Ab dem 12. Juni üben 25 Nato-Staten zwei Wochen lang bei der "Air Defender 23" die Verlegung großer Luftstreitkräfte. Es ist die größte Übung dieser Art seit Bestehen des Bündnisses. Mehr als 250 Militärmaschinen vom Transporter bis zum Kampfjet sind im Einsatz – das wird nicht ohne Folgen für den zivilen Luftverkehr in Deutschland bleiben.
"Air Defender" wird "massive Auswirkungen" auf zivile Luftfahrt haben
Ob Passagiere mit Flugverspätungen rechnen müssen, wie es die Bundeswehr angekündigt hat, ist umstritten. Denn in Bereichen, in denen Militärpiloten auf Sicht fliegen, haben zivile Maschinen aus Sicherheitsgründen nichts verloren. Daher sagt der Chef der Lotsengewerkschaft GdF, Matthias Maas: "Die Militärübung 'Air Defender' wird natürlich massive Auswirkungen auf den Ablauf der zivilen Luftfahrt haben."
Die Branche erkenne die Notwendigkeit des Manövers angesichts des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine an, versichert ein Sprecher des Bundesverbandes der deutschen Luftverkehrswirtschaft. Doch die Fluggesellschaften wollen wissen, worauf sie und die Passagiere sich in den reiseintensiven Frühsommerwochen einstellen müssen. Die Lufthansa prüft die konkreten Auswirkungen auf den Flugbetrieb, der so stabil und zuverlässig wie möglich gehalten werden soll.
"Air Defender"-Auswirkungen: Bis zu 50.000 Verspätungsminuten je Manövertag?
Ein von der europäischen Flugsicherungsorganisation Eurocontrol errechnetes Szenario weist laut Maas bis zu 50.000 Verspätungsminuten je Manövertag aus. Bei etwa 10.000 Flugbewegungen entspricht das einem Tag mit schweren Gewittern und würde deutlich im roten Bereich liegen. Bis zu 100 Flugzeuge könnten unter diesen Bedingungen ihr Umlaufziel zur Nachtschließung diverser Flughäfen nicht erreichen – mit unangenehmen Folgen für Passagiere und Unternehmen, deren Maschinen dann morgens nicht mehr am richtigen Ort starten könnten. Die bundeseigene Flugsicherung bestreitet das mit ihren Daten gefütterte Szenario nicht, verweist aber auf weitere Eurocontrol-Modelle mit deutlich geringeren Auswirkungen.
"Air Defender": Nachtflugbeschränkungen an Flughäfen könnten gelockert werden
Dennoch haben die Bundesminister für Verteidigung und für Verkehr die Länder kurzfristig gebeten, die Nachtflugbeschränkungen an den Flughäfen zu lockern. So könnten verspätete Passagierjets spätabends noch aufgenommen werden. Baden-Württemberg hat bereits Ausnahmen für Stuttgart bis 2 Uhr zugelassen. Auch in Hamburg und Düsseldorf wird es wohl längere Betriebszeiten geben. Am Frankfurter Flughafen im schwarz-grün regierten Hessen werden Spätstarts bis Mitternacht genehmigt, wenn der Verspätungsgrund durch das Manöver bedingt ist. Größere Flughäfen ohne Nachtflugverbot gibt es nur in Köln, Leipzig und Nürnberg.
Die Übungsflüge sollen in drei eng definierten Lufträumen stattfinden, die wochentags jeweils im Wechsel genutzt werden. Dabei soll ein Übungsraum Ost über Mecklenburg-Vorpommern und der Ostsee jeweils von 10 bis 14 Uhr als einziger auch für Tiefflüge reserviert sein. Der Raum Süd, der sich von Lechfeld in Bayern nach Rheinland-Pflaz erstreckt, soll von 13 bis 17 Uhr genutzt werden, bevor an den Raum Nord über der Nordsee von 16 bis 20 Uhr abgegeben wird. Insbesondere in den frühen Morgenstunden sowie am Wochenende könnten Passagiere ziviler Flüge also auf pünktliche Starts und Landungen hoffen.
"Air Defender" könnte für größere Probleme an Flughäfen Frankfurt und Berlin sorgen
Größere Probleme erwartet das Tübinger Analysehaus A3M für die Flughäfen in Frankfurt und Berlin, weil diese in oder an den Übungsgebieten gelegen sind. Verspätungen bei einzelnen Flugzeugen könnten sich dort im Laufe des Tages addieren und so auch an anderen Einsatzorten für Verspätungen sorgen. Auch Ausfälle und Flugverlegungen könnten eine Folge sein. Während der "Air Defender" will die Deutsche Flugsicherung ihr Personal aufstocken. Insidern zufolge verpasste sie aber im Herbst, eine allgemeine Urlaubssperre für die Lotsen zu verhängen.
Zusätzlich zum eigentlichen Übungsbetrieb kommen noch Transferflüge von und zu außerhalb gelegenen Stützpunkten. Das Manöver könnte daher letztendlich Auswirkungen auf ämtliche zivile Flughäfen in Deutschland haben, sagen die Kritiker. Wo Militärs üben, müssen die zivilen Maschinen umgeleitet werden – in ohnehin eng besetzte Luftsektoren, die nach und nach ebenfalls volllaufen. Ein erfahrener Lotse sagt: "Wo reguliert wird, sind Verspätungen unvermeidlich." (mit dpa)