Wenn Unternehmen ein Produkt auslaufen lassen, Arbeitsplätze abbauen wollen und nicht ausschließen, einen Betriebsteil stillzulegen, schlägt die Stunde der Management-Prosa. Da ist von einer Fokussierung auf Kernkompetenzen, einer beschleunigten Transformation oder der Durchführung von Maßnahmen zur Sicherstellung der Zukunftsfähigkeit die Rede. Es darf ruhig maximal abstrakt sein, um die möglichen konkreten Folgen solcher Schritte, also Stellenverluste nicht allzu sehr in den Vordergrund zu rücken. Manager und Juristen geben alles. So lautet die Überschrift über eine aktuelle Mitteilung der Marke mit den vier Ringen: „Audi formuliert Intention zur Umstrukturierung des Standortes Brüssel.“
Was verbirgt sich hinter dem sperrigen Satz? Auf Deutsch heißt das zunächst mal: Der Ingolstädter Autobauer hat die Intension, beabsichtigt also, das Werk umzubauen. In der Fabrik mit gut 3000 Beschäftigten werden die elektrischen Oberklasse-Fahrzeuge Q8-e-tron und Q8 Sportback e-tron gebaut. Die Nachfrage nach solchen Modellen ist jedoch rückläufig. Das räumt Audi ein, ohne auf Nachfrage exakte Zahlen für den Fertigungs-Einbruch in Brüssel zu nennen. Im vergangenen Jahr wurden in dem vergleichsweise kleinen Fahrzeug-Werk 53.555 rein elektrische Autos gefertigt. In Ingolstadt arbeiten rund 40.000 Menschen für Audi.
Audi-Führung sind die Hände in Belgien gebunden
Dass es im Brüsseler Werk kriselte, ist seit Monaten bekannt. Audi will nun „das Produktionsende am Standort Brüssel vorziehen“. Die Fertigung soll eingestellt werden. Wie die weitere Zukunft der Fabrik aussieht, ist offen. Der Standort Ingolstadt sei von diesen Plänen nicht betroffen, heißt es seitens des Unternehmens. Dort sei die Nachfrage nach E-Autos im Gegensatz zum Brüsseler Werk „robust“. In Belgien sind der Audi-Führung nach Informationen unserer Redaktion die Hände gebunden, gibt es doch dort ein im internationalen Vergleich sehr strenges Regelwerk, wie solche Gespräche zwischen Unternehmensleitung und Arbeitnehmervertretern abzulaufen haben. So werden sich die Beratungen wohl über Monate hinweg in die Länge ziehen.
Beschäftigten-Vertreter, die nicht namentlich genannt werden wollen, verweisen darauf, dass seit Ende der 90er-Jahre in Belgien komplizierte gesetzliche Bestimmungen gelten, wenn ein Produktionsstandort auf der Kippe steht. Das eröffnete der Arbeitnehmerseite reichlich Möglichkeiten, eine Schließung zu verhindern oder die Folgen des Umbaus für die Arbeitnehmer abzumildern. Ein Gewerkschafter sagt: „Einfach dichtmachen ist also nicht für die Arbeitgeberseite.“ Stattdessen müssten alle realistischen Alternativen detailliert geprüft und alle Informationsbedürfnisse der Beschäftigtenseite befriedigt werden.
Den Audi-Verantwortlichen steht ein belgischer Marathon bevor. Diese weitreichenden Rechte für Beschäftigte sind das Resultat der Turbulenzen im Zuge der überraschenden Schließung des Renault-Werkes im belgischen Vilvorde im Jahr 1997. Deshalb wurde das Regelwerk für mögliche Werksschließungen auf den Namen „Renault-Gesetz“ getauft. Manche sprechen auch vom „Renault-Verfahren“. Wer sich die Prozedur auf einer Internetseite der belgischen Gewerkschaft CSC durchliest, versteht vor allem eines: Eine Betriebsschließung und damit am Ende die kollektive Entlassung der Beschäftigten ist schwer.
Audi-Verantwortliche suchen das Gespräch
Die Audi-Verantwortlichen suchen zunächst das Gespräch mit den Beschäftigten-Repräsentanten – und das ergebnisoffen. Nach dem Renault-Verfahren müssen mit den Sozialpartnern Lösungen für den Standort besprochen werden. Dazu könne auch eine Einstellung des Betriebs gehören, teilte Audi mit. Doch es sind andere Regelungen denkbar, heißt es in Branchenkreisen. Statt in Brüssel Autos zu produzieren, könnte dort eine Batterie- oder Komponentenfertigung aufgezogen werden. Das würde sicher auf einen Arbeitsplatzabbau unbekannter Größe hinauslaufen. Der Standort Brüssel macht den Audi-Mächtigen schon länger Sorgen, sind die Produktionskosten dort im Vergleich zu anderen Werken hoch, vor allem weil sich die Anordnung der stadtnahen Fabrik kaum verändern lässt. Der Logistikaufwand ist also hoch.
Jetzt kommt es auch auf die politisch Verantwortlichen in Belgien an, wie es mit der Audi-Fabrik weitergeht. Vielleicht gibt es staatliche Zuschüsse für einen Umbau des Werks? Das würde es dem deutschen Unternehmen erleichtern, an dem Standort trotz aller Nachteile festzuhalten. Sollte sich indes im Zuge der Verhandlungen herausstellen, dass im großen Umfang Arbeitsplätze abgebaut werden, am Ende sogar die Schließung der Fabrik nicht mehr abzuwenden ist, muss sich Audi mit den kampfeslustigen Belgiern anlegen. Das ist kein Spaß, sind die Gewerkschaften des Landes doch außerordentlich streikfreudig und liegen nach einer weltweiten Rangliste der Hans-Böckler-Stiftung vor Frankreich, Dänemark und Kanada auf Platz eins.
Belgier wissen, wie sich Konflikte eskalieren lassen, zündeten doch Bauern des Landes im Februar aus Protest gegen die Agrarpolitik Reifen an und feuerten Raketen auf Polizisten ab. Und frustrierte Ford-Beschäftigte, die ihren Arbeitsplatz in einer belgischen Fabrik verlieren, verbrannten aus Wut eine frisch produzierte Karosserie eines Autos des Unternehmens. Das sind die belgischen Verhältnisse. Bisher scheint in Sachen Audi noch alles friedlich zu bleiben, stehen die Gespräche doch erst am Anfang. Die Arbeitnehmerseite bringt sich friedlich in Position. Beim Treffen des VW-Weltkonzernbetriebsrates im Juni in Wolfsburg überreichten die Betriebsräte eine Solidaritätserklärung an den Konzernvorstand. Darin steht: „Wir werden keinen Maßnahmen zustimmen, die den Erhalt des Standortes gefährden.“ Und Rita Beck, Sprecherin des Audi-Ausschusses im europäischen VW-Konzernbetriebsrat, stellte klar: „Die Audi-Unternehmensleitung muss Verantwortung für den Standort übernehmen.“ Das Werk in Brüssel hat eine lange deutsche Geschichte: Hier liefen unter anderem die VW-Modelle Käfer, Passat oder Golf vom Band. Dann übernahm 2007 Audi das Werk, dessen Zukunft gefährdet ist.
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