Herr Richenhagen, kaum ein Porträt über Sie kommt ohne den Halbsatz aus „vom Religionslehrer zum Top-Manager“. Nervt Sie es, das zu lesen?
Martin Richenhagen: Ja, weil es einfach keine neue Story mehr ist. Immerhin bin ich bereits im Jahr 1985 aus dem Schuldienst ausgeschieden und stehe mittlerweile seit 16 Jahren an der Spitze von AGCO. Die Zeit als Lehrer ist Teil meiner Biografie. Rückblickend war der Wechsel in die Industrie aber eine richtige Entscheidung. Für eine unternehmerische Tätigkeit war ich wohl doch wesentlich besser geeignet als für ein vielleicht eintönigeres Beamtendasein.
Das Kapitel AGCO schließt sich am Jahresende für Sie. Gehen Sie mit Wehmut?
Richenhagen: Ich hatte 16 Jahre lang Spaß bei der Arbeit, das hat mir richtig Freude bereitet. Und ich hatte das Glück, in dieser Zeit niemals infrage gestellt worden zu sein. Deshalb hält sich die Melancholie über das Ende meiner Laufbahn sehr stark im Hintergrund. Im Übrigen bin ich der Meinung, es ist jetzt auch an der Zeit für einen Wechsel. Mein Ziel war immer eine vernünftige Übergabe an einen internen Nachfolger. Und das ist gelungen. Mein Nachfolger Eric Hansotia wird zeigen, dass er einen noch besseren Job machen kann als ich.
"AGCO war ein ziemlicher Saftladen"
Unter Ihrer Führung wuchs AGCO zu einem der 500 größten US-Konzerne. Empfinden Sie Stolz auf diese Leistung?
Richenhagen: Als ich 2004 bei AGCO anfing, war das Unternehmen ein ziemlicher Saftladen. Wir haben dann etliche kluge, strategische Entscheidungen getroffen. Mit der Zeit ist es uns gelungen, aus einer Holding mit 26 Marken einen globalen Konzern mit vier Hauptmarken zu formen. Unter meiner Leitung hat sich der Börsenwert des Unternehmens nahezu verzehnfacht, der Umsatz verfünffacht und wir haben mehr als 10.000 neue Arbeitsplätze geschaffen. Aber macht mich das stolz? Nein, möchte ich sagen. Ich bin kein stolzer Mensch. Was mich jedoch freut, dass die Mitarbeiter, aber auch unsere Wettbewerber oder auch die Analysten an der Wall Street diese Leistung anerkennen. Diese Anerkennung ist eine schöne Würdigung zum Ende der Karriere.
Täuscht der Eindruck oder lag Ihnen die Konzerntochter Fendt immer ein wenig mehr am Herzen als andere Marken?
Richenhagen: Mir war der Wert von Fendt von Anfang an bewusst. Weshalb auch klar war, dass Fendt eine wichtige Rolle in unserer Wachstumsstrategie spielen würde. Wir haben seit 2004 insgesamt knapp zwei Milliarden Dollar in die Standorte und neue Produkte investiert. Fendt hat aber auch immer abgeliefert, wie man sagt. Das Werk in Marktoberdorf produziert zum Beispiel doppelt so viel Traktoren wie noch vor 16 Jahren. Fendt ist sehr erfolgreich unterwegs – auch wenn es dieses Jahr coronabedingt nicht ganz klappt mit den angepeilten 20.000 Traktoren. Ich bin mir aber hundertprozentig sicher, dass diese Zahl nächstes Jahr deutlich geknackt wird. Die gute Nachricht ist, dass die Kapazität des Werks in der Montage bei 30.000 Einheiten liegt. Das heißt, es gibt genügend Raum, um noch viel mehr zu wachsen – ohne investieren zu müssen. Das ist natürlich eine super Situation.
Sie haben sich auch immer in die politische Debatte eingeschaltet und klar Stellung bezogen. Was treibt Sie an?
Richenhagen: Ich habe mich nie parteipolitisch engagiert. Gleichwohl bin ich der Überzeugung, dass sich Unternehmer und Wirtschaftsführer politisch äußern und klar sagen sollten, wo es hapert, wie sie sich eigentlich die Gesellschaft vorstellen und was sie von der Politik erwarten.
Im Gegensatz zu vielen anderen Konzernlenkern haben Sie den US-Präsident Donald Trump immer wieder öffentlich deutlich kritisiert...
