Der Streit des Westens um russische Energielieferungen spitzt sich zu: Erst verlangte Russlands Präsident Putin, Rechnungen dürften nur noch in Rubel bezahlt werden. Als westliche Länder dies ablehnten, gab er – zumindest vorerst – klein bei. Ob das so bleibt, ist äußerst unsicher. Dem Bericht einer russischen Tageszeitung zufolge arbeitet Gazprom an möglichen Lieferstopp-Szenarien. Die Bundesregierung rief am Mittwoch die Frühwarnstufe des Notfallplans Gas aus – und Bürgerinnen und Bürger dazu auf, Gas zu sparen. Eine naheliegende Option, den Verbrauch fossiler Energien kurzfristig zu reduzieren, ist noch offen: ein Tempolimit.
Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags, Helmut Dedy, sagte der Deutschen Presse-Agentur: "Wir müssen ab sofort noch mehr auf den Verbrauch von Energie schauen. Deshalb plädieren wir dafür, jetzt ein Tempolimit zu prüfen. Damit könnten wir sofort ein Einsparpotenzial haben." Ein russischer Gas- oder Öl-Lieferstopp sei ein realistisches Szenario, fügte er hinzu.
Nicht einmal ein Prozent der Autos fährt mit Gas
Aber wie viel würde ein Tempolimit überhaupt bringen? Beim Gasverbrauch zunächst einmal wenig. Laut Kraftfahrtbundesamt waren Anfang des Jahres 48,5 Millionen Autos in Deutschland zugelassen, davon 31 Millionen mit Benzinmotor, 14,8 mit Diesel. Über einen Gasantrieb verfügten gerade einmal etwa 414.000 von ihnen. Nicht einmal jedes hundertste Auto in Deutschland also.
Beim Erdöl – der Grundlage von Benzin und Diesel – sieht es anders aus. Auch hier hängt Deutschland stark von Russland ab. Aus keinem Land bezieht die Bundesrepublik mehr Rohöl. Rund 40 Prozent der Einfuhren stammen nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums von dort. Diese Abhängigkeit könnte ein Tempolimit etwas reduzieren. Aber wie stark?
Das Bundesumweltamt hat berechnet, wie viel CO₂ durch ein Tempolimit auf Autobahnen vermieden würde – mit dem sinkenden Kraftstoffverbrauch verhält es sich ähnlich. Ein bundesweites, generelles Tempolimit von 120 Stundenkilometern würde laut der Behörde die gesamten Emissionen von Autos und leichten Nutzfahrzeugen um 2,7 Prozent senken. Bei einem Tempolimit von 100 Stundenkilometern läge die Minderung sogar bei etwa 5,7 Prozent, bei 130 immer noch bei zwei Prozent.
Ein Tempolimit von 120 würde 2,6 Millionen Tonnen CO₂ einsparen
In absoluten Zahlen ausgedrückt würde ein Tempolimit von 120 Stundenkilometern 2,6 Millionen Tonnen CO₂ einsparen. Insgesamt emittierte Deutschland vergangenes Jahr 762 Millionen Tonnen. Die Maßnahme würde also ungefähr 0,3 Prozent der deutschen Emissionen verhindern. Dabei ist bereits berücksichtigt, dass sich nicht alle Fahrerinnen und Fahrer an die Begrenzung halten würden. Die Senkung der Emissionen entspricht zwar möglicherweise nicht exakt der Reduzierung des Kraftstoffverbrauchs – es besteht aber eine enge Beziehung zwischen Kraftstoffverbrauch und CO2-Emissionen.
Auch auf anderen Straßen wären Limits denkbar – sie hätten aber einen geringeren Effekt. Eine Begrenzung von 80 statt 100 Stundenkilometern auf Landstraßen würde etwa eine Million Tonnen CO₂ einsparen. Ein 30er-Tempolimit in Städten und Gemeinden sei aus Sicht des Umweltbundesamts zwar "geboten". Die Behörde nennt als Gründe aber insbesondere "Verkehrssicherheit, Lärmschutz, Luftreinhaltung, Förderung von Fuß- und Radverkehr sowie die Erhöhung der Aufenthaltsqualität".
Expertin fordert Tempolimit als "Signal"
Ein Tempolimit würde Deutschlands Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen also nur im niedrigen Prozentbereich verringern. Den Verbrauch von Erdgas, das Deutschland mangels notwendiger Flüssiggas-Terminals schlecht aus anderen Ländern beziehen kann, würde es kaum senken. Einige Exptertinnen und Experten halten es in der aktuellen Situation dennoch für geboten. So betonte etwa die "Wirtschaftsweise" Veronika Grimm am Mittwoch, es sei wichtig, Signale zu setzen, die darauf hindeuteten, dass es im Falle eines Lieferstopps russischer Energielieferungen eine brisante Lage geben könnte. Ein solches Signal könnte ihr zufolge die Einführung eines generellen Tempolimits auf Autobahnen sein.
Die Debatte um ein Tempolimit erreichte auch die bayerische Landespolitik. Die bayerischen Grünen fordern ein befristetes dreimonatiges Tempolimit in Deutschland, um Energie zu sparen. Das könne die Autofahrer entlasten und die Finanzierung des russischen Angriffskriegs in der Ukraine schwächen, erklärte der Landesvorsitzende Thomas von Sarnowski am Freitag. Konkret plädierte der Grünen-Politiker für Tempo 130 auf der Autobahn, 80 auf Landstraßen und 30 innerorts. "Täglich fließen Millionen Euro nach Russland und finanzieren Putins Angriffskrieg", sagte Sarnowski.
Innenminister Joachim Herrmann (CSU) wies die Forderung zurück. "Das ist wieder ein typisches Beispiel für die grüne Bevormundungspolitik", sagte er. Hier brauche es keine staatlichen Regeln, sondern nur gesunden Menschenverstand. "Offenbar misstrauen die Grünen der Eigenverantwortung und Vernunft der Autofahrer. Jeder Bürger sollte selbst entscheiden, ob und wie er seinen Beitrag leisten will." (mit dpa)
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