Welchen Anteil hatte Atomstrom zuletzt noch an der Stromversorgung?
Nachdem in den vergangenen Jahren bereits Kernkraftwerke vom Netz gegangen sind, war der Anteil der letzten drei AKW überschaubar. Isar 2, Neckarwestheim und das AKW Emsland trugen 2022 noch 6,7 Prozent zur öffentlichen Stromerzeugung bei, das zeigen die Daten von Professor Bruno Burger vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme. Im ersten Quartal 2023 waren es nur noch 4,5 Prozent.
Wie kritisch wird es für die Versorgungssicherheit, wenn am Samstag die letzten drei Meiler vom Netz gehen?
Die deutschen Übertragungsnetzbetreiber - darunter Tennet und Amprion - gehen davon aus, dass die Abschaltung von Isar 2 und der anderen beiden AKW am Samstag keine Auswirkungen auf die Versorgung mit Strom hat.
"Tennet konnte sich seit mehr als zehn Jahren auf die Abschaltung vorbereiten und ist netztechnisch mit Blick auf die Abschaltungen der Kernkraftwerke gut aufgestellt", teilt der Netzbetreiber mit, in dessen Gebiet Isar 2 liegt.
Wie werden die drei letzten Kernkraftwerke ersetzt? Wo kommt der Strom in Zukunft her?
Fachleute gehen davon aus, dass auch nach dem Abschalten der Kernkraftwerke die Versorgung gesichert ist. Deutschland hat in der Energiekrise durch den Ukraine-Krieg Steinkohlekraftwerken reaktiviert. Mittelfristig setzt die Bundesregierung auf den starken Ausbau der Windkraft und Photovoltaik. Fehlen Wind und Sonne, sollen wasserstoffbetriebene Gaskraftwerke einspringen.
Denn aus der derzeit noch sehr bedeutenden Kohlekraft will das Land ebenfalls bis 2038 aussteigen. Das Problem: Gaskraftwerke gibt es derzeit noch nicht in ausreichender Zahl. Es fehlten die Investitionsanreize, diese zu bauen, bemängelt der Branchenverband Zukunft Gas.
Die Reserve-Kohlekraftwerke sollen bereits 2024 wieder vom Netz gehen.
Importieren wir in Zukunft nicht einfach Atomstrom aus Frankreich und Tschechien?
Bisher war das Gegenteil der Fall. Unter dem Strich war Deutschland 2022 ein Exportland für Strom, berichtet Burger. Es hat mehr erzeugt, als es selbst verbraucht hat. Frankreich und Tschechien bezogen mehr Strom aus Deutschland, als sie lieferten. Nach Frankreich wurden im Saldo 15,3 Terawattstunden geliefert, nach Tschechien 1,6 Terawattstunden. Aus Dänemark, Norwegen und Schweden gab es Importe. An der Rolle von Deutschland als Nettoexportland dürfte sich auch mit dem Atom-Ausstieg nicht sehr viel ändern.
Strom aus Wind und Sonne schwankt. Fehlt jetzt nicht die unverzichtbare Grundlast, also der Strombedarf, den das Land immer hat?
Atomkraftwerke produzieren rund um die Uhr eine konstante Menge an Strom. Damit sind sie geeignet, einen großen Teil der Grundlast abzudecken, also des Strombedarfs, der unabhängig von der Tageszeit anfällt. Je stärker Windkraft und Photovoltaik werden, desto mehr ändert sich diese Logik, erklärt Professorin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Da Sonne und Wind schwanken, sind flexible Kraftwerke nötig, die den fehlenden Strombedarf bereitstellen können, die sogenannte Residuallast. "Atomkraftwerke sind behäbig und deshalb ungeeignet, kurzfristige Schwankungen auszugleichen", sagt sie. Möglich sei die Absicherung gegen eine Dunkelflaute - sonnenarme, windstille Zeiten - durch Wasserkraft, Biomasse, Geothermie und flexible Gaskraftwerke, die eines Tages mit grünem Wasserstoff betrieben werden sollen.
Wird die Lage ohne die Atomkraft im kommenden Winter besonders schwierig?
Für sich alleine habe Deutschland im kommenden Winter genügend Kraftwerkskapazitäten, sagt Burger. Das Problem ist vor allem das Nachbarland Frankreich, wo sich viele Kernkraftwerke in Revision befinden. "Ob im nächsten Winter eine schwierige Zeit droht, hängt hauptsächlich am Wetter und an der Verfügbarkeit der französischen Kernkraftwerke", sagt er. "Da sieht es leider nicht gut aus. Die Strommärkte gehen davon aus, dass Strom in Frankreich auch im nächsten Winter knapp sein wird. Dann muss Deutschland wieder aushelfen. Eine Winterstromlücke gibt es auch in Österreich und in der Schweiz."
Wird Strom nun teurer?
"Strom wird zunächst nicht mehr so günstig werden, wie er vor dem Krieg in der Ukraine war, da das billige russische Erdgas fehlt", sagt Burger. Zu dem Problem für die deutsche Energiewende wird das teure Gas: "Gas aus Norwegen oder als LNG ist teurer und verteuert damit auch die Strompreise." Derzeit lägen die Strompreise auf dem Niveau von August und September 2021. Strom für die Lieferung im kommenden Winter werde derzeit für 150 Euro pro Megawattstunde gehandelt, das sei um den Faktor 1,5 höher als heute, aber nur ein Drittel des Höchstpreises aus dem August 2022.
Welche Unfälle gab es mit der Atomenergie?
Die Nutzung der Atomenergie war von Unglücken überschattet, unter anderem in Sellafield, Großbritannien (1957, Reaktorkern in Flammen), Majak, Sowjetunion (1957, Explosion radioaktiver Abfälle), Three Mile Island/Harrisburg, USA (1979, Explosion). In Gundremmingen erlitt 1977 Reaktor A nach einem Kurzschluss einen Totalschaden. Die Atomkatastrophen in Tschernobyl, Sowjetunion (1986) und Fukushima, Japan (2011) bestärkten die Anti-Atom-Bewegung in Deutschland.
Was sind die Hinterlassenschaften des deutschen Atomzeitalters und wie gehen wir damit um?
In Deutschland lagern rund 1900 Castor-Behälter mit hoch radioaktiven Abfällen. Dass bis 2031 ein Endlagerstandort gefunden wird, ist inzwischen unrealistisch. Die Inbetriebnahme des Endlagers um das Jahr 2050 dürfte damit ebenfalls nicht funktionieren. Dazu kommen nach Angaben des Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung 120.000 Kubikmeter an schwach und mittel radioaktiven Abfällen in Zwischenlagern. Der Rückbau eines Kernkraftwerks dauert über 10 Jahre, die Kosten bewegen sich über einer Milliarde Euro pro Meiler.
Hören Sie sich dazu auch unsere Podcast-Serie "Gespalten – Gundremmingen und das Ende der Atomkraft" an.