Vielleicht war das Jahr 1984 ein Fingerzeig für die weitere Geschichte des Augsburger Automatisierungsspezialisten Kuka. Damals stellte das Unternehmen in China auf einem kleinen Messestand seine Roboter aus. Die Resonanz fiel enorm aus. "Die waren alle ganz begeistert von unseren Robotern", erinnert sich Gerhard Wiedemann. Der viele Jahre später zum Kuka-Chef aufsteigende Manager erlebte damals besondere Tage in China: Interessenten wollten die Hightech-Geräte aus Deutschland kaufen, doch sie waren viel zu teuer für sie. Frustriert zogen die Männer wieder ab.
Dann klopfte es nachts an Wiedemanns Hotelzimmer: "Plötzlich stand da eine ganze chinesische Delegation vor mir im Schlafanzug und erklärten mir, sie hätten noch ein paar tausend Mark aufgetrieben. Doch es hat immer noch nicht gereicht." Die von der Technik faszinierten Asiaten ließen sich nicht entmutigen. Ein halbes Jahr später reisen sie nach Augsburg an und schaffen es, den ersten Kuka-Roboter nach China zu holen. Schließlich errichtet Kuka 1994 eine erste Niederlassung in China und kooperiert mit dem Autobauer Dongfeng. Die Geschichte ist im Buch nachzulesen, das zum 125-jährigen Firmenjubiläum erscheint. Kuka feiert das Jubiläum in diesem Jahr.
Dass sich Chinesen früh zu Kuka-Produkten hingezogen fühlten und sie sich im Schlafanzug sichern wollten, sollte Jahrzehnte später ab dem Jahr 2015 zu einer perfekt vorbereiteten asiatischen Attacke auf das Augsburger Unternehmen führen. Wie aus dem Nichts heraus kaufte der chinesische Haushaltsgerätehersteller Midea ein ums andere Mal Aktien, um schließlich den Anteilseignern ein so großzügiges Angebot von 115 Euro je Wertpapier zu unterbreiten, dem kaum einer widerstehen konnte. Am Ende sicherte sich der Hersteller von Klimaanlagen und Kühlschränken knapp 95 Prozent an der deutschen Technologie-Perle. Alle politischen und journalistischen Appelle an die heimischen Kuka-Großaktionäre wie Voith und die Loh-Gruppe liefen ins Leere. Bei 115 Euro, einem Betrag weit über dem Börsenkurs, verstummte jeder Industrie-Patriotismus in Rekordgeschwindigkeit.
Bundesregierung winkte Kuka-Übernahme durch Midea durch
Am Ende wurde die Übernahme von der Bundesregierung trotz aller Bedenken genehmigt. Der Katzenjammer war zunächst groß. Letztlich sollten die Chinesen die restlichen Aktionärinnen und Aktionäre aus dem Unternehmen drängen. Kuka gehört ihnen jetzt ganz, nachdem alles Flehen um den Einstieg europäischer Milliardäre nicht gefruchtet hatte. Im Zuge der Übernahme musste "Mister Kuka", wie der frühere Chef Till Reuter genannt wurde, gehen. Da halfen dem lange erfolgreichen Manager alle strahlenden Momente wie der gemeinsame Besuch der früheren Kanzlerin Angela Merkel mit dem einstigen amerikanischen Präsidenten Barack Obama auf dem Stand der Augsburger auf der Hannover Messe nichts. Eines der deutschen Vorzeige-Unternehmen war in chinesische Hände gefallen. Dieses Mal hatten die Asiaten mehr als genug Geld und mussten es nicht wie in den 80er Jahren mühsam für den Kauf eines ersten Kuka-Roboters zusammenkratzen. Die Geschichte steht sinnbildhaft für den Aufstieg Chinas zur heute nach den USA zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt.
