Geht alles nach Plan, ist zumindest die finanzielle Seite des Atomausstiegs in Deutschland bald geregelt. Der Bundestag will am heutigen Donnerstag dem Pakt des Staates und der Energiekonzerne zur Entsorgung der Atom-Altlasten zustimmen. Demnach wird der Staat den Konzernen die Verantwortung für die Entsorgung der strahlenden Abfälle abnehmen. Im Gegenzug zahlen die Konzerne aus ihren Rückstellungen 17,4 Milliarden Euro in einen staatlichen Fonds ein. Dazu kommt ein Risikoaufschlag. Am Ende stehen rund 23,6 Milliarden Euro für die Zwischen- und Endlagerung zur Verfügung, berichtet der CSU-Bundestagsabgeordnete und Vize-Fraktionschef Georg Nüßlein.
Doch die Finanzierungsfrage ist nur ein Schritt. Gänzlich ungeklärt ist die Frage, wo am Ende der hoch radioaktive Müll aus den Brennstäben lagern soll. Nachdem das geplante Endlager im niedersächsischen Gorleben über Jahre hochumstritten und von massiven Protesten begleitet war, beginnt die Suche bundesweit von Neuem. Und diese Suche kann lange dauern.
Das Ziel muss es sein, eine sichere Lösung für die „gefährlichsten Stoffe“ zu finden, „die es weltweit gibt“, sagte Wolfram König, der Chef des Bundesamtes für Strahlenschutz jüngst bei einem Vortrag in Dillingen. König ist gleichzeitig Chef des Bundesamtes für kerntechnische Entsorgungssicherheit, das die Suche nach dem Atomendlager begleiten soll. Aufgabe des Staates sei es sicherzustellen, dass keine Risiken mehr von den hochstrahlenden Stoffen ausgehen. Bei diesem Problem steht Deutschland nicht alleine da: „Wir haben weltweit kein Endlager“, sagt König, auch wenn einige Länder bei der Suche vorangekommen sind, darunter Finnland.
Bisherige Pläne sehen zwar vor, dass „Schacht Konrad“ nahe Salzgitter 2022 für schwach- und mittelradioaktive Abfälle in Betrieb geht. Für den hoch radioaktiven Müll vor allem aus den Brennstäben aber fehlt eine Lösung. Die Suche nach einem Ort beginnt von vorn: Werden die Altlasten in süddeutschem Granit eingelagert? Oder doch in Salzstöcken im Norden? Das ist wieder offen. Bis es eine Lösung gibt, kann viel Zeit vergehen.
Brennstäbe erst im Jahr 2100 im Endlager?
Der bisherige Fahrplan des Bundesumweltministeriums sieht vor, dass bis zum Jahr 2031 ein Endlager-Standort gefunden sein soll. Das Endlager soll dann um das Jahr 2050 in Betrieb gehen. König bezeichnet dies bereits als „sehr ehrgeizigen Zeitplan“. Und der könnte bei Weitem nicht ausreichen.
Wohin mit den radioaktiven Abfällen? Mit dieser Frage hatte sich zuletzt eine Kommission beschäftigt. Die Endlager-Kommission stellte im Juli ihren Bericht vor und hält die Zeitplanung für unrealistisch: „Das Verfahren wird sich über einen langen Zeitraum erstrecken, der deutlich über das Jahr 2031/50 hinausreicht“, heißt es im Bericht. Selbst eine Einlagerung der letzten Brennelemente-Behälter im Zeitraum 2070 bis 2075 wird als „optimistisch“ betrachtet.
Herbert Barthel ist Energiefachmann des Bundes für Umwelt und Naturschutz. Ihm zufolge sind in der Kommission auch Zeiträume zwischen 2080 bis 2120 diskutiert worden. Barthel rechnet deshalb damit, dass sich die Bürger bei der Einlagerung der letzten Brennstäbe aus Bayern in das Endlager auf einen Zeitpunkt „ungefähr um das Jahr 2100“ gefasst machen müssen.
