingolstadt und am Konzern-Stammsitz in Wolfsburg umhört, erfährt auffallend gleichlautend: „Das passt mit Blume. Es läuft.“ Es sind schon Tiefbohrungen notwendig, um so etwas wie einen Hauch von Konflikt zwischen Betriebsrat und dem erklärten Nicht-Visionär aufzuspüren. So gab es nach Informationen unserer Redaktion Stunk zwischen Blume und dem Gesamtbetriebsrat wegen einer Empfehlung des VW-Vorstands, dass wieder mehr Beschäftigte aus dem Homeoffice in die Büros zurückkehren sollten. Die Arbeitnehmer lehnen ein solches Management per Ansage ab und pochen auf einvernehmliche Lösungen – und das durchaus in einem bestimmten Tonfall. 

    Die „Oli“-Euphorie kennt also Grenzen. Betriebsrätinnen und Betriebsräte haben nicht, wie es zunächst schien, aus Freude darüber, Diess endlich los zu sein, Kreide gefressen. Doch nach wie vor erkennen sie an, dass der neue Chef sie bei heiklen Themen wie der aktuellen Planungsrunde von Anfang an einbezieht und man sich auf seinen Handschlag verlassen könne. Hier geht es darum, welche Autos künftig in den Werken des Konzerns produziert werden. Das ist für Betriebsräte ein entscheidendes Thema, schließlich handelt es sich um ihre Königsdisziplin, die Absicherung von Arbeitsplätzen. Wie sich recherchieren lässt, steht noch nicht endgültig fest, in welcher Weise die Produktion in den Werken, also auch bei Audi in Ingolstadt oder Neckarsulm, künftig ausgelastet wird. Die Gespräche seien zwar weit fortgeschritten, es müsse aber noch ein Haken dran. 

    Volkswagen investiert 180 Milliarden Euro

    Blume ist ein Haken-Dransetzer. Erst dann nennt er in der Öffentlichkeit Details. So lässt sich hinter den Kulissen erfahren, dass noch nicht feststehe, ob in der Nähe des VW-Stammsitzes in Wolfsburg für das neue Elektroauto Trinity ein neues Werk, eine Art Giga-Fabrik nach Tesla-Vorbild, gebaut werde, oder doch der alte Groß-Standort für die Produktion des Stromers umgerüstet wird. In diesem Jahr muss eine Entscheidung fallen. Klar ist indes, dass der VW-Konzern zwischen 2023 und 2027 die gigantische Summe von 180 Milliarden Euro investiert – und das zu mehr als zwei Dritteln in Elektrifizierung und Digitalisierung. Für die Pläne sollte das „solide“ operative Ergebnis aus 2022 von 22,5 Milliarden Euro, ein Plus um 13 Prozent gegenüber dem Vorjahr, Unterstützung geben.

    Blume ist „zuversichtlich“ für dieses Jahr, stellt aber klar: „Für neuen Glanz bedarf es einer Renovierung.“ Der größte Sanierungsbedarf besteht nach vielen nicht gehaltenen Versprechungen in der Vergangenheit sicher im IT-Bereich. Der VW-Chef hält zwar grundsätzlich an einer einheitlichen Software-Plattform fest, will aber auch den Rat anderer Anbieter hinzuziehen. Das klingt nach einer pragmatischen Strategie und nicht nach zu kühnen Visionen. 

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