Es wäre nicht verwunderlich, wenn ein derart einschneidender Eigentümerwechsel die Motivation der Beschäftigten in den Keller rauschen lässt und in der Folge massiv auf den Gewinn drückt. Zunächst setzte die Übernahme durch die Chinesen den Kukanerinnen und Kukanern, wie sich die Mitarbeiter von jeher selbstbewusst nennen, mental mächtig zu. Sie spürten, dass die Midea-Leute zunehmend Einfluss nehmen. Erst musste Reuter gehen, dann erwischte es den beliebten Finanzvorstand Andreas Pabst. Nachdem der lange verlässlich blasende konjunkturelle Rückenwind in sich zusammengebrochen und Kuka in eine Krise abgedriftet war, wurden die stark auf Gewinn fixierten chinesischen Eigentümer ungeduldig und traten fordernder auf. Doch ihnen ist bewusst, dass Kuka keine normale Firma, sondern ein Politikum ist, sozusagen ein Gradmesser für das Gelingen oder Scheitern deutsch-chinesischer Zusammenarbeit.
Kuka-Chef Mohnen führt das Unternehmen zu Rekorden
Am Ende gelang es dem Reuter-Nachfolger Peter Mohnen mit ruhiger, aber doch beständiger Hand das Unternehmen in Problemzonen zu sanieren und wieder aus den roten Zahlen herauszuführen. Inzwischen steht Kuka besser denn je da und steuert mit einem Rekordauftragseingang auf den besten Umsatzwert in der Geschichte zu. Mohnen sagt aus Auslass des Jubiläums gegenüber unserer Redaktion: "Die beste Zeit für die Automatisierung beginnt jetzt. Wir ernten mit unserem großartigen Team die Früchte der Arbeit." Was Kuka für den Manager auszeichnet, "ist die Offenheit für Innovationen, diese Change-Mentalität". Kukanerinnen und Kukaner würden neue Geschäftsbereiche eben mit einem langen Atem angehen. Zur Erinnerung: Auch die Robotik war mal ein Start-up-Unternehmen in der Kuka-Welt. Es dauerte länger, ehe größere Aufträge hereinkamen. Mohnen ist überzeugt: "Man muss als Unternehmen auch Glück haben, um sich mit neuen Ideen wie einst der Robotik durchzusetzen." Und die Zukunft hat für Kuka schon begonnen. Der Konzern-Chef verweist hier auf den Baubereich als neues Geschäftsfeld für Kuka:. "Das läuft immer besser. Mit unseren Anlagen können Module für den Hausbau automatisiert produziert werden."
So sind längst wieder Ruhe und Stabilität in das Unternehmen eingekehrt. Wer mit Beschäftigten spricht, kann den Eindruck gewinnen: Der Kuka-Spirit, wie viele die Einstellung der Mitarbeiter zu ihrer Arbeit nennen, ist zurück. Der langjährige Betriebsratsvorsitzende Armin Kolb beschreibt die besondere Mentalität vieler für das Unternehmen arbeitenden Frauen und Männer so: "Die große Stärke war, dass wir es geschafft haben, uns immer wieder neu zu erfinden, wenn es auf dem Markt mal schwierig wurde."
Die Unternehmensgründer Johann Josef Keller und Jakob Knappich bauten zu Beginn ihrer Karriere auf Acetylen, ein Gas, das etwa zur Straßenbeleuchtung diente. Anfangs waren 30 Beschäftigte für das Unternehmen tätig, heute sind es weltweit rund 15.000. Die Unternehmensgründer waren so clever, nicht allein darauf zu vertrauen, für kleinere und mittelgroße Städte die Straßenbeleuchtung aufzubauen. So setzen sie auch auf die Schweißtechnik, in der Acetylen gebraucht wird.
