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IG-Metall-Vorstand Nadine Boguslawski im Interview: „Wir hoffen auf den Durchbruch am Montag“

Interview

IG Metall: „Wir hoffen auf den Durchbruch am Montag“

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    Nadine Boguslawski ist für Tarifpolitik bei der IG Metall zuständig. Sie hofft auf einen Abschluss der Tarifrunde am Montag.
    Nadine Boguslawski ist für Tarifpolitik bei der IG Metall zuständig. Sie hofft auf einen Abschluss der Tarifrunde am Montag. Foto: IG Metall

    Frau Boguslawski, Sie sind seit Oktober 2023 Hauptkassiererin und Vorstandsmitglied der IG Metall. Innerhalb des Führungsgremiums verantworten sie die Tarifpolitik. Ihre Karriere begann mit einer Ausbildung. Wie stark hat Sie diese Zeit geprägt?

    Nadine Boguslawski: Nach dem Abitur in Göttingen war ich zunächst als ungelernte Arbeiterin beim Bosch am Band tätig. Dort habe ich verstanden, wie belastend es sein kann, in restriktiven Schicht-Systemen zu arbeiten. Danach habe ich bei Carl Zeiss eine Ausbildung zur Industrie-Elektronikerin absolviert. Diese zehn Jahre haben mich stark geprägt, schließlich habe ich mich dort in der Jugend- und Auszubildenden-Vertretung engagiert und wurde Betriebsrätin und Vertrauensfrau der IG Metall.

    In der aktuellen Metall-Tarifrunde macht die IG Metall mit Warnstreiks Druck, auch um für Auszubildende 170 Euro mehr im Monat zu erstreiten. Setzt sich die Gewerkschaft durch?

    Boguslawski: Das Thema der künftigen Fachkräfte ist uns sehr wichtig. Da lassen wir nicht locker. Ohne eine deutliche Erhöhung der Ausbildungs-Vergütungen gehen wir nicht vom Tisch, zumal die Forderung aus unserer IG-Metall-Jugend stammt. Während unsere Industrie früher Spitzenreiter bei den Ausbildungs-Vergütungen war, sind andere Branchen an uns vorbeigezogen. 

    Wie kommt die IG Metall auf die hohe Forderung von 170 Euro mehr im Monat?

    Boguslawski: Mit einer Umfrage wollten wir von unseren Auszubildenden wissen, ob sie von ihrer Ausbildungs-Vergütung leben können. Sie sind eben nicht mehr wie früher im Schnitt 14, 15 Jahre, sondern vielfach 20 bis 21 Jahre alt. Die Auszubildenden wohnen oft nicht mehr zu Hause und brauchen eine Wohnung wie ein Auto. Was erschreckend für uns war: Rund ein Drittel der Auszubildenden gab an, nebenher zusätzlich arbeiten zu müssen, obwohl sie doch etwas lernen sollen. 

    Was hat das für Folgen?

    Boguslawski: So überlegen sich junge Frauen und Männer in den Betrieben, ob sie sich überhaupt eine Ausbildung leisten können. Es ist fatal, wenn sie sich aus finanziellen Gründen gezwungen sehen, als Ungelernte anzuheuern, statt eine gute berufliche Basis schaffen zu können. Deswegen fordern wir eine überproportionale Erhöhung der Vergütungen. 

    Dem stellen sich die Metall-Arbeitgeber nicht grundsätzlich entgegen, wenn ihnen auch 170 Euro im Monat zu viel sind. 

    Boguslawski: Wir haben Signale der Arbeitgeber, dass bei der Ausbildungs-Vergütung etwas passiert. Beziffern aber wollten sie das noch nicht, wir liegen also noch weit auseinander. Aber auch den Arbeitgebern scheint klar zu sein: Wenn wir die Berufe der Metall- und Elektroindustrie attraktiver machen wollen, müssen wir finanziell etwas für unseren Nachwuchs tun. 

    Generell wirkt es, als hätten die Arbeitgeber die Hand Richtung IG Metall ausgestreckt, in dem sie ungewöhnlich früh mit 3,6 Prozent ein ungewöhnlich hohes erstes Angebot gemacht haben. Trotzdem lässt sich IG Metall die Warnstreik-Welle über das Land rollen. Muss das sein?

    Boguslawski: Ja. Die Arbeitgeber wissen unsere Warnstreiks schon richtig einzuschätzen. Sie wissen auch, dass ihr Angebötchen zu spät greift, für die Beschäftigten zu niedrig ist und eine zu lange Laufzeit hat. Was aber interessant ist: Durch ihr frühes Angebot ist die Tonlage in der diesjährigen Tarifrunde anders.

