Zwar sind 172 Verhandlungstage (nicht zuletzt für die Angeklagten) über zwei Jahre und neun Monate eine sehr lange Zeit. Sicher waren die zähe Beweisaufnahme mit verdichteter Motorenkunde auch für die Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts München II eine Grenzerfahrung. Es spricht aber zugleich einiges dafür, dass dieser erste nun zu Ende gegangene Strafprozess im Abgas-Skandal erst ein Anfang war.
Fest steht: Der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Audi AG und der ehemalige Audi-Motoren-Entwickler und frühere Porsche-Vorstand haben gestanden. Sehr spät und in der Anmutung kühl kalkuliert, aber gestanden. Die Binse, dass die Mühlen der Justiz langsam mahlen, ist selten so treffend. Aber: Sie mahlen. Und sie haben – nach einem Deal – zu einem Urteil geführt. Das ist zwar noch nicht rechtskräftig, aber es steht doch zunächst für sich.
Sicher könnte man sagen: Bewährungsstrafen sind angesichts des (großteils allerdings innerhalb der Audi AG) entstandenen Milliardenschadens zu gering. Oder: Die Geldauflagen zahlen die früher sehr gut vergüteten Herren ohne Schmerz. Man könnte sagen: Der dem Urteil den Weg ebnende Deal ist, was ein Deal ist, sprich: mit Zugeständnissen verbunden und ein Gefühl der Schalheit auslösend.
Wie lange hätte dieser Prozess um den Abgas-Skandal wohl noch gedauert?
Man könnte andererseits auch fragen: Wie lange hätte dieser Prozess noch gedauert, wenn Richter Stefan Weickert mit seinem Verständigungsvorschlag nicht die Geständnisse befördert hätte? Und was hätte ein sich – ohne diese Geständnisse – noch viel länger ziehender Prozess eigentlich auf Dauer für das Rechtsempfinden bedeutet? Nun aber steht ein früherer Audi-Vorstandsvorsitzender, nach langem Leugnen, als verurteilter Betrüger da. Zwar erst Jahre nachdem der Skandal im September 2015 von der US-Umweltbehörde aufgedeckt wurde – aber immerhin könnte man doch sagen.
Denn zum einen: So weit sind die anderen mit der Aufarbeitung des (ja auch andere Hersteller betreffenden) Abgas-Skandals befassten Gerichte und Behörden noch nicht. Zum anderen könnte das vielleicht bald rechtskräftige erste Münchener Urteil auch etwas Schwung in die noch laufenden Verfahren bringen: Sei es für die zivilrechtlichen Massenklagen, sei es für die bereits laufenden oder möglicherweise noch bevorstehenden Strafprozesse: In Braunschweig stehen vier frühere VW-Topmanager vor dem Landgericht. Das Verfahren gegen den früheren VW-Vorstandsvorsitzenden und ehemaligen Stadler-Boss Martin Winterkorn liegt auf Eis. In München hat die Staatsanwaltschaft München II schon lange Anklage gegen vier weitere Audi-Manager erhoben, wenn das Landgericht auch nicht über diese entschieden hat. Zugleich ermittelt die Strafverfolgungsbehörde derzeit im Abgas-Skandal noch gegen neun Beschuldigte.
Braucht Deutschland endlich ein Unternehmensstrafrecht?
Zum Schluss noch ein Gedanke, der nicht neu ist, aber in der Urteilsdiskussion immer wieder geäußert wird. Deutschland hat kein Unternehmensstrafrecht. Zwar können (und werden) auch Unternehmen mit Bußgeldern (etwa Audi) belangt. Aber nicht nur Staatsanwalt Nico Petzka, sondern auch Richter Weickert hatten in ihrem Plädoyer beziehungsweise in ihrer Urteilsbegründung damit argumentiert, dass es schwer sei, den einen Haupttäter, den "Spiritus Rector" des Abgas-Skandals, im Großkonzern auszumachen, die Schuld verteile sich auf sehr viele Schultern. Stadler hat "nur" die prominentesten.
Wenn man also über die Konsequenzen des Abgas-Skandals nachdenkt und politisch etwas auf den Weg bringen will, dann lohnt sicher eine neue Debatte darüber, wie "juristische Personen" – also zum Beispiel Unternehmen – für das Verhalten ihrer Mitarbeiter bestraft werden können.
Für den Moment aber gibt es ein erstes Urteil. Bis nächste Woche entscheidet sich, ob Verteidigung und Staatsanwalt in Revision gehen.