Die Zeiten wurden kriegerischer und Kuka sollte im Ersten Weltkrieg Geschosshülsen sowie Hülsen für Minen und Granaten, aber auch Krankentragen und Komponenten für Nachrichtengeräte herstellen. Kuka war ein Profiteur des Krieges, erweiterte die Produktion und stockte das Personal auf 400 Leute auf. Nach Ende des Krieges nahm die nächste Neuerfindungsschleife ihren Ausgang: Das Unternehmen stellt neben Schweißapparaten Hand- und Kraftwinden, Lastenaufzüge, die bis zu zehn Tonnen schultern, Einspannvorrichtungen für Bohrmaschinen sowie Drehbänke her. Schließlich gründen Keller und Knappich die "Bayerische Kesselwagen GmbH". So produziert die Firma unter anderem Aufbauten für Straßenreinigungsfahrzeuge. Am Ende arbeitete Kuka hier mit Mercedes-Benz zusammen: Die Augsburger liefern die Aufbauten, die Fahrgestelle kommen von den Stuttgartern. In den 30er Jahren sammeln Kuka-Müllwagen Abfall in London, Paris, Budapest, Rom oder Buenos Aires auf. Bis heute steht das Kürzel "Kuka" in Ungarn für eine Abfalltonne und in Tschechien für einen Müllwagen. Der Clou an der Augsburger Technik ist: Dank Drehtrommeln müssen die Fahrzeuge bei der Be- und Entladung nicht gekippt werden.
Aller Innovationsgeist, der sich wie ein roter Faden durch die Kuka-Geschichte zieht, nutzte nichts: Im Zuge der Wirtschaftskrise brachen die Aufträge für Müllwagen weg: Nur knapp entging die Firma 1930 der Pleite. Wie im Ersten sollte es für Kuka auch im Zweiten Weltkrieg als Lieferant für Rüstungsgüter aufwärtsgehen. Die Zeit nach der Machtergreifung der Nazis ist sicher das schwärzeste Kapitel in der Unternehmensgeschichte. Es wird in dem Jubiläumsband schonungslos aufgearbeitet. Kuka steigt zu den großen Rüstungsunternehmen Deutschlands auf, beliefert etwa den einstigen Flugzeugbauer Messerschmitt in Augsburg und setzt letztlich auch in hohem Maße Zwangsarbeiter ein.
Im Guten wie im Schlechten spiegelt das Unternehmen die deutsche Geschichte wider. Nach dem Zusammenbruch des Nazi-Regimes stellt die Firma Bügeleisen, Schubkarren, Gartengeräte und schließlich Rundstrick-Maschinen her. Hinzu kommt die Augsburger Prinzessin, eine schicke, kleine Schreibmaschine, die in die Aktentasche passt. Die "Princess" wird zur meistverkauften Flach-Schreibmaschine der Bundesrepublik. Trotz aller Erfolge gerät Kuka wegen hoher Investitionskosten wieder in Schieflage. Der Industrielle Günther Quandt steigt ein, dessen Nachfahren bis heute Großaktionäre bei BMW sind. Der Schweißanlagenbau wird ausgebaut und Kuka startet wieder die militärische Fertigung. Das Unternehmen baut etwa Schützentürme für den Panzer Marder, steigt aber 1999 wieder aus dem Rüstungsgeschäft aus. In Erinnerung ist manchen Kukanern der Besuch der CSU-Legende Franz Josef Strauß in Augsburg geblieben, wollte er sich doch unbedingt in einen Panzer setzen, kam aber erst nicht rein, zu eng war der Platz für ihn.
Kuka präsentierte 1973 den ersten Roboter
Am Ende sollte Kuka sich auch vom Schreibmaschinen- und Müllwagengeschäft trennen. Wiederum häutete sich der Maschinenbauer und präsentierte 1973 den ersten Roboter, der "Famulus" heißt. Es war ein langer Weg, bis sich Kuka-Roboter in der Industrie durchsetzten und sogar in einem James-Bond-Film eine tragende Rolle spielten. Anlagenbau und Robotik sind bis heute die beiden Säulen des Unternehmens. Und es sind treue Beschäftigte, die ihren Kuka-Spirit auch nach Übernahme des Unternehmens durch die Chinesen bewahrt haben. Das zeigt ein Treffen mit einer Kuka-Familie: Leo Forstner ist 84 Jahre alt, was man dem Mann mit dem vollen Haar nicht ansieht. Er hat 48 Jahre für Kuka seit der Lehre als Werkzeugmacher gearbeitet. Den größten Teil seiner Laufbahn war der Mann aus Gersthofen bei Augsburg in der Wehrtechnik-Sparte tätig und baute etwa an Panzertürmen mit.