    Was hat das für Folgen?

    Boguslawski: Wir gehen davon aus, schnell zu einem guten Ergebnis zu kommen, auch wenn das erste Angebot der Arbeitgeber mit 3,6 Prozent für mehr als zwei Jahre angesichts unserer Forderung nach 7,0 Prozent für ein Jahr viel zu gering ausgefallen ist. Und die von der Gegenseite angestrebte Laufzeit des Tarifvertrages von 27 Monaten ist viel zu lang. Das ist schon ein Brett: Auf 27 Monate gerechnet, sind 3,6 Prozent wirklich nicht viel. Schließlich wollen die Arbeitgeber spät ab 1. Juli 2025 die Löhne erst einmal für ein Jahr nur um 1,7 Prozent erhöhen. Das wäre weniger, als Beschäftigte dann durch die erwartete Inflation verlieren. Sie würden also real Lohn einbüßen.

    Dennoch wirken Sie hoffnungsvoll, dass bald ein Abschluss gelingt.

    Boguslawski: Die IG Metall ist bereit, schnell ein gutes Ergebnis für Kaufkraft und Konjunktur zu unterschreiben. Und wir spüren, dass die Arbeitgeber wie wir die gemeinsame Verantwortung als Tarifvertrags-Parteien ernst nehmen und annehmen wollen. Dass sie in der zweiten Verhandlungsrunde schon etwas auf den Tisch gelegt haben, zeigt ihren Einigungswillen – auch wenn sie in Runde drei nicht nachbessern wollten. Ich glaube, keine Seite will die Tarifverhandlungen voll eskalieren lassen und die Tarifrunde bis zum Sankt-Nimmerleinstag ausdehnen. Wir hoffen und glauben, bald zu einem guten Ergebnis zu kommen. Wir alle müssen die Kaufkraft stärken, um den Konsum als Stütze der Konjunktur anzukurbeln. 

    Spätestens vor Weihnachten müssen Sie auf alle Fälle fertig sein.

    Boguslawski (lacht): Weihnachten kann man nicht verschieben. Da möchte auch der Mann mit dem weißen Bart seine Geschenke schon finanziert sehen. 

    Wann rechnen Sie mit einem Durchbruch in der Tarifrunde und mit dem Ende der Warnstreiks?

    Boguslawski: Wir wollen nächste Woche am Montag auf die Zielgerade gehen, auch wenn wir noch eine ordentliche Wegstrecke vor uns haben.

    Ausgerechnet am 11. 11., dem Auftakt der Karnevals- und Faschings-Saison?

    Boguslawski: Am 11. November ist aber auch Martinstag. Und Sankt Martin konnte teilen! Erstmals sollen an dem Tag in Hamburg Gewerkschafts- und Arbeitgeber-Vertreter aus zwei Tarifbezirken, nämlich Küste und Bayern, zusammenkommen, um gemeinsam den Durchbruch in einer Metall-Tarifrunde zu erzielen. Die Idee für dieses Vorgehen entstammt Diskussionen innerhalb des Vorstands und mit den Bezirksleiterinnen und Bezirksleitern der IG Metall. Wir sind in den IG Metall-Bezirken Bayern und Küste besonders gut in den Gesprächen vorankommen. 

    Damit würden Bayern und Norddeutschland zu einem Doppel-Pilot-Bezirk und der traditionelle Pilotbezirk Baden-Württemberg bliebe außen vor. Funktioniert das?

    Boguslawski: Nach meiner Ideal-Vorstellung gehen der große Tarifbezirk Bayern und die Küste als kleinerer Verband am 11. November gemeinsam in Hamburg durchs Ziel. Wir hoffen auf den Durchbruch in der vierten Verhandlungsrunde. Der IG-Metall-Vorstand wird nach Hamburg anreisen. Und ich gehe davon aus, dass auch die Verantwortlichen des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall kommen.

    Warum spannen Sie Bayern und Norddeutschland als ungleiches Paar zusammen?

    Boguslawski: Wir wollen damit auch die Kultur der Tarifgespräche zwischen Arbeitgebern und der IG Metall positiv verändern. Der Charme eines Tarif-Tandems liegt auch darin, dass wir zwei Tarifgebiete mit unterschiedlichen Schwerpunkten zusammenführen, also die Werften im Norden mit der Auto- und Autozulieferindustrie im Süden. Die Arbeitgeber ziehen bei dieser Idee mit. Das zeigt sich auch darin, dass schon an den bisherigen regionalen Tarifrunden etwa Vertreter aus dem Norden in Bayern und umgekehrt teilgenommen haben. 

