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Auto-Industrie: Im Diesel-Skandal droht Volkswagen jetzt eine neue Klage-Welle

Auto-Industrie

Im Diesel-Skandal droht Volkswagen jetzt eine neue Klage-Welle

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    Das Volkswagen-Logo auf dem Werksgelände in Wolfsburg. Der Diesel-Skandal ist für den Konzern noch lange nicht ausgestanden.
    Das Volkswagen-Logo auf dem Werksgelände in Wolfsburg. Der Diesel-Skandal ist für den Konzern noch lange nicht ausgestanden. Foto: Christophe Gateau, dpa

    Auf deutsche Autohersteller wie VV, Audi, Porsche und Mercedes, die Abgas-Werte von Diesel-Autos manipuliert haben, kommen harte Zeiten zu. Christian Grotz, Rechtsanwalt und Geschäftsführer der Kanzlei Dr. Stoll und Sauer, wirkt zuversichtlich für die vielen noch anstehenden Schadenersatz-Prozesse. Unserer Redaktion sagte er: "Die Erfolgsaussichten der Geschädigten haben sich dramatisch verbessert." Die Gesellschafter der Kanzlei führten bereits die Musterfeststellungsklage gegen die Volkswagen AG und handelten für 260.000 Betroffene einen Vergleich über 830 Millionen Euro aus. Aktuell gehen sie in gleicher Weise gegen die Mercedes-Benz Group vor. 

    Was stimmt Grotz derart optimistisch? Der Rechtsanwalt spürt durch die höchstrichterliche Rechtsprechung enormen Rückendwind für Käufer von Diesel-Autos, deren Stickoxid-Werte durch technische Einrichtungen geschönt wurden. So hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) verbraucherfreundlich entschieden und damit nach Lesart der Kanzlei "Diesel-Klagen erleichtert". Der entscheidende Punkt ist: Nach den EuGH-Urteilen reicht es für Verbraucherinnen und Verbraucher nachzuweisen, dass Hersteller fahrlässig gehandelt haben. Es muss also nicht mehr bewiesen werden, dass Auto-Konzerne wie etwa Volkswagen vorsätzlich gehandelt haben.

    Diese juristische Kehrtwende gilt als Meilenstein in der Geschichte der Diesel-Prozesse. Nach Darstellung der Kanzlei Dr. Stoll & Partner, die ihren Hauptsitz in Lahr im Schwarzwald hat, lässt sich das EuGH-Urteil, das in einem Mercedes-Verfahren erfolgt ist, auf alle Hersteller übertragen, die illegale Abschalteinrichtungen verwenden. Dazu zählten auch Thermofenster. Hier wird die Abgasreinigung heruntergedimmt oder vollständig ausgeschaltet, wenn eine bestimmte Temperatur erreicht ist. In solchen Fahrzeugen ist zwar nicht die durch VW und Audi bekannt gewordene Betrugs-Software verbaut, aber auch mit Thermo-Fenstern lassen sich Abgaswerte beschönigen und damit die Gesundheit der Menschen schädigen.

    Wichtige Entscheidung des Bundesgerichtshofs

    Nun wird es spannend: Denn am Montag, also dem 26. Juni, wird der Bundesgerichtshof, der sich lange die Diesel-Karten gelegt hat, darlegen, wie er mit der neuen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs umgeht. Bei der Verhandlung am 8. Mai konnten die Beobachter von Dr. Stoll & Sauer den Eindruck gewinnen, dass auch der BGH Besitzern von Dieselfahrzeugen, die mit illegalen Abschalteinrichtungen versehen wurden, grundsätzlich Schadenersatz zubilligen wird. Grotz ist sich sicher: "Der Bundesgerichtshof wird seine bislang industriefreundliche Rechtsprechung überdenken. Die Formel könnte künftig lauten: illegale Abgasmanipulation = Schadenersatz." Damit würde es auch aus Sicht des BGH genügen, den Herstellern nachzuweisen, dass sie in ihren Diesel-Autos auf fahrlässige Weise unzulässige Abschalteinrichtungen versteckt haben. Wer also einen manipulierten Wagen erworben hat, würde entschädigt, unabhängig davon, ob die Käufer bereits einen Rückruf für das Fahrzeug erhalten haben oder nicht. 

    Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist auch deshalb so interessant, weil sich knapp acht Jahre nach Auffliegen des Diesel-Skandals noch etwa 2100 Verfahren am Bundesgerichtshof und fast 100.000 Klagen an unteren Instanzen mit Schadenersatzklagen gegen Autohersteller beschäftigen. Noch ist unklar, wie nach der zu erwartenden neuen Rechtsprechung des BGH der Schaden berechnet wird. Es könnte auf die Wertdifferenz zwischen einem funktionsfähigen Auto ohne Abschalteinrichtung und dem wirklich gekauften und manipulierten Auto hinauslaufen. 

    Dass gerade auf Volkswagen eine neue Klagewelle zurollen könnte, geht nicht nur auf die neue Schadenersatz-Rechtsprechung der höchsten Gerichte zurück. Hier spielt auch der Münchner Audi-Prozess eine entscheidende Rolle. Nachdem der frühere Firmen-Chef Rupert Stadler und Wolfgang Hatz, der einstige Porsche-Vorstand und Chef-Motorenentwickler von Audi, Geständnisse abgelegt haben, sieht Grotz auch Auswirkungen auf das Verfahren gegen den einstigen VW-Chef Martin Winterkorn vor dem Landgericht in Braunschweig: "Immer mehr Menschen aus dem Umfeld von Winterkorn sind geständig. Die Schlinge zieht sich langsam zu." Das Leugnen vor Gericht habe nun ein Ende. Der Jurist glaubt auch wegen der Geständnisse: "Die Chancen der Diesel-Kläger auf Schadenersatz sind enorm gestiegen." 

    Wertvolle Geständnisse von Stadler und Hatz

    Der Hintergrund für diese Einschätzung ist interessant: Stadler war einst auch Mitglied des Volkswagen-Vorstands. Er ist der erste Vertreter aus der für den ganzen Konzern verantwortlichen Runde, der die Jahre des vorsätzlichen Leugnens beendet hat, nachdem der Lockruf von Richter Stefan Weickert bei ihm verfing. Der Manager soll nach seinem Geständnis bekanntlich mit einer Bewährungsstrafe davonkommen. Für Rechtsanwalt Grotz ist durch Stadlers Geständnis "der Beweis für das betrügerische und sittenwidrige Handeln der Verantwortlichen erbracht". Das werde Auswirkungen auf die laufenden Verfahren gegen Audi haben. Allein die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer hat noch 1000 Verfahren gegen Audi anhängig. 

    Er hat für Audi, VW und Porsche in führenden Funktionen gearbeitet. Das Geständnis von Wolfgang Hatz im Audi-Prozess könnte dem Konzern noch teuer zu stehen kommen.
    Er hat für Audi, VW und Porsche in führenden Funktionen gearbeitet. Das Geständnis von Wolfgang Hatz im Audi-Prozess könnte dem Konzern noch teuer zu stehen kommen. Foto: Sven Hoppe, dpa

    Wahrscheinlich ist das Geständnis von Hatz noch wertvoller als die Stadler-Beichte. Denn der technisch versierte Manager war nicht nur bei Audi, sondern auch bei Porsche tätig. Grotz erinnert daran: "Porsche ist bisher glimpflich im Abgas-Skandal davongekommen." Denn vor Gericht hätte der Autobauer stets darauf verwiesen, dass die entsprechenden Motoren von Audi geliefert worden waren und Porsche darüber keine Kenntnisse habe.

    Grotz stellt nun fest: "Doch jetzt ist plötzlich der ehemalige Porsche-Vorstand Hatz geständig." Die bittere Ironie für den Sportwagenbauer ist also: Weil Hatz eingeräumt hat, von den Abgas-Manipulationen gewusst zu haben, muss Porsche wohl doch noch finanziell bluten. Dass Richter Weickert Stadler und Hatz mit seiner Strategie in dem Strafprozess auf den Pfad der Wahrheit führte, müsste daher enorme Auswirkungen auf viele Diesel-Zivilprozesse haben. 

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