Der Kukaner erzählt von der früheren Panzer-Teststrecke, wo heute ein Parkhaus für Kuka-Mitarbeiter steht, und von dem Schießkanal, auf dessen Platz längst die Kinderkrippe des Vereins OrangeCare untergekommen ist. Zum Teil wurden von dem Unternehmen alte Marder-Panzer, aber auch US-Mannschaft-Transportwagen auseinandergebaut, instand gesetzt, frisch lackiert und getestet. Zu Spitzenzeiten waren rund 900 Beschäftigte für die Kuka-Wehrtechnik aktiv. Forstner berichtet, wie in Augsburg der Kampfpanzer 70 mitentwickelt wurde, auf dessen Basis später der bekannte Leopard 2 entstand. Er schwärmt von dem "tollen Zusammenhalt", der über die Jahrzehnte zwischen den Kollegen geherrscht habe: "Wenn’s galt, standen wir immer zusammen", versichert Forstner, der sich auch heute mehrfach im Jahr mit früheren Kollegen zum Frühstück trifft.
Forstners Sohn Thomas ist 1985 bei Kuka eingestiegen und hat wie sein Vater eine Werkzeugmacherlehre absolviert. Er ist für das Unternehmen um die Welt gereist, um "auf Baustellen" mit Kollegen Anlagen und Roboter vor allem für die Autoindustrie aufzubauen. Das Kuka-Geschäft ist aus seiner Sicht von der Devise geprägt: "Entweder du gehst mit der Zeit, oder du gehst mit der Zeit, bist also weg vom Fenster." Thomas Forstner, 53, hat Karriere im Anlagenbau gemacht und leitet dort die Montage-Abteilung mit rund 120 Beschäftigten. In seinem Bereich ist die durchschnittliche Firmenzugehörigkeit mit fast 25 Jahren hoch. Er war 20 Jahre auf Montage als Baustellenleiter unterwegs. Seine Tochter Laura, 19, die derzeit eine Ausbildung bei Kuka zur Mechatronikerin macht, war drei Jahre in den USA mit ihren Eltern dabei und ist dort in den Kindergarten gegangen. Die Frau hat sich nach der Schule bei mehreren Unternehmen umgeschaut und sich für Kuka entschieden. Dass ihr Vater für Kuka um die Welt getingelt ist, ob nach Indien, China oder Amerika, hat sie nicht abgeschreckt. Und wie sieht die Kuka-Familie die Übernahme des Unternehmens durch die Chinesen? Thomas Forstner beteuert: "Bis jetzt konnte ich keine Nachteile durch den Einstieg von Midea feststellen. Mir ist ein chinesischer Investor lieber als eine Heuschrecke aus der Finanzwelt, denn Chinesen investieren langfristig."
So ein Prachtexemplar einer amerikanischen "Heuschrecke" hat die Manager der einstigen Karlsruher Kuka-Muttergesellschaft IWKA zur Weißglut getrieben: Der Firmen-Jäger Guy Wyser-Pratte (Wahlspruch: "Riecht ihr das Napalm?") wurde mit der Zeit indes ein verlässlicher Kukaner, so sehr fühlte er sich in Reihen des Roboterbauers wohl und blieb länger Anteilseigner, als er das vorhatte und es einer "Heuschrecke" gut zu Gesicht steht. Am Ende ging er doch von Bord, nicht ohne ein Pferd seiner Frau "Kuka" genannt zu haben. Vergleichbares ist von den chinesischen Investoren noch nicht überliefert.