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Angeklagter von Erffa entschuldigt sich im Münchner Wirecard-Prozess und räumt Fehler ein

Wirecard-Prozess

Der dritte Wirecard-Angeklagte entschuldigt sich und räumt Fehler ein

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    Stephan von Erffa war einst Chef der Buchhaltung bei Wirecard. Er erschien zunächst mit Maske vor Gericht, legte diese vor der Verhandlung aber ab.
    Stephan von Erffa war einst Chef der Buchhaltung bei Wirecard. Er erschien zunächst mit Maske vor Gericht, legte diese vor der Verhandlung aber ab. Foto: Sven Hoppe, dpa

    Markus Braun wirkt vor Gericht nervös. Er legt seinen Kopf mal links, mal rechts zur Seite, lässt die Finger seiner Hände auf- und abtanzen, rutscht auf der Anklagebank hin und her, stützt mit der linken Hand seinen Kopf ab, so als suche er Halt. Doch wo soll der 54-Jährige mit dem eng geschnittenen Anzug Halt finden? Der frühere Wirecard-Chef sitzt seit rund vier Jahren in Untersuchungshaft und so ist die Münchner Justizvollzugsanstalt Stadelheim für ihn zum Zuhause wider Willen geworden. Seit Dezember 2022 muss er sich dort mit zwei Mitangeklagten in einem bunkerartigen, unterirdischen, aber immerhin wohltemperierten und pollenfreien Gerichtssaal verantworten. Dem Trio wird vorgeworfen, eine betrügerische Bande gebildet zu haben. Umsätze in Milliarden-Höhe seien erfunden worden, um das eigentlich verlustreiche Unternehmen für den Aktienmarkt aufzuhübschen. Der Österreicher wäre damit der Boss einer extrem dreisten Schwindel-Gang gewesen. 

    Braun weist bis heute alle Vorwürfe entrüstet von sich, auch wenn er vom Mitangeklagten Oliver Bellenhaus, der einst in Dubai für den insolventen Online-Zahlungsdienstleister gearbeitet hat, schwer beschuldigt wurde. Letztlich konnte sich der frühere Wirecard-Boss damit etwas trösten, dass der dritte Mann im Angeklagten-Bunde, der einstige Chef-Buchhalter Stephan von Erffa, sich als ausdauernd aussageunwillig erwies, sozusagen als Schweige-Marathon-Mann auftrat. Braun mag für lange Zeit zumindest etwas Halt im verbalen Abtauchen des von einem alten Adelsgeschlecht abstammenden Managers gefunden haben. Zumindest belastete ihn der 49-jährige Dauer-Aussage-Verweigerer nicht. Strohhalme sind für den bedrängten Braun so wertvoll, als wären sie dicke Maibäume.

    Der merkwürdige Wirecard-Prozess

    Von Erffa wiederum verfolgte in dem an Merkwürdigkeiten überreichen Verfahren lange eine spezielle Strategie: Der Manager wollte durch Gutachter herausfinden lassen, ob er nicht an einer autistischen Störung leiden könne. Einen Versuch war es wert. Nach Darstellung des Bundesverbandes Autismus Deutschland fallen unter das Krankheitsspektrum Störungen der Informations- und Wahrnehmungsverabeitung, was zu sozialen Defiziten bei Betroffenen führt. Die Gutachter Norbert Nedopil und Maximilian Wertz kamen nach intensiver Beobachtung von Erffas allerdings zum Schluss, der Mann sei weder autistisch veranlagt noch anderweitig psychisch auffällig. Das Ergebnis ist für ihn in seiner Rolle als Angeklagter unerfreulich, schließlich hätte sich eine Einstufung als Autist unter Umständen vorteilhaft bei der Bemessung seiner Schuldfähigkeit ausgewirkt. Nedopil bestätigte aber:  „Er war weitgehend unauffällig, unauffällig gekleidet, unauffällig im Verhalten.“ Während des Prozesses wurde von Erffa von Zeugen bisher als kompetenter Finanzfachmann beschrieben, der aber einen Hang zu Wutausbrüchen gehabt habe.

    Am Mittwoch in München ist der Ex-Chef-Buchhalter am 139. Tag des Wirecard-Prozesses gelassener als sein einstiger Chef Braun, vielleicht auch weil er an dem Tag nicht mehr alles in sich hineinfressen muss. Der dritte Mann im Wirecard-Verfahren hat sich entschlossen, zu reden und das zwei Tage lang. Richter Markus Födisch musste lange auf den Tag warten. Seitdem das Gericht dem Angeklagten bei einem Geständnis eine Strafe von sechs bis acht Jahren in Aussicht gestellt hat, löste sich die Zunge von Erffas. „Ich nehme an, dass sie startklar sind. Sie hatten genug Vorbereitungszeit“, meint Födisch ohne zu lächeln. Der Angesprochene sagt nur „Ja“ und legt los. Er blickt hinunter zu seinem Manuskript und liest seine Ausführungen Stunde um Stunde vor, ohne einmal in den Saal zu blicken. 