    Wenn Sie auf einen Durchbruch am Montag setzen, könnte die IG Metall doch die Warnstreiks für diese Woche absagen. Das käme sicher gut bei den Arbeitgebern an.

    Boguslawski: Eine Einigung am Montag ist kein Selbstläufer. Um als IG Metall erfolgreich zu sein, müssen wir uns in dieser Woche noch einmal deutlich bewegen: vor die Werkstore!

    Streiken Sie also weiter?

    Boguslawski: Unsere Beschäftigten wollen und müssen den Arbeitgebern noch einmal zeigen, wie sehr sie an einem guten Ergebnis interessiert sind. Und die Beschäftigten geben damit den Verhandlungs-Delegationen aus Bayern und Küste Schützenhilfe. 

    Sind Sie eine Optimistin. Sind Sie auch zuversichtlich, was die zerstrittene Ampel-Koalition betrifft?

    Boguslawski: Ich antworte mal so: Wir hatten unlängst bei einer IG-Metall-Sitzung eine Zukunftsforscherin zu Gast. Sie sagte, einen Teil der Zukunft gestalten die Menschen selbst. Dazu sei stets ein positives Zukunftsbild notwendig, ansonsten laufe man viel zu schnell in sich selbst erfüllende negative Prophezeiungen. Das ist eine wichtige Erkenntnis für unsere Gesellschaft. Wir brauchen als Gesellschaft und Industrienation einen positiven Blick in die Zukunft. 

    Raten Sie auch den Ampel-Koalitionären und insbesondere dem streitlustigen Finanzminister Christian Lindner zu einem positiven Ampel-Zukunftsbild?

    Boguslawski: Bei den Verantwortlichen der Ampel-Koalition fehlt mir aktuell dieses positive Bild. Aber nur mit einem zuversichtlichen Blick in die Zukunft lassen sich die Menschen mitnehmen. Und nur so können wir Deutschland voranbringen. Insofern finde ich es problematisch, dass innerhalb der Regierung unterschiedliche Wirtschaftsgipfel veranstaltet werden. Wir alle brauchen eine aktive und investierende Industriepolitik, bezahlbare Energie, funktionierende Infrastruktur und Wertschöpfung hier in Deutschland. Was die Ampel-Regierung jetzt braucht, ist ein klarer Plan, in dem sich die Menschen wiederfinden. Nur so stellt sich Vertrauen zur Politik ein. 

    Bei allem Optimismus: Die wirtschaftliche Lage ist ernst in Deutschland, was für einen maßvollen Tarif-Abschluss spricht. So will jetzt auch der Autozulieferer Schaeffler tausende Stellen abbauen. Spitzt sich die Deindustrialisierung zu?

    Boguslawski: Wir sehen hier die Anzeichen einer Strukturkrise. Das sind die Mahnungen für eine aktive Industriepolitik der Regierung. Wir haben schon bei der Aufstellung unserer Tarifforderung die Herausforderungen für einzelne Unternehmen gesehen und berücksichtigt. Tarifpolitik kann viele, aber nicht alle Probleme der Wirtschaft lösen. Ein Lohnzuwachs sichert Kaufkraft und Konjunktur, ein Lohnverzicht aber sichert dagegen keinerlei Jobs. Als IG Metall haben wir das Interesse gute Beschäftigung vor Ort zu erhalten und Zukunft zu sichern. Tarifverträge und Sozialpartnerschaft sind da kein Hindernis, sondern nachweislich mit das wichtigste Instrument. Und darum ist es absolut unverständlich und fatal, wenn sich Schaeffler jetzt nicht mehr an seine eigene Zukunftsvereinbarung mit uns halten will.

    Nadine Boguslawski, 46, ist seit Oktober 2023 Hauptkassiererin und Vorstandsmitglied der IG Metall. Zuvor war die Gewerkschafterin von 2019 bis 2023 Erste Bevollmächtigte der IG Metall Stuttgart. Boguslawski ist innerhalb des IG-Metall-Vorstands für Tarifpolitik zuständig. Auf dem Gebiet ist sie eine Expertin, denn von 2014 bis 2018 war die Arbeitnehmer-Vertreterin Tarifsekretärin der IG Metall für die baden-württembergische Metall- und Elektroindustrie.

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