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Atomkraft: Ein Endlager in Bayern? So läuft die Suche nach einem Ort für den Atommüll

Atomkraft

Ein Endlager in Bayern? So läuft die Suche nach einem Ort für den Atommüll

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    So sehen die zu verräumenden Behälter mit hoch radioaktivem Abfall aus.
    So sehen die zu verräumenden Behälter mit hoch radioaktivem Abfall aus. Foto: dpa

    Endlager. Das klingt immer so, als wären die Sachen dann verräumt, endlich erledigt. Vielleicht muss man deshalb so anfangen: Die Kinder, die heute geboren sind, werden Großeltern sein, wenn alles geklappt hat, was nun kommt. Die Jüngsten von heute werden als Alte noch erleben, wie die letzten Behältnisse mit Atommüll aus deutschen Kernkraftwerken tief in die Erde gelassen werden. Wie dann, vielleicht zehn Jahre lang, der Bergbau darüber verschlossen und abgesichert wird. Und dann die Jahrtausende danach beginnen.

    Wenn alles funktioniert, werden die Menschen im, sagen wir, Jahr 5000 nach Christus vielleicht nicht mehr wissen, dass tief unter ihnen gefährliche hoch radioaktive Reste lagern. Ein paar Technikhistoriker werden dazu vielleicht noch publizieren, vielleicht gibt es in irgendeiner verstaubten Cloud noch ein Dokument in einem extrem antiken Dateiformat, das ein Informatik-Archäologe entschlüsseln kann, um, falls es noch mal relevant werden sollte, zu erfahren, wo der Müll lagert. Gut wäre, wenn die Nachfahren unsere Schrift noch lesen könnten.

    EU-Taxonomie will Atomkraft grün labeln

    Die Europäische Union will Atomkraft im Kampf gegen den Klimawandel als nachhaltig labeln lassen. Käme es so, würde wohl noch mehr Atommüll produziert. Für den hat aber weder Deutschland noch sonst ein Land der Welt – Stand heute – eine bereits fertige Lösung. In der Schweiz oder in Finnland ist man schon weiter. Dort, in Skandinavien, ist ein geeignet erscheinender Standort gefunden, es wird bereits an einem Endlager gebaut. Aber fertig sind sie in den Nachbarländern damit auch noch nicht. Erledigt – das ist eher unzutreffendes Vokabular, wenn es um Atommüll geht. Und damit zum Stand der Endlagersuche in

    Der derzeit gültige Fahrplan geht so: Das 2013 verabschiedete und 2017 konkretisierte Standortauswahlgesetz regelt Suche und Auswahl. In einem laut Bundesumweltministerium „partizipativen, wissenschaftsbasierten, transparenten, selbst hinterfragenden und lernenden Verfahren“ soll derjenige Standort in Deutschland gefunden werden, der für die Entsorgung der im Inland produzierten radioaktiven Abfälle die bestmögliche Sicherheit für einen Zeitraum von einer Million Jahre bietet. Ausgehend quasi von einer weißen Landkarte.

    Ein Endlager in Bayern?

    Beauftragt ist die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE). Drei Suchphasen sind vorgesehen, die erste ist zur Hälfte abgeschlossen. Bis Ende 2031 soll der dann amtierende Bundestag einen Standort festgelegt haben. Daran schließt sich ein Endlager-Genehmigungsverfahren an. Dann wird gebaut. Bislang wurden 90 „Teilgebiete“ – auch in Bayern – ausgemacht, die „eine günstige geologische Gesamtsituation für ein Endlager erwarten lassen“.

    Saleem Chaudry hat die Standortsuche für ein Endlager auf den Fachkonferenzen, dem vorgeschriebene Beteiligungsformat, begleitet. Der Geologe forscht am Öko-Institut in Darmstadt, ist Experte für die Entsorgung radioaktiver Abfälle und berät Kommunen, die auf Gebieten liegen, in denen eventuell ein Endlager gebaut werden könnte. Im Augenblick, so sagt er, warten alle darauf, dass die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) ihre Methodik für das weitere Vorgehen vorstellt. Das wird Ende März passieren.

    Die bisherigen Flächen, die ein sogenanntes Wirtsgestein – wie Salz, Ton oder Kristallin – ausweisen, müssen eingegrenzt werden. Wo sind tief unter der Erdoberfläche die am besten geeigneten Formationen, um die gefährlichen Abfallstoffe, Radionuklide genannt, aufzuhalten? Welches Gestein hält hohe Temperaturen aus? Welches ist besonders undurchlässig für Wasser und Gas? Das Ganze ist hochkomplex, und deshalb ist für Chaudry ein Punkt dabei ganz entscheidend: „Die Kriterien, die die Sicherheit in den nun einzugrenzenden Teilgebieten gewähren sollen, müssen klar, transparent, öffentlich und überprüfbar sein. Das ist für mein Selbstverständnis als Wissenschaftler entscheidend. Die Bundesgesellschaft für Endlagerung muss darüber permanent informieren.“ Was daraus folgt, ist für den Forscher aber auch klar: „Die Kommunen und Landkreise müssen sich jetzt schon Gedanken machen, was sie tun.“

    Staatsregierung hat sich bereits positioniert

    Das kann spannend werden. Standorte in Bayern und der Region – zum Beispiel im Kreis Neu-Ulm – kommen nach der allerersten Auswahlrunde infrage. Das heißt wenig, entschieden ist noch lange nichts, aber die Staatsregierung hat schon einen Standpunkt CSU, und Freie Wähler haben 2018 in ihren Koalitionsvertrag geschrieben: „Wir sind überzeugt, dass Bayern kein geeigneter Standort für ein Atomendlager ist.“ Der bayerische Umweltminister Thorsten Glauber (FW) bestätigt das.

    Er lässt auf Nachfrage wissen, dass bei der Suche nach einem Endlager Sicherheit an oberster Stelle stehe. „Diese Sicherheit kann nicht durch Behälter garantiert werden. Es ist wichtig, dass das Gestein selbst die notwendige Sicherheit für einen Zeitraum von einer Million Jahren bietet.“ Ungeeignete Regionen sollten daher „schnellstmöglich“ aus dem weiteren Verfahren ausscheiden. Und dann bekräftigt er die politische Position: „Wir sind überzeugt, dass sich im Rahmen der weiteren Untersuchungen ergeben wird, dass Bayern kein geeigneter Standort für ein Endlager ist.“ Eine Sprecherin des Ministeriums sekundiert: Die Schaffung eines Endlagers für hoch radioaktive Abfälle sei „eine bedeutende gesamtgesellschaftliche umweltpolitische Aufgabe der Bundesrepublik Deutschland. Bayern stehe der Endlagersuche mit „großer Verantwortung“ gegenüber. Der Freistaat begleite die Endlagersuche konstruktiv und kritisch.

    Chaudry kennt eine ablehnende Haltung aus den vielen Gesprächen mit Kommunalpolitikern, die er in den vergangenen Monaten geführt hat. Er sagt: „Natürlich wird es Widerstand geben.“ Zugleich aber macht er deutlich: „Wir können aber nicht ignorieren, dass die derzeit nur zwischengelagerten Abfälle eine Gefahr darstellen, um die wir uns kümmern müssen.“

    Niemand will eine Endlager, dabei braucht es eine schnelle Lösung

    Um es auf den Punkt zu bringen: Niemand will das Endlager in seiner Gegend. Dabei sollten alle das größte Interesse daran haben, dass schnellstmöglich eine bessere Lösung als die jetzige gefunden wird.

    Chaudry betont: „Die Zwischenlager können nicht von Dauer sein, das radioaktive Material arbeitet in den Behältern weiter. Nur ein Endlager macht die Sache sicherer, deshalb müssen wir jetzt eines bauen.“

    Davon ist auch Wolfram König, Präsident des Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE), überzeugt. Auch er sagt, dass es notwendig ist, dass die geologische Standorterkundung „zügig“ genug voranschreitet. Fragt man den Behördenchef, ob die Wissenschaft die Sicherheit eines Ortes für zehntausende Jahre tatsächlich verantwortungsbewusst für die nächsten Generationen bestimmen kann, antwortet er: „Nach der willkürlichen Festlegung von Gorleben als Endlagerstandort ist es richtig, den nun neu gestarteten Suchprozess nach streng wissenschaftlichen, aber auch lernenden Prinzipien durchzuführen.“ Das Gesetz sehe aber auch die „Möglichkeit einer Rückholbarkeit für die Dauer der Betriebsphase des Endlagers vor und die Möglichkeit einer Bergung für 500 Jahre nach dem geplanten Verschluss des Endlagers“. Geologen seien schon heute „gut“ dazu in der Lage, „zutreffende Prognosen“ zu erstellen.

    BASE-Präsident Wolfram König: "Die Entscheidung sollte dann von allen akzeptiert werden"

    König weiß, dass niemand begeistert sein wird, wenn die Wahl auf einen Standort in seiner Nähe fällt. Aber: „Die Entscheidung sollte dann von allen akzeptiert werden können. Der Müll ist nun mal da, egal, wer bislang wie zur Atomkraft stand – jetzt ist es unsere Aufgabe, kommenden Generationen dieses Problem nicht zu hinterlassen.“ Auch deshalb, weil nach Auffassung des BASE das, was immer wieder diskutiert und unter „Partitionierung und Transmutation“ gefasst wird – also das Auftrennen und Umwandeln radioaktiver Abfallstoffe, um den Müll zu reduzieren – eher keine praktikable Lösung ist. Das hat ein vom Bundesamt beauftragtes Gutachten ergeben.

    Wenn Ende dieses Jahres die letzten drei Atomkraftwerke vom Netz gehen, wird es zumindest in Deutschland keinen weiteren Atommüll mehr geben. Die Menge, die dann zu bewältigen ist, bleibt allerdings groß genug. Chaudry geht von rund 1900 Castor-Behältern aus. Wenn ein noch zu wählender Bundestag 2031 die Standort-Entscheidung getroffen hat, wird dort zunächst ein Zwischenlager errichtet. Das dürfte, erklärt Chaudry, etwas mehr als zwei Fußballfelder lang sein. In diesem Eingangslager müssten der Müll dann aus den Behältern herausgeholt, umgepackt, neu verschlossen und dann – nach und nach – unter Tage gebracht werden. Chaudry rechnet damit, dass man mit dem Verräumen 30 bis 100 Jahre verbringen kann. Ende des Jahrhunderts könnte man durch sein. Dann müsste der Schacht geschlossen, das Betriebsgelände und das Fördergerüst abgebaut und alles dem Erdboden gleich gemacht werden. Übrig bliebe eine unberührte Wiese, unter der für abertausende Jahre, tief in der Erde, die Altlasten des Atomzeitalters strahlen.

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