    Für von Erffa war seine Wirecard-Zeit auch eine Leidens-Zeit

    Wird von Erffa ein Geständnis ablegen und Braun den letzten Halt nehmen? Der frühere Chefbuchhalter schildert seine Tätigkeit bei Wirecard zunächst als Leidenszeit und sich als kritischen Mahner gegenüber Kollegen wie dem früheren Wirecard-Vorstand Jan Marsalek, der Unterlagen stets zu spät abgegeben habe. Der Angeklagte fühlte sich bei dem Konzern „wie ein Jongleur, der mehrere Bälle in die Luft wirft“. Keiner der Bälle sollte dabei herunterfallen. Dem Geschicklichkeits-Anspruch wurde von Erffa nicht immer gerecht. Er beteuert: „Ich habe Fehler gemacht, die ich bereue.“ Und der in Kenia geborene Mann wendet sich an die finanziellen Opfer des Wirecard-Skandals: „Ich möchte mich bei den Geschädigten entschuldigen.“ Gerichts-Sprecher Laurent Lafleur sagt dazu Reportern in einer Prozess-Pause: „Herr Erffa ist noch nicht in den Kern der Vorwürfe vorgedrungen.“ So sei ein Schuldeingeständnis noch nicht erkennbar. Reue allein ist kein Geständnis. 

    Warum verkniff sich von Erffa derart lange jegliche Kommentare vor Gericht? Es muss ihn doch gejuckt haben, zu den Ausführungen von Braun und Bellenhaus etwas zu sagen. Der Manager erklärt seine verbale Zurückhaltung mit Kritik vorwiegend an der Staatsanwaltschaft. Er habe das Gefühl gehabt, „dass man mir nicht zuhört und meinen Argumenten nicht offen gegenübersteht“.  Als Beleg zeigt er das Bild seines alten und früher bei Wirecard genutzten iPads, das ihm heruntergefallen sei und deshalb der Bildschirm Schaden genommen hat. Ihm sei jedoch unterstellt worden, er habe das Tablet mit dem Hammer zerstört, wohl um Beweise zu vernichten. Von Erffa fühlt sich unverstanden: „Entlastende Beweise waren nicht erwünscht.“ Auch wenn seine Zeit der U-Haft nur rund ein Jahr währte und im Juli 2021 endete, scheint die Wunde bis heute nicht verheilt zu sein.

    Der Angeklagte wirkt bemüht, seinen Einfluss und seine Rolle bei Wirecard nicht als allzu bedeutend erscheinen zu lassen. Er könne nur „von vielen Jahren Schreibtisch“ erzählen und nicht von Partys und Formel-Eins-Events, ist es ihm wichtig zu betonen. Informationen habe er oft nur aus zweiter Hand bekommen und es abgelehnt, höher aufzusteigen und Finanz-Chef von Wirecard zu werden. Von Erffa war nach seiner Darstellung ein unermüdlicher Arbeiter, vor dessen Büro oft zwei Ratsuchende gleichzeitig warteten. Auf Fensterbänken hätten sich Unterlagen zum Teil ein bis zwei Meter hoch gestapelt. Manchmal habe er es vor lauter Arbeit nicht geschafft, in die Mittagspause zu gehen. So sei er 60 bis 70 Stunden pro Woche im Büro geblieben und habe es erst zwischen 21 und 22 Uhr verlassen. Sein Ziel sei es immer gewesen, Prozesse für Beschäftigte zu verbessern. War von Erffa der gute Mensch von Ascheim? Dort, nordöstlich München residierte Wirecard einst. 

    „Ich denke, Braun wusste nicht, wo mein Büro ist“

    Auf alle Fälle scheint sich von Erffa in Details zu verlieren, noch ohne Braun damit direkt zu schaden. So sagt er über seinen früheren Chef: „Dr. Braun hatte als Führungskraft etwas Unnahbares. Er war sehr weit vom operativen Geschäft weg.“ Dann folgt ein erstaunlicher Satz: „Ich denke, er wusste nicht, wo mein Büro ist.“ Der Vorstandsvorsitzende eines ehedem im Deutschen Aktienindex notierten Unternehmens hatte keine Ahnung, wo die Räume seines Chef-Buchhalters liegen? Im seltsamen Wirecard-Kosmos schien alles möglich zu sein. Während von Erffa Braun noch schont, was dessen Verteidigung genugtuend zur Kenntnis nimmt, knöpft er sich Bellenhaus vor, der „gut im Lügen und Verdrehen“ sei. Auch Neid und Hass unterstellt er dem Mann, der zuvor ihn und Braun mit seinen Aussagen belastet hatte. Vor Gericht ist sich jeder selbst der Nächste.

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