Das Problem: Derzeit befinden sich abgebrannte Brennelemente in Zwischenlagern – oft direkt an den Kernkraftwerken. Und solange kein Endlager in Betrieb ist, könnten sie dortbleiben. In Gundremmingen bereitet man derzeit den Rückbau des Kraftwerks nach der Abschaltung der Blöcke in den Jahren 2017 und 2021 vor. Ziel ist es, bis zum Jahr 2040 die Technik aus den Gebäuden zu entfernen und aus der atomrechtlichen Überwachung entlassen zu werden. Doch der Hauptteil der Radioaktivität – rund 99 Prozent – steckt den Betreibern zufolge nicht im Bau und in der Technik, sondern in den Brennstäben. „Wir müssen uns also darauf einstellen, dass der größte Teil der Radioaktivität für drei oder vier Generationen vor Ort verbleibt“, meint deshalb Atom-Kritiker Barthel.
Derzeit sind nach Auskunft der Betreiber aktuell 48 Castor-Behälter am Zwischenlager Gundremmingen eingelagert. Genehmigt wurde das Zwischenlager für 192 Behälter. Fachleute rechnen damit, dass am Ende rund 180 Castoren im Zwischenlager stehen könnten. Dieses sieht von außen aus wie eine Industriehalle. Die Genehmigung läuft bis zum Jahr 2046. Sollten die Castoren länger dortbleiben, müsste sie verlängert werden.
Wird das vor Ort akzeptiert? „Klar ist, dass die Duldung in der Bevölkerung nicht mehr so stark ausgeprägt sein wird, sobald der letzte Block vom Netz geht“, sagt CSU-Fachmann Nüßlein. Er warnt deshalb davor – auch aus finanzieller Sicht – „eine sinnlose Endlagersuche“ in Deutschland zu betreiben: „Wir müssen jetzt mit dem Geld klarkommen, es darf keine unnötigen Manöver geben“, sagt er und begrüßt es, dass Gorleben nach wie vor im Topf der möglichen Standorte gelassen wird. Zudem regt er an, zu prüfen, ob die Castoren bis zum Transport vor Ort im Zwischenlager bleiben müssen oder ob es nicht eine Übergangslösung – zum Beispiel mit zentralen Zwischenlagern an anderer Stelle – geben könnte.
Der Bund für Umwelt- und Naturschutz fordert zudem, die Sicherheit der Zwischenlager neu zu bewerten – „vor allem in Hinblick auf Flugzeugabstürze und terroristische Bedrohungen“, sagt Fachmann Barthel. Die Betreiber des Kernkraftwerks Gundremmingen betonen dazu, dass eine Neubewertung des Zwischenlagers in jüngster Zeit erfolgt sei: „Das Standortzwischenlager Gundremmingen entspricht allen behördlichen Anforderungen“, sagt Sprecher Tobias Schmidt. Damit sei die Sicherheit bei der Zwischenlagerung abgebrannter Brennelemente gewährleistet.
Breite Mehrheit im Bundestag
Während die Suche nach einem Endlager also noch über Jahrzehnte für Streit sorgen könnte, erwartet CSU-Energiefachmann Nüßlein heute zumindest eine breite Mehrheit im Bundestag zur Finanzierung. Er rechnet auch mit der Zustimmung der Grünen. Für ihn ist der Kompromiss ein großer Erfolg einer weiteren Kommission – der Atom-Kommission, die unter dem Vorsitz unter anderem von Grünen-Politiker Jürgen Trittin im April ihren Bericht vorgelegt hatte. „Der Kompromiss wird für Befriedung sorgen“, ist sich Nüßlein sicher und lobt im Rückblick die konstruktive Rolle Trittins.
Hubert Weiger, Chef des Bundes für Umwelt und Naturschutz, forderte dagegen, die Abstimmung zu vertagen: Das Mindeste was die Akw-Betreiber zuvor tun müssten, sei die Rücknahme aller Atom-Klagen. Derzeit läuft zum Beispiel noch die Klage des Energiekonzerns Vattenfall gegen den deutschen Staat vor einem Schiedsgericht. Es geht um 4,7 Milliarden Euro.