Richenhagen: Nun, ich bin der Meinung, man muss auch einem amerikanischen Präsidenten sagen: So, wie du redest, gehört sich das nicht! Das ist unhöflich, rassistisch, frauenfeindlich. Wenn das mehr Konzern-bosse machen würden, wäre die Wirkung natürlich stärker. Vielleicht spielt da bei dem einen oder anderen die Angst eine Rolle, weil er negative Auswirkungen aufs Geschäft fürchtet. Ich hatte nie die Sorge, dass Trump sagt: Kauft keine AGCO-Traktoren mehr.
"Donald Trump ist sitzengeblieben"
In knapp vier Wochen wählen die USA. Wie bewerten Sie die Amtszeit von Trump?
Richenhagen: Wir wissen jetzt, dass Trump ungeeignet ist für dieses Amt. Als ehemaliger Lehrer würde ich sagen: Man kann ohne Probleme ein Ungenügend rechtfertigen. Das heißt: Sitzen geblieben! Meiner Ansicht nach sollte er nicht wiedergewählt werden. Die Gräben in den USA sind nach vier Jahren Trump mittlerweile so groß, dass auch ein neuer Präsident Mühe haben dürfte, das Land, die Menschen wieder zusammenzuführen – obwohl das früher immer eine der Stärken der USA war.
Die Vereinigten Staaten sind weltweit das Land mit den meisten Corona-Toten. Wie beurteilen Sie das Krisenmanagement des Präsidenten?
Richenhagen: Das ist natürlich eine Katastrophe! Trump hat zunächst geleugnet, dass das Coronavirus eine Gefahr darstellt. Dann bestritt er die Wirksamkeit von Mund-Nasen-Masken. Ein schädliches Auftreten, damit hat er das Problem noch verschärft in den USA. Wenn man das im internationalen Vergleich sieht, hat der amerikanische Präsident die Krise mit Abstand am schlechtesten gemanagt. Und obwohl er selbst mit dem Virus infiziert ist, verharmlost er nach der Rückkehr aus dem Krankenhaus erneut die Gefahr. Das nenne ich im Angesicht von 210.000 Corona-Toten ein schäbiges Verhalten.
Vor vier Jahren haben Sie den Wahlsieg Trumps vorhergesagt. Seien Sie noch einmal Orakel: Wie wird die Wahl am 3. November ausgehen?
Richenhagen: Trump hat eine sehr treue Anhängerschaft, eine gute Basis, die der demokratische Kandidat Joe Biden nicht hat. Insofern halte ich die Wahrscheinlichkeit für hoch, dass Trump wiedergewählt wird.
Und sollte es doch anders kommen, denken Sie, Trump würde eine Niederlage eingestehen?
Richenhagen: Nein, ich kann mir gut vorstellen, dass sich Trump zum Sieger erklärt, bevor überhaupt die Ergebnisse vorliegen. Er verhält sich da ja ein bisschen so wie Potentaten in Diktaturen. Ein Sieg Bidens wird Trump sicherlich nicht so einfach hinnehmen.
Sie besitzen seit 2011 neben dem deutschen auch einen amerikanischen Pass. Wo sehen Sie nach dem Ende Ihrer Karriere Ihren Lebensmittelpunkt?
Richenhagen: Solange die Gesundheit mitspielt, halte ich es für ein Privileg, sich als Weltbürger fühlen zu dürfen. Ich möchte mich in den nächsten Jahren zwischen Europa und den USA hin und her bewegen. Ein Leben also zwischen dem Münsterland und Berlin, zwischen Atlanta, den Bergen in Colorado und den Stränden Floridas.
Der Fahrplan für Ihr Karriereende bei AGCO steht schon seit 2016. Welche Pläne haben Sie für Ihren Ruhestand?
Richenhagen: Zum einen sitze ich bereits in den Aufsichtsräten beim Farbenhersteller PPG und bei Linde. Darüber hinaus könnte ich mir noch ein drittes Mandat vorstellen. Zum anderen bin ich Vorsitzender des Thinktanks AICGS für deutsch-amerikanische Beziehungen. Meine Frau und ich besitzen außerdem einen kleinen Reitstall und ich habe selbst auch wieder mit dem Reiten angefangen. Und dann gibt es noch vier Enkel! Ich mache mir also definitiv keine Sorgen, dass ich mich in Zukunft langweilen